# taz.de -- Schwammiges Wir-Gefühl: Protest der Herzen | |
> Die wütenden Bauern erfahren eine Solidarität, von der Linke nur träumen | |
> können. Um die Sache geht es dabei nur am Rande. | |
Bild: Der wütende Bauer, hier auf der Bundesstraße 5 unterwegs in Richtung Be… | |
Manchmal sind’s die kleinen Dinge. Ein freundlicher Gruß, ein Lächeln, | |
kleine Geschenke, die die Freundschaft erhalten, wie man sagt. Und weniger | |
behaglich gilt das Gleiche auch im Klassenkampf, wo die gereckte Faust der | |
Umstehenden ganz ähnliche Glücksgefühle auszulösen vermag – und vielleicht | |
sogar das rhythmische Hupen derer, die am Demozug vorbei tuckern und es | |
offensichtlich gut meinen mit den Verkehrsbehinderern im Ausnahmezustand. | |
Was Solidaritätsbekundungen angeht, können sich [1][die deutschen Bauern | |
dieser Tage] kaum beklagen. Das Internet quillt über von kämpferischen | |
Memes, KI-Bilder etwa, die den Aufzug als martialische Front von Bikern und | |
Treckern zeigen. Auch draußen auf der Straße stehen die Zeichen auf Sturm. | |
Zwar faktisch weit entfernt vom Generalstreik fühlt es sich mitunter doch | |
so an. Und auch wenn es für die wasserdichte Empirie noch zu früh sein mag, | |
darf man als Linke:r trotzdem schon ein bisschen neidisch werden auf den | |
Rückhalt der Proteste in der Bevölkerung. | |
## Front gegen die Regierung | |
Vielleicht sind auch die Bauern selbst ein bisschen überrumpelt, dass es | |
diesmal so heiß zugeht, während man zu vergangenen Kämpfen (gegen | |
Milchkartelle etwa) doch recht allein auf weiter Flur stand. Inzwischen | |
fordern sie es sogar ausdrücklich ein, wie bei den [2][Blockaden von Aldi | |
und Amazon Anfang der Woche] vor Hamburg, die Solidarisierung erzwingen | |
sollten – als Stärkung der Front gegen die Regierung. | |
All das wirkt auch emotional: Bernhard Bolkart, Präsident beim Badischen | |
Landwirtschaftlichen Hauptverband, sagte etwa der Bild: „Dieses Gefühl des | |
Miteinanders unter den Bauern hatten wir so seit Jahren nicht mehr. Jedes | |
Mal, wenn ich die Blinklichter der Traktoren und die Mahnfeuer gesehen | |
habe, bekam ich Gänsehaut.“ | |
Und was die Empirie angeht: Wer in den vergangenen Wochen auf dem Land | |
unterwegs war, wird Szenen wie diese erlebt haben, die sich vergangenen | |
Montag bei einer (sehr zähen) Fahrt über den niedersächsischen Teil der | |
Bundesstraße B51 zugetragen haben. Also gar nicht an der großen Route nach | |
Berlin, sondern einfach irgendwo am Acker. | |
Ortsumgehung Bassum: Das Hupkonzert entgegenkommender Lkws wird lauter als | |
die Demo selbst. Es sind fast zehn in Reihe, Trucker Uwe hat neben dem | |
Nummernschild mit seinem Namen einen „Für Euch“-Zettel in die Scheibe | |
gelegt. Station Twistringen: Ein kleiner Junge rennt von der Tankstelle an | |
die Straße, um Schokolade auf einen der Trecker zu reichen. Beim Sportplatz | |
am Ortsausgang applaudieren zehn Männer in Outdoorkleidung, die dafür sogar | |
ihren Bollerwagen beiseite schieben. In Barnstorf steht einer auf der | |
Verkehrsinsel und schreit in einer Tour „Ey“. Auch das klingt sonderbar | |
freundlich. Und in der Mitte des Kreisverkehrs vor Diepholz steht „Nieder | |
mit der Ampel“ auf einem Schild. | |
Woher kommt das? Oder wie der aktivistisch motivierte Vergleich gerade in | |
Dauerschleife klingt: Was ist dran an Subventionskürzungen in der | |
Landwirtschaft, das Klimaaktivist:innen nicht haben? | |
## Die Bauern als Versorger | |
Für Protestforscher Felix Anderl von der Uni Marburg liegt es unter anderem | |
an der Nähe von Landwirt:innen und Bevölkerung. Als Versorger bringen | |
Bauern das regionale Essen auf Tisch. Das verstehe die Bevölkerung und | |
nehme sie deshalb ernst. Eine rationale Überlegung, findet Anderl. Das | |
Verständnis käme aber noch woanders her: Denn der Protest findet ja nicht | |
im leeren Raum statt, wo allein rational über Probleme nachgedacht wird. Im | |
Gegenteil. | |
Daneben, was hier gesagt wird, geht es eben auch darum, wer hier eigentlich | |
spricht. Einige Akteure würden als seriöser wahrgenommen, andere als | |
weniger nachvollziehbar, vielleicht sogar als störend. „Das hat erst mal | |
gar nichts mit guten Argumenten zu tun, sondern mit Macht“, sagt der | |
Protestforscher. Das seien lange eingeübte Strategien. | |
Klimaaktivist:innen zum Beispiel würden [3][in der Tendenz kritisch | |
befragt], Bauern und Bäuerinnen hingegen ernst genommen. Das führt laut | |
Anderl dazu, dass auch rechte Landwirtschaftsverbände als seriöse Akteure | |
gelten. „Da lässt sich schon von einem Rechtsdrall in der | |
gesellschaftlichen Debatte sprechen.“ | |
Natürlich sind nicht alle Bauern rechts. Selbst über die | |
Mehrheitsverhältnisse lässt sich seriös nicht urteilen. Und auch bei den | |
sattsam bekannten [4][rechten Demo-Transparenten] mag es sich am Ende | |
vielleicht doch eher um die lautesten Akteure handeln – und nicht um die | |
meisten. | |
Anderl will von „den Bauern“ gar nicht erst reden. Bei den Protesten fänden | |
sich vielmehr verschiedene bäuerliche Gruppen, mit verschiedenen | |
Produktionsweisen, verschiedenen Hof-Größen, verschiedenen Problemen. In | |
einer Sache jedoch seien sie sich einig: So wie jetzt geht es nicht weiter. | |
„Landwirt:innen sind trotz aller Unterschiede einhellig der Meinung: Wir | |
arbeiten hart und hätten gern die entsprechende Entlohnung, die | |
Anerkennung.“ Unmut, ohne Agenda. | |
Klar, da gibt es die Diskussion um Dieselsubvention, aber die allein haben | |
nicht die Proteste verursacht. Wie oft konnte man die letzten Wochen hören: | |
„Es reicht.“? Die Gründe aber sind divers, auch wenn sie nun alle zusammen | |
ein Zeichen setzen. | |
Das „Wir“, für das die Bauern hupen (und behupt werden), ist also ein | |
schwammiges, das gar nichts Konkretes fordert, das keine agrarsystemischen | |
Fragen stellt, sondern erst mal ein zutiefst verärgertes. | |
## Projektionsfläche für den eigenen Frust | |
Und die Unterstützer:innen – an B51 und anderswo? Für die ist „der | |
Bauer“ ganz sicher auch eine Projektionsfläche für den eigenen Frust. Und | |
da konkurrieren sehr unterschiedliche und bisweilen auch widersprüchliche | |
Traditionslinien. Über Bezüge auf die [5][extrem rechte Landvolkbewegung] | |
ist in den vergangenen Wochen viel geschrieben worden – fast schon wieder | |
vergessen hingegen ist, dass bis zur Jahrtausendwende auch Linke mit | |
größter Selbstverständlichkeit bäuerliche Kämpfe im folkloristischen | |
Repertoire führten. Keine Castor-Demo ohne Folkpunk-Band, und „Arg muss | |
sich der Bauer quälen“. Auch wenn die Linke politische schon sehr, sehr | |
lange keinen Fuß auf den ländlichen Boden bekommen hat. | |
All das gilt für Deutschland. Historisch und global gesehen gibt es | |
durchaus linke Bauernproteste. Anderl verweist etwas auf La via Campesina. | |
Die internationale kleinbäuerliche Bewegung sei eine der größten sozialen | |
Bewegungen überhaupt, sagt er. | |
In Deutschland steht der Protestdiskurs heute im Zeichen sich auflösender | |
politischer Koordinatensysteme. Zwischen rechts und links passt immer noch | |
ein Frust gegen „die da oben“. Und der Hass auf „die Regierung“ ist ohn… | |
notwendigerweise unpolitisch. Wahrscheinlich müsste man sich als | |
Demokrat:in vielmehr darum Sorgen machen, als um die genaue Anzahl von | |
Reichbürgerflaggen an den Treckern. | |
Was nicht heißt, dass sich in diesem kollektiven Zorn auf das Abstrakte – | |
aufs städtische Leben, auf die Vermittlungsinstanzen politischen Handelns – | |
nicht auch Rechtes manifestiert. Anderl etwa erklärt die Projektion aufs | |
Bäuerliche mit einem nostalgischen Bezug zur Landwirtschaft, der | |
Vorstellung von einem einfacheren und faireren Deutschland, nach dem sich | |
ein Teil der Bevölkerung sehne. Der Traum vom deutschen Boden, deutschen | |
Schweinen und deutschem Käse. Von Heimat. | |
## Merz lässt twittern | |
Das weiß sich auch die Opposition zunutze zu machen, falls sie nicht | |
ohnehin längst mitträumt. Auf X (Twitter) ließ Friedrich Merz sein Team | |
schon Mitte Dezember [6][posten]: „Landwirte produzieren unsere | |
Lebensmittel, landwirtschaftlich genutzte Flächen prägen unser | |
Landschaftsbild.“ Wen der CDU-Chef mit seinem „uns“ meint, hat er immer | |
wieder deutlich gemacht: Deutsche, die ein verloren geglaubtes Deutschland | |
wollen. | |
Anderl bezweifelt, dass es dieses Deutschland überhaupt je gab. Die | |
Verlusterzählung, die aber gebe es, und die könne jeder und jede mit den | |
individuellen Problemen und eigenen Sehnsüchten füllen. | |
Bemerkenswerterweise träumen selbst Mitglieder der Regierung von einem | |
Deutschland, in dem noch alles in Ordnung war. Vor den buhenden Bauern am | |
Brandenburger Tor [7][schiebt Finanzminister Lindner (FDP)] die Schuld für | |
Misere denen in die Schuhe, die für „das Nichtstun bezahlt werden“. | |
Der Finanzminister sehnt sich nach einem freien Markt, dem seine eigene | |
Regierung zu viel Einhalt böte. „Geradezu ironisch“, sagt Anderl. „Das | |
Hauptproblem der Landwirtschaft ist doch der freie Markt.“ | |
21 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bauernproteste-in-Deutschland/!5982726 | |
[2] /Bauernprotest-vor-Aldi-Lager/!5982895 | |
[3] /Zuspruch-fuer-Bauern--Letzte-Generation/!5983180 | |
[4] /Verschwoerungsmythen-bei-Landwirtstreffen/!5964721 | |
[5] /Rechte-Unterwanderung-der-Bauernproteste/!5982919 | |
[6] https://twitter.com/_FriedrichMerz/status/1736714629093445690 | |
[7] /Rede-von-Lindner-bei-Bauernprotesten/!5983093 | |
## AUTOREN | |
Anna Lindemann | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Bauernprotest | |
Solidarität | |
Ampel-Koalition | |
Subventionen | |
Landwirtschaft | |
GNS | |
Kolumne Intelligenzbestie | |
Bauernverband | |
Bauernprotest | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Stadtland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mittel des Protests: Humorvoller Artifizieller Intellekt | |
Muss Protest friedlich sein? KI-Kolumnist*in Anic beantwortet die Frage | |
einer Leser*in zur Parallele von Bauernprotest und Letzter Generation. | |
„Wir haben es satt!“ fordert Agrarwende: Bunter Protest vor dem Kanzleramt | |
Für eine nachhaltigere Agrarpolitik demonstrierten Tausende am Samstag in | |
Berlin. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir gestand zuvor Fehler ein. | |
Zuspruch für Bauern & Letzte Generation: Was für Profis | |
Warum werden die Straßenblockaden von Bauern und Letzter Generation so | |
unterschiedlich bewertet? | |
Rechte Unterwanderung der Bauernproteste: Nur sauer oder rechtsextrem? | |
Der Bauernverband distanziert sich offiziell von rechten Versuchen, den | |
Protest zu instrumentalisieren. Doch es sind extremistische Töne zu hören. | |
Bauernproteste in Deutschland: Die Wut der Bauern | |
Der Traktor ist derzeit das Zeichen der Unzufriedenheit. Die Landwirte sind | |
sauer. Das sind sie aber aus durchaus unterschiedlichen Gründen. |