| # taz.de -- Agrarunternehmer über Bauerndemos: „Protest in die falsche Richt… | |
| > Sein Biohof beteilige sich nicht an den Bauerndemos, sagt | |
| > Agrarunternehmer Bernhard Weßling. Denn diese würden sich gegen nötigen | |
| > Umweltschutz richten. | |
| Bild: Blühstreifen als Lebensraum – eine lohnende Investition? | |
| wochentaz: Herr Weßling, der Bauernverband will in den kommenden Tagen | |
| „nadelstichartige“ Aktionen organisieren, weil der Haushaltsausschuss des | |
| Bundestags zugestimmt hat, die Subvention für Agrardiesel zu streichen. | |
| Warum macht Ihr [1][Hof] da nicht mit? | |
| Bernhard Weßling: Weil die Proteste in eine vollkommen falsche Richtung | |
| gehen. Für den [2][Bauernverband] ist die Frage der Rückerstattung der | |
| Dieselsteuer nur ein Aufhänger dafür, die sowieso nur geringfügige Erhöhung | |
| der Umweltstandards zurückzudrehen. Das ist bei der „Wir haben es | |
| satt“-Demo am Samstag in Berlin ganz anders. | |
| Was halten Sie von der Subvention von Diesel für Traktoren? | |
| Gar nichts, denn sie subventioniert einen klimaschädlichen Kraftstoff. Auch | |
| wir in der Landwirtschaft müssen noch stärker darauf achten, mit möglichst | |
| wenig Diesel auszukommen. | |
| Wie denn? | |
| Mittelfristig sicherlich auch durch Elektrotrecker. Dass es die noch nicht | |
| gibt, ist nicht unsere Schuld. Wenn die Agrardieselsubvention wegfällt, | |
| steigen die Anreize, solche Alternativen zu entwickeln. | |
| Aber das wird doch noch Jahre dauern. | |
| Ja, so lange müssen wir mit Diesel arbeiten. Man kann möglicherweise | |
| sparen, indem man Fahrten besser organisiert. | |
| Die grüne Umweltministerin Steffi Lemke zeigt sich jetzt [3][offen für | |
| Biodiesel] aus Pflanzen als Alternative. Er könnte steuerlich begünstigt | |
| werden. Eine gute Idee? | |
| Da bin ich 100 Prozent dagegen. Das ist erstens eine Verschleuderung von | |
| Lebensmitteln und Verschwendung von knapper Ackerfläche. Und zweitens ist | |
| das mit Blick auf die Energieeffizienz alles andere als nachhaltig. | |
| Wie viel Dieselsteuer wird Ihrem Hof jedes Jahr erstattet? | |
| 11.000 Euro. Bei einem Umsatz von ungefähr 1,7 Millionen Euro. | |
| Bedroht es die Existenz Ihres Betriebs, dass die Subvention wegfällt? | |
| Nein. Die meisten Bauern benötigen das nicht, um existieren zu können. Für | |
| die wenigen, bei denen das anders ist, sollte man eine zeitlich begrenzte | |
| oder alle zwei, drei Jahre zu überprüfende Härtefallregelung einführen. | |
| Aber unser Hof ist trotzdem in seiner Existenz bedroht, weil uns – | |
| beginnend mit dem Ukrainekrieg und dem Anstieg der Inflation – Kunden | |
| verloren gegangen sind. Manche kaufen jetzt nicht mehr unsere | |
| Biolebensmittel, die teurer sind als konventionelle. | |
| Wie lässt sich die Position von umweltfreundlicheren Höfen stärken? | |
| Am liebsten natürlich über faire Lebensmittelpreise, die honorieren, dass | |
| wir die Bodenfruchtbarkeit, die Biodiversität und die Grundwasserqualität | |
| verbessern. Aber solche Preise sind utopisch. Deshalb müssen die | |
| Agrarsubventionen anders verteilt werden. Die Landwirtschaft sollte nicht | |
| wie bisher über den Diesel und vor allem die Fläche gefördert werden, | |
| sondern über ökologische Leistungen. Der Bauernverband muss endlich | |
| aufhören, so eine Reform zu verhindern. | |
| Wofür konkret sollte es Geld geben? | |
| Etwa für das Anlegen von Blühstreifen. Dort können sich Insekten | |
| entwickeln. Oder dafür, dass die Äcker kleinteilig sind. Wir haben schmale | |
| Ackerstreifen von normalerweise 4,9 Hektar. Diese Kleinteiligkeit | |
| ermöglicht zusammen mit einer sechsjährigen Fruchtfolge eine große | |
| Artenvielfalt. Wenn Sie bei uns im Frühjahr und Sommer durch die Äcker | |
| gehen, sehen Sie Vögel wie in einem Naturschutzgebiet. Dafür bekommen wir | |
| schon eine geringfügige Förderung, aber der Umfang muss viel größer werden. | |
| Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen will eine [4][Tierwohlabgabe oder | |
| -steuer auf Fleisch] durchsetzen. Damit könnten die Bauern eine | |
| tierfreundlichere Haltung finanzieren. Wie sehen Sie das? | |
| Das ist ein interessanter Ansatz. Das Geld würde den Bauern den Umbau der | |
| Tierhaltung in Richtung mehr Tierwohl ermöglichen. Das hat die | |
| Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen | |
| CDU-Landwirtschaftsministers Jochen [5][Borchert] ja schon vor vier Jahren | |
| vorgeschlagen. | |
| Dann müssten die Verbraucher aber mehr bezahlen. | |
| Beim Tierwohl-Cent reden wir ja nur über zum Beispiel 40 Cent Aufschlag für | |
| das Kilogramm Schweinefleisch. Aber grundsätzlich: Wir sind in Deutschland | |
| am Ende von Europa, was den [6][Anteil der Lebensmittelkosten] an den | |
| monatlichen Haushaltsausgaben betrifft. In Italien und Frankreich etwa ist | |
| er viel höher. | |
| Ist das sozial? | |
| Das ist wieder eine andere Frage, wie man einen sozialen Ausgleich macht. | |
| Aber ganz bestimmt doch nicht dadurch, dass die Bauern keine fairen Preise | |
| bekommen, nur weil es auch einen Anteil von 10 bis 15 Prozent der Menschen | |
| gibt, die höhere Lebensmittelpreise nicht bezahlen könnten. Warum sollen | |
| die Bauern, wie es auf den Plakaten steht, ruiniert werden, damit Aldi, | |
| Rewe und Konsorten Discounterpreise erpressen können und dann riesige | |
| Landwirtschaftsindustrie-Firmen unsere Böden kaputt machen, damit die | |
| Lebensmittelpreise für alle niedrig sind? Wie kann das nachhaltig sein? | |
| Was können die Bauern selbst tun, damit sie bessere Preise für ihre | |
| Produkte bekommen? | |
| Wir produzieren auf unseren 450 Hektar außer Obst und Eiern quasi alles, | |
| was man zum Leben braucht. Das vertreiben wir zu nahezu 100 Prozent direkt | |
| an Konsumenten. Erstens über den Weg der solidarischen Landwirtschaft. Das | |
| heißt, wir haben etliche Mitgliedergruppen, die einen sogenannten | |
| Ernteanteil abonnieren. Dafür können sie sich dann jede Woche aus Lagern, | |
| die wir befüllen, ihre Lebensmittel abholen. Der zweite Weg ist: Wir haben | |
| sieben eigene Hofläden, fünf davon in Hamburg. Das sehen wir auch als eine | |
| strategische Möglichkeit für kleine oder mittelgroße Bauern, sich | |
| unabhängig vom Großhandel zu machen. Dadurch bekommen wir die Marge, die | |
| sonst der Handel kassiert. Wir halten nichts davon, auf den Großhandel und | |
| die Discounterketten zu schimpfen, wenn man eben stattdessen selbst | |
| vermarkten könnte. | |
| Können das nur Betriebe machen, die große Städte in der Nähe haben? | |
| Das sind schon eine ganze Menge. Es sollen auch die Betriebe machen, die | |
| nah an kleinen Städten mit zum Beispiel 30.000 Einwohnern liegen. Da wird | |
| man vielleicht nicht alle seine Produkte vertreiben können, aber vielleicht | |
| ein Drittel. Und wenn ein Hof nicht alle Lebensmittel anbieten kann, könnte | |
| er sich mit Nachbarn zusammentun, vielleicht auch als | |
| Vertriebsgenossenschaft. | |
| Ihr Betrieb ist für schleswig-holsteinische Verhältnisse ziemlich groß. Das | |
| mögen viele nicht, oder? | |
| Wir sind in jeder Hinsicht schon eher ein großer Betrieb, aber nicht zu | |
| vergleichen mit industriellen, die beispielsweise 5000 Hektar haben. Wir | |
| betreiben Ackerbau und Viehzucht auf 450 Hektar, aber alles ist Pachtland. | |
| Uns gehört das Land nicht. So gesehen sind wir auch wieder ein Kleinbauer. | |
| Denn was machen wir, wenn die im Durchschnitt auf 20 Jahre befristeten | |
| Pachtverträge nicht verlängert werden? | |
| 20 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://kattendorfer-hof.de/ | |
| [2] /Bauernverband/!t5015797 | |
| [3] /Kraftstoffe-in-der-Landwirtschaft/!5986377 | |
| [4] /Streit-ueber-Subvention-fuer-Agrardiesel/!5983312 | |
| [5] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehl… | |
| [6] https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Informationsgrafiken/231214_… | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
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