# taz.de -- Der Stoffkreislauf beginnt im Klo: Pipi für die Böden | |
> Wir spülen Unmengen an kostbarem Trinkwasser im Klo herunter. Besser | |
> wären neue Klo-Techniken – auch um den menschlichen Dünger effektiver zu | |
> nutzen. | |
Bild: Mobiles Trockenklo | |
Es gibt eine Ressource, die weltweit in Hülle und Fülle vorhanden ist: | |
menschlicher Urin. [1][Er besteht zu einem Großteil aus Stickstoff und | |
Phosphor]. Beide sind für alle Tiere und Pflanzen überlebenswichtig, und | |
auch wir nehmen sie täglich durch unser Essen auf. Weil diese Nährstoffe | |
mit der Ernte vom Acker verschwinden, benötigt der Boden ständig Nachschub. | |
Heute wird mit viel Energieaufwand in Chemiefabriken Mineraldünger | |
hergestellt. Er könnte aber genauso gut aus unserem Urin bestehen – und in | |
einer zukunftsfähigen Kreislaufwirtschaft muss er das auch. Was wir | |
brauchen, ist eine Sanitär- und Nährstoffwende. | |
Menschliche Ausscheidungen gelten als peinliche Angelegenheit, WCs als eine | |
der größten Errungenschaften der Moderne. So spülen wir die Nährstoffe mit | |
wertvollem Trinkwasser in die Kanalisation – und das in Zeiten des | |
Klimawandels, in denen Wasser immer knapper wird (zwar sind gegenwärtig | |
viele Landesteile überflutet, doch im Schnitt [2][werden Dürren und | |
sinkende Grundwasserstände] Deutschland immer stärker prägen). Noch aber | |
nutzen wir ein Drittel des Haushaltswassers fürs Klo. | |
Um daran nichts ändern zu müssen, soll Berlin künftig aus weit entfernten | |
Regionen versorgt werden. Im Gespräch ist, die Elbe anzuzapfen oder ein | |
Entsalzungswerk an der Ostsee zu errichten. Nicht nur der Bau von Anlagen | |
und Rohrleitungen kostet viel Geld und Energie, sondern auch der laufende | |
Betrieb. Und das alles, weil es als unhinterfragbarer Ausdruck von | |
Zivilisation gilt, [3][unsere Exkremente täglich mit 35 Litern Trinkwasser | |
in den Untergrund zu befördern]? | |
In der Kanalisation mischen sich unsere Fäkalien stark verdünnt mit | |
Schwermetallen, Reifenabrieb und allerlei Dreck. Nach einer | |
kilometerlangen Reise durch die aufwendigste Infrastruktur im deutschen | |
Boden erreicht die Brühe eine Kläranlage. Hier wird versucht, das Wasser | |
wieder von den unterschiedlichen Schadstoffen zu befreien. | |
Stickstoff und Phosphor verursachen den größten Aufwand. In der | |
biologischen Klärstufe kommt ein ganzes Arsenal von Bakterien zum Einsatz, | |
die in einer Art Whirlpool ihre Arbeit verrichten. Der Prozess benötigt | |
extrem viel Strom und führt dazu, dass ein Großteil der | |
Stickstoffverbindungen in die Luft entweicht. | |
Um die Flüsse vor Überdüngung durch Phosphor zu schützen, kippen die | |
Anlagenbetreiber Eisen- oder Aluminiumsalze ins Abwasser und verfrachten | |
damit den Phosphor in den Klärschlamm. Der wurde früher als Dünger | |
verwendet. Doch weil er auch Mikroplastik und Schwermetalle enthält, ist | |
das kaum noch zulässig. So wird die Pampe getrocknet und verbrannt. Weil | |
Phosphor teuer und immer schwerer zu beschaffen ist, soll er künftig aus | |
der Asche zurückgewonnen werden. Remondis und andere Konzerne freuen sich | |
über das neue lukrative Geschäftsfeld. Bezahlen werden dafür wir | |
Urinlieferant*innen. | |
Dabei ginge im Prinzip alles ganz billig und einfach: Wir sammeln den | |
körpereigenen Rohstoff und nutzen ihn als Mineraldünger. Die Urinmenge, die | |
ein Erwachsener am Tag produziert, reicht aus, um einen Quadratmeter Acker | |
für ein Jahr mit den notwendigen Stickstoff- und Phosphormengen zu | |
versorgen. Das wäre eine echte Kreislaufwirtschaft ohne | |
Wasserverschmutzung, Energieverschwendung und giftigen Müll. | |
## Schwieriges Düngerecht | |
Natürlich sollten keine Reste von Medikamenten auf den Feldern landen – um | |
das verhindern, gibt es inzwischen Spezialfilter. Entwickelt wurden sie für | |
die geplante vierte Stufe der Kläranlagen, die demnächst eingeführt werden | |
soll, um Gewässer vor Mikroplastik und Arzneimitteln zu schützen. Während | |
die Filter in den Kläranlagen jedoch riesige Abwassermengen verarbeiten | |
müssten, könnte ihre Dimension bei der Behandlung von isoliertem Urin fast | |
99 Prozent kleiner ausfallen. | |
In der Schweiz gibt es bereits einen derart hergestellten Dünger auf dem | |
Markt. In Deutschland darf er nicht verkauft werden, weil das Düngerecht | |
nur bestimmte Ausgangsstoffe erlaubt; menschliche Ausscheidungen zählen | |
nicht dazu. | |
Doch zum einen werden wir es uns immer weniger leisten können, wertvolles | |
Trinkwasser einfach so ins Klo zu kippen. Zum anderen müssen wir den | |
Nährstoffkreislauf wieder schließen. Bei Stickstoff und Phosphor sind die | |
planetaren Grenzen schon längst überschritten. Das aber wird ignoriert, | |
weil das Geschehen auf dem „stillen Örtchen“ ein Tabu ist. | |
Booten wir die Chemieindustrie mit ihrem teuren Kunstdünger einfach aus! | |
Was sie mit hohen Belastungen für Umwelt und Klima herstellt, fließt | |
täglich einfach aus uns heraus. Genau wie Sonnenenergie und Wind fallen | |
auch menschliche Ausscheidungen dezentral und kostenlos an. Wir alle sind | |
Düngerproduzent*innen. | |
Im Prinzip kann jede und jeder sofort anfangen. Wir müssen nur unseren Urin | |
auffangen und mit Wasser verdünnt Zimmerpflanzen und Gartenbeeten zukommen | |
lassen. Allerdings sind die so einsetzbaren Mengen sehr begrenzt. Ein | |
solidarischer Landwirtschaftsbetrieb in Frankreich hat deshalb bereits ein | |
größeres Kreislaufsystem entwickelt: Der Bauer liefert Gemüse in die Stadt | |
und nimmt den Flüssigdünger der Mitglieder zurück aufs Land. | |
## Engagierte Trockenklo-Community | |
Jenseits solcher privaten Initiativen aber bräuchte es große, | |
alltagstaugliche Sammel- und Verarbeitungskapazitäten. Die Techniken dafür | |
existieren. Die Sanitärfirma Laufen hat eine Toilettenschüssel entwickelt, | |
bei der der Urin unverdünnt abgeleitet werden kann. | |
Doch nötig sind Umbauten in großem Stil. Die gute Nachricht: Längst ist | |
eine kleine, aber höchst kompetente und engagierte Community am Werk. Sie | |
entwickeln Trockentrennklos und Verarbeitungsanlagen für Kot und Urin, | |
Gesetzesvorschläge und Praxisprojekte. Erstmals wird [4][der Verein NetSan] | |
auch bei der [5][„Wir haben es satt“-Demo diesen Samstag] dabei sein und | |
fordern: Ernten, essen, ausscheiden und düngen müssen wieder einen | |
Stoffkreislauf bilden. | |
17 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Abfallwirtschaft-in-Deutschland/!5965004 | |
[2] /Folgen-der-Hitze-in-Niedersachsen/!5505990 | |
[3] /Verheerender-Wassermangel-im-Sommer/!5701894 | |
[4] https://www.netsan.org/ | |
[5] https://www.wir-haben-es-satt.de/ | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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