Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Über die Neuausrichtung der Agrarpolitik: Der ineffiziente Bauer
> Johann Gerdes geht jedes Jahr auf die „Wir haben es satt“-Demo. Auf
> seinem Biohof kämpft der Landwirt für eine Neuausrichtung der
> Agrarpolitik.
Bild: Johann Gerdes auf der „Wir haben es satt“-Demonstration in Berlin am …
Beerfelde/Brandenburg taz | Der grüne Traktor tanzt über den Hof und streut
Heu auf den schneebedeckten Schlamm. Rückwärts, vorwärts. Schnell, präzise.
Das goldene Stroh regnet auf den weißen Boden. Es sieht aus wie ein
filigranes Meisterwerk. Auch die Kühe spielen ihre Rolle: Einige tanzen mit
und recken sich in die Luft. Andere bleiben liegen, stehen still oder
fressen weiter. Routiniert. Geübt. Traktor und Kuh in einem mondänen
Ballett.
Johann Gerdes wiederholt die Choreografie dreimal, bis die Kuhweide mit
frischem Stroh bedeckt ist. Erst beim letzten Mal unterbricht er die
Routine. Eine Kuh schaut neugierig zu. Sie will Antworten oder
Aufmerksamkeit. Gerdes bleibt kurz stehen und streichelt sie. Dafür muss
noch Zeit sein.
Er ist ein Landwirt in Brandenburg. Er hat 40 Mutterkühe, die jedes Jahr
Kälber zur Welt bringen. Wenn sie 2,5 Jahre alt sind, werden sie
geschlachtet. Biofleisch vom [1][Beerfelder Hof in Brandenburg] steht dann
auf der Verpackung. Reich wird man als Biobauer nicht. Schon gar nicht als
Bio-Rindzüchter. Aber die Kühe schließen eine wichtige Lücke im
Kreislaufmodell auf Gerdes Hof. „Sie sind auch eine schöne Abwechslung“,
sagt er. „Wir haben sonst nur mit Maschinen zu tun.“
Damit gehört Johann Gerdes zu einer Seltenheit in Deutschland: ein
Landwirt, der auf Qualität und nicht auf Quantität setzt. Ein Landwirt, der
Wohlstand nicht nur monetär begreift. In den letzten 20 Jahren ist die
Landwirtschaft gewachsen oder gewichen, hat sich auf Effizienzsteigerung
und Industrialisierung konzentriert. Gerdes aber nicht.
## Jedes Jahr auf der „Wir haben es satt“-Demo dabei
Deshalb geht er jedes Jahr auf die „Wir haben es satt“-Demonstration.
Organisiert wird sie von einem Bündnis aus 100 Akteur:innen aus dem
landwirtschaftlichen und sozialen Bereich sowie der Klima- und
Umweltbewegung. Die zentrale Forderung ist eine klima- und sozialgerechte
Agrarwende.
Und so ist es auch diesem Samstag, dem 20. Januar 2024. Die Straßen Berlins
werden wieder einmal von hupenden Traktoren erobert. Diesmal aber nicht mit
Forderungen nach einer Senkung der Dieselsteuer oder einer
Steuererleichterung für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Diesmal nicht mit
Slogans, die rechte Akteur:innen für sich instrumentalisieren können.
Diesmal geht es um die grundsätzliche Frage: Wie sieht die Zukunft der
Landwirtschaft aus?
„Das Thema der Zeit heißt Nachhaltigkeit und Klimaschutz“, sagt Finn
Beutler, 20-jähriger Landwirtschaftslehrling aus dem Raum Hamburg, bei der
„Wir haben es satt“-Demo. „Wir müssen ökologischer werden. Da die
Landwirtschaft große Flächen bewirtschaftet, ist sie der Hebel, um etwas zu
bewirken. CO2 binden und die Artenvielfalt stärken: Das alles kann draußen
auf den Flächen passieren, es muss nur gemacht und unterstützt werden. Das
ist die Kraft, die die Landwirtschaft hat“, erklärt er weiter.
Johann Gerdes steht bei der [2][„Wir haben es satt“-Demonstration] ganz
vorne. Gestern Nachmittag hat er seine Tochter in seinen Traktor gepackt
und ist von Fürstenwalde nach Berlin gefahren. Heute steht das blaue
Fahrzeug vor dem Willy-Brandt-Haus, aufgereiht in einer Kolonne von alten
und neuen, großen und kleinen Traktoren. Sie tragen Aufschriften wie
„Landwirtschaft ist bunt, nicht braun“ oder „Bäuerliche Vielfalt schützt
das Klima“.
## Fünf Betriebe in Brandenburg liefern Kartoffeln nach Berlin
24 Stunden zuvor sitzt er in dem Aufenthaltsraum des Beerfelder Hofs.
Draußen riecht es nach Kachelofen. Die Gebäude werden alle noch mit Holz
beheizt. Drinnen riecht es nach verbranntem Toast. Ralf sitzt Gerdes
gegenüber und bestreicht sein Frühstücksbrot: Bauernbrot, Butter, Salami
und eine Gurke. Johann Gerdes und sein jetziger Kollege kennen sich seit
2015. Damals waren sie beide noch Mitarbeiter auf einem anderen Hof. Als
Gerdes seinen Hof kaufte, kam auch Ralf mit.
Zur Erntezeit passen nicht alle Mitarbeiter:innen in den
Aufenthaltsraum. Während die meisten Betriebe auf Automatisierung und
maschinelle Unterstützung umstellen, hat Gerdes immer noch
überdurchschnittlich viele Mitarbeiter:innen. Auch in den Wintermonaten.
Sie machen Überstunden oder nehmen sich Urlaub. Oder sortieren Kartoffeln.
Fünf Betriebe in Brandenburg liefern Kartoffeln nach Berlin. Der Beerfelder
Biohof ist einer von ihnen. Es riecht nach kalter Erde in der Lagerhalle
hinter dem Aufenthaltsraum. Ein grünes Licht erhellt die Halle. Die
Kartoffeln sind bis zur Decke in Holzkisten gestapelt. Der Raum ist auf
genau vier Grad gekühlt, um den Stoffwechsel zu verlangsamen. Hier
sortieren die Mitarbeiter:innen die Ware. Die guten Kartoffeln landen
schließlich in den Küchen von Berlinern. Die schlechten wandern in den Trog
auf dem Hof.
Doch wie sieht denn nun die Zukunft der Landwirte aus? Thilo Lenzen,
Aktivist bei der „Wir haben es satt“-Demo, erklärt: „Die Landwirtschaft
sollte die Menschen verbinden. Wir alle brauchen Lebensmittel.“ Er führt
fort: „Ohne die Produktion von Lebensmitteln gäbe es uns alle nicht.“
## „Die Luft wird immer dünner“
Johann Gerdes bleibt kurz vor dem Brandenburger Tor stehen und blickt die
Straße des 17. Juni hinunter. Vor einer Woche zündeten erzürnte Bauern hier
Lagerfeuer an und man hörte Buhrufe, als Finanzminister Christian Lindner
(FDP) versuchte, sie zu adressieren. Gerdes hatte eigentlich mit einer
Konfrontation zwischen den beiden Lagern gerechnet. Doch die Allee ist nun
leer. Nur ein einziger roter Traktor steht auf der linken Seite geparkt.
[3][Er versteht die Bäuer:innen, die seit Wochen hier kampieren.] Auch er
würde 14.000 Euro im Jahr verlieren, wenn die Dieselsubvention gestrichen
wird. „Hättet ihr immer an der ‚Wir haben die Schnauze voll‘-Demonstrati…
teilgenommen, hätte die Politik das wohl früher gemerkt“, sagt er und
deutet auf die leere Straße. Die Bäuer:innen, die in den vergangenen 20
Jahren vom Prinzip „Wachse oder weiche“ profitiert haben, stoßen nun an die
Grenzen des Wachstums. „Auch für sie wird die Luft immer dünner“, sagt
Johann Gerdes.
Lea Leimann, Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland, ist ebenfalls vor
Ort und will wissen, warum die Landwirtschaft immer effizient sein muss.
„Warum geht es nur darum, größer, reicher, mehr zu werden? Warum arbeiten
wir nicht so, dass es uns, dem Land und den Tieren gut geht?“, fragt sich
die Aktivistin. „Das ist es, wonach wir streben sollten. Effizienz stellt
sich dann automatisch ein, weil es uns gut geht und wir uns für den
Wohlstand einsetzen. Unser Credo sollte sozialer Wohlstand sein“, sagt sie.
Gerdes wünscht sich mehr Zeit und Geld für die Gestaltung der
Landwirtschaft. „Ich glaube nicht, dass große, zusammenhängende
Ackerflächen gut für die Ökologie sind“, sagt er. „Wir haben keine Hecke…
keine vernetzten Biotope.“ Doch dafür gibt es kein Geld. Die Agrarpolitik
von Bundesregierung und Bauernverband setzt auf Größe und Effizienz – und
nicht auf Maßnahmen, die eine gesunde Zukunft für Bäuer:innen und
Landschaft garantieren.
„Wir wollen uns eine ineffiziente Landwirtschaft leisten können“, sagt
Gerdes. Er meint damit eine Landwirtschaft, die auch für
Kleinbäuer:innen möglich ist. Eine Landwirtschaft, die vielfältige
Betriebe unterstützt. Derzeit gelingt es Gerdes noch, einen ineffizienten
Betrieb zu führen. Sollte das irgendwann einmal nicht mehr möglich sein,
will er Lkw-Fahrer werden. „Wenn es nicht mehr möglich ist, eine gute
Landwirtschaft zu betreiben, dann kann ich auch die Sportart wechseln“,
sagt er und schmunzelt.
21 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.regionalwert-berlin.de/unsere-partner/beerfelder-hof/
[2] /Wir-haben-es-satt-fordert-Agrarwende/!5986750
[3] /Agrarunternehmer-ueber-Bauerndemos/!5984047
## AUTOREN
Clara Suchy
## TAGS
Wir haben es satt
Agrarpolitik
Berlin Brandenburg
Grüne Woche
Bauernprotest
Landwirtschaft
Bauernprotest
Bauernprotest
Bauernverband
Landwirtschaft
Wir haben es satt
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Wir haben es satt“-Bündnis: Streit über Absage an Israelfreunde bei Agra…
Eine Gruppe sagt, sie habe wegen ihrer Pro-Israel-Haltung nicht bei der
„Wir haben es satt“-Demo reden dürfen. Die Organisatoren sehen das anders.
Protest in Brüssel, Paris und Italien: Bauern legen Europaviertel lahm
In Brüssel haben Landwirte Straßen blockiert, um gegen die Agrarpolitik zu
demonstrieren. In Europa gehen die Proteste weiter.
Agrarproteste eskalieren: Tote bei Bauerndemo in Frankreich
Nicht nur in Deutschland gehen Landwirte auf die Straße, sondern auch in
Frankreich. Nach einem Todesfall droht die Situation zu eskalieren.
„Wir haben es satt!“ fordert Agrarwende: Bunter Protest vor dem Kanzleramt
Für eine nachhaltigere Agrarpolitik demonstrierten Tausende am Samstag in
Berlin. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir gestand zuvor Fehler ein.
Agrarunternehmer über Bauerndemos: „Protest in die falsche Richtung“
Sein Biohof beteilige sich nicht an den Bauerndemos, sagt Agrarunternehmer
Bernhard Weßling. Denn diese würden sich gegen nötigen Umweltschutz
richten.
„Wir haben es satt“: Auf ein paar Cent reduziert
Wieder fahren am Wochenende die Trecker: Statt klimaschädlicher
Subventionen fordert die „Wir haben es satt“-Demo klimafreundlichere
Agrarpolitik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.