# taz.de -- AfD im Osten: Wappnen für den Ernstfall | |
> Vor den Landtagswahlen im Herbst diskutiert die Politik in Thüringen, ob | |
> es eine blockadesicherere Verfassung braucht. Die hat einige Lücken. | |
Bild: Die AfD-Fraktion während der Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 14… | |
Das nach einer [1][Correctiv-Recherche aufgeflogene Geheimtreffen] von | |
AfD-Politiker*innen, Unternehmer*innen, CDU-nahen Akteur*innen | |
und rechtsextremen Ideolog*innen hat viele aufgeschreckt. Im Landhaus | |
Adlon in Potsdam haben sie Ende November 2023 über den Plan für | |
millionenfache Deportationen nach rassistischen Kriterien– auch von | |
deutschen Staatsbürger*innen mit Migrationsgeschichte – diskutiert. | |
Die Correctiv-Recherche wirft ein Schlaglicht darauf, was droht, wenn die | |
extrem rechte AfD Macht bekommt. Geschichte und Gegenwart zeigen: Die | |
größte Gefahr durch faschistische Formationen setzt meist mit Wahlerfolgen | |
ein, die nächsten Etappen sind das Aushebeln der demokratischen Spielregeln | |
und der Gewaltenteilung und das [2][Ausweiten des staatlichen | |
Gewaltmonopols]. Der [3][deutsche Rechtsstaat ist nicht so robust | |
aufgestellt, wie viele meinen.] | |
Auch institutionell beginnt die Wirkmacht autoritärer Formierungen wie der | |
AfD nicht erst mit einer Regierungsbeteiligung. Ein demokratischer | |
Härtetest droht im Herbst 2024 bei den Landtagswahlen in Brandenburg, | |
Sachsen und Thüringen. In allen drei Bundesländern ist die AfD in Umfragen | |
derzeit stärkste Kraft mit teils deutlichem Abstand und über 30 Prozent in | |
den Umfragen. | |
33,3 Prozent sind dabei eine neuralgische Marke: Bekommt die AfD mehr als | |
ein Drittel der Landtagsmandate, wird die extrem rechte Partei zu einem | |
noch größeren Machtfaktor, weil sie eine Zweidrittelmehrheit verhindern | |
könnte. | |
Mit [4][dieser Sperrminorität] könnte die AfD wichtige demokratische | |
Prozesse wie Verfassungsänderungen, die Berufung von | |
Verfassungsrichter*innen, die Ernennung von Richter*innen oder die für | |
die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständige Parlamentarische | |
Kontrollkommission beeinflussen, blockieren oder behindern. | |
## Höcke will Gelder für Kampf gegen Rechts streichen | |
Besonders komplizierte Verhältnisse drohen in Thüringen: Schon seit 2019 | |
verhinderte die dort starke AfD klare Mehrheiten, weil ohne Linke oder AfD | |
keine Regierungsbildung möglich war. Die CDU betont bis heute die | |
Brandmauer zu den extrem Rechten, hält aber auch am | |
Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linken fest. | |
Das Ergebnis war der Schock nach der Wahl des | |
[5][Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP)] im Februar 2020 – | |
auch mit Stimmen der AfD. Nach bundesweiter Entrüstung trat Kemmerich | |
zurück, seitdem regiert eine [6][rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter | |
Bodo Ramelow (Linke)] mit teils großen Schwierigkeiten, Gesetze | |
durchzubringen. Und die CDU setzt im Vorwahlkampf die Minderheitsregierung | |
auch unter [7][strategischer Nutzung der AfD-Stimmen unter Druck]. | |
Bei der Wahl in Thüringen hat der AfD-Landeschef, Rechtsextremist Björn | |
Höcke, beste Chancen auf ein gutes Ergebnis. Als der Kopf des völkischen | |
Parteiflügels kürzlich mit rund 88 Prozent zum Spitzenkandidaten für die | |
Landtagswahl aufgestellt wurde, fantasierte er machttrunken gar von der | |
absoluten Mehrheit und kündigte an, dass er als Ministerpräsident „die | |
Machtfrage stellen“ werde. Als erste Amtshandlung wolle er alle Gelder im | |
Kampf gegen rechts streichen und dann den Rundfunkstaatsvertrag kündigen. | |
Um sämtliche mögliche Szenarien durchzudeklinieren, haben die | |
Jurist*innen vom Fachportal Verfassungsblog das [8][„Thüringen Projekt“] | |
gestartet. Ziel ist, genau auszuloten, wo es in der Landesverfassung | |
Schwachstellen gibt. Kurzum: Wo bieten sich autoritären Parteien | |
Angriffsflächen – und wie kann man sich dagegen wappnen? | |
Initiator des Projekts ist Maximilian Steinbeis, Chefredakteur des | |
Verfassungsblogs. Er mahnt an, dass sich die rot-rot-grüne | |
Minderheitsregierung sowie die CDU Gedanken machen müssten über | |
verfassungsrechtliche Spielräume für autoritäre Parteien. Die sieht er | |
insbesondere in der Formulierung im [9][Artikel 70 der Landesverfassung], | |
in dem es um die Ministerpräsidentenwahl bei der konstituierenden Sitzung | |
des Landtags geht. | |
## AfD könnte Ministerpräsident stellen | |
Ein mögliches Szenario: Nach zwei Wahlgängen ist noch kein | |
Regierungsoberhaupt gewählt, weil die Kandidat*innen keine absolute | |
Mehrheit erreichen konnten. Dann gilt im dritten Wahlgang laut | |
Landesverfassung als gewählt, wer „die meisten Stimmen erhält“. | |
Das lasse Spielraum für verschiedene Auslegungen: Theoretisch könnte ein | |
ohne Gegenkandidat antretender Ministerpräsident im dritten Wahlgang mit | |
nur einer Jastimme gewählt sein, obwohl er deutlich mehr Neinstimmen | |
bekommen hat. Die [10][Auslegung ist rechtlich umstritten]. Andererseits | |
sichert die Meiststimmenregelung, die auch in anderen Landesverfassungen | |
steht, dass das Parlament in jedem Fall seiner Kernfunktion nachkommt, eine | |
Regierung zu bilden. | |
Hinzu kommt die politisch komplexe Lage. Denn praktisch könnte der dritte | |
Wahlgang auch so ausgehen: Wenn die CDU auf ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss | |
gegenüber der Linken beharrt und SPD, Grüne und Linke zusammen nicht auf | |
mehr Abgeordnete als die AfD kommen, könnte Thüringen am Ende mit Höcke als | |
Ministerpräsident dastehen, gewählt mit den „meisten“ Stimmen – denen d… | |
AfD. | |
Denkbar wäre auch eine Neuauflage des Kemmerich-Szenarios, wenn die AfD | |
erneut vorsätzlich einen eigenen Kandidaten durchfallen lässt – etwa um | |
einen CDU-Kandidaten mitzuwählen. | |
Steinbeis jedenfalls mahnt an, die Lücke zu schließen – „oder zumindest d… | |
Szenario abzuwenden, dass es eine Regierung gibt, die bis zur Klärung durch | |
das Verfassungsgericht von der AfD als verfassungswidrig diffamiert werden | |
kann“, wie er sagt. | |
## Schlafwandelnd in ein Desaster | |
Für die Auslegung der strittigen Verfassungspassage ist am Ende der | |
Landtagspräsident verantwortlich. Und hier lauert das nächste Problem: | |
Bisher stellt laut Geschäftsordnung die stärkste Fraktion den | |
Landtagspräsidenten – und die könnte nach der Wahl am 1. September die AfD | |
sein. | |
Im Zweifel könnte also ein Rechtsextremer nach dem dritten Wahlgang das | |
Ergebnis auslegen. Zwar könnten die anderen Fraktionen vor dem Thüringer | |
Verfassungsgerichtshof klagen, aber die Hängepartie würde eine | |
Verfassungskrise herbeiführen, Parlament und Amt beschädigen – eine | |
Situation, die wie gemacht wäre für ein Ausschlachten durch autoritäre | |
Parteien. | |
Um ein solches Chaos zu verhindern, hat jüngst der thüringische | |
Innenminister Georg Maier (SPD) eine Verfassungsänderung gefordert, um das | |
System „wetterfest“ zu machen – in der laufenden Legislatur könnte man | |
diese noch per Zweidrittelmehrheit ohne die AfD beschließen, wenn CDU, | |
Grüne und Linke mitspielten. Maier warnte in der Süddeutschen Zeitung | |
davor, [11][erneut in ein Desaster zu schlafwandeln]. | |
Sein Ministerpräsident Ramelow widersprach allerdings vehement, er halte | |
nichts von „apokalyptischen Zuspitzungen“, wolle eine Niederlage nicht | |
schon vor dem Wahlkampf thematisieren oder „das Problem nur über | |
juristische Spitzfindigkeiten lösen“, weil das nur bei der AfD einzahle. | |
## Verfassungsänderung wäre Bärendienst | |
Auch Steffen Dittes, Fraktionsvorsitzender der thüringischen Linken, sagte | |
der taz: Anzuzweifeln, ob die Verfassung und ihre Institutionen | |
insbesondere bei der Ministerpräsidentenwahl „wetterfest“ seien, erweise | |
der Demokratie einen Bärendienst. „Es ist ein Armutszeugnis, heute vom | |
Scheitern der Demokraten auszugehen und daran eine Verfassungsregelung | |
ausrichten zu wollen.“ Zunächst müsse über eigene Politik, aber auch in der | |
Auseinandersetzung alles getan werden, was eine starke AfD verhindere, so | |
Dittes. | |
Er warnte trotz drohender AfD-Sperrminorität auch davor, Minderheitenrechte | |
etwa im Richterwahlausschuss zu beschneiden – das könnte sich schließlich | |
auch ins Gegenteil verkehren, wenn sich die Kräfteverhältnisse veränderten: | |
„Demokratieabbau zum Schutze der Demokratie ist eine schlechte Idee.“ | |
Wehrlos sei die Demokratie deswegen aber noch lange nicht, sagt Dittes und | |
verweist auf die in der Verfassung verankerte Möglichkeit eines | |
[12][Parteiverbots]. | |
Die CDU forderte unlängst zwar ein [13][unübliches Vorabklärungsverfahren | |
am Landesverfassungsgericht], rechnet aber mangels Einigkeit bei | |
Rot-Rot-Grün auch nicht mehr mit einer Einigung. Die | |
Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Madeleine Henfling sagte der taz, dass | |
sie immer noch für ein Vereindeutigen der Passage sei, „damit wir uns nicht | |
übertölpeln lassen“. Aber angesichts der festgefahrenen Postionen im | |
Verfassungsausschuss ist eine Änderung bezüglich des dritten Wahlgangs der | |
Ministerpräsidentenwahl nahezu ausgeschlossen. | |
Steinbeis vom Verfassungsblog findet es vor allem wichtig, dass die | |
Diskussion über drohende Szenarien in Gang gekommen ist. Politik und | |
Wähler*innen müssten sich vor der Wahl der systemischen Gefahren bewusst | |
sein, die durch eine autoritäre Partei wie die AfD drohen – das | |
Problembewusstsein steigere bereits die Resilienz. Steinbeis sagt: „Es gibt | |
kein absolut wasserdichtes System. Man kann die autoritäre Bedrohung nicht | |
durch Verfassungsdesign ausschließen.“ Letztlich bleibe es eine Frage der | |
politischen Verantwortung – der Politiker*innen, aber auch der | |
Wähler*innen. | |
Immerhin, eine Einigung dürfte unter den Demokrat*innen noch möglich | |
sein. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, André Blechschmidt, | |
sagte der taz, dass gegenwärtig gemeinsam mit anderen Fraktionen die | |
Geschäftsordnung mit Blick auf die Wahl des Landtagspräsidenten diskutiert | |
werde. Denkbar sei, dass die Wahl geöffnet werde, wenn der vorgeschlagene | |
Kandidat der stärksten Fraktion in mehreren Wahlgängen nicht auf eine | |
erforderliche Mehrheit komme. Dann könnte der dritte Wahlgang für | |
Kandidaten anderer Fraktion geöffnet werden. Gut möglich also, dass dann | |
nicht die AfD den Landtagspräsidenten stellt, auch wenn sie stärkste Kraft | |
wird. | |
13 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrati… | |
[2] /Umgang-mit-Rechten/!5564221 | |
[3] https://verfassungsblog.de/ein-volkskanzler/ | |
[4] https://www.zeit.de/2023/38/maximilian-steinbeis-afd-landtagswahlen-ostdeut… | |
[5] /Die-FDP-in-der-Bundesregierung/!5935571 | |
[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-04/thueringen-landesregierung-… | |
[7] /Broeckelnde-Brandmauer-in-Thueringen/!5957988 | |
[8] https://verfassungsblog.de/thuringen-projekt/ | |
[9] https://www.bsbd-thueringen.de/aa_pdf/Ges01_Verfassung.pdf | |
[10] https://verfassungsblog.de/wenn-bjorn-hocke-sein-volk-befragt/ | |
[11] https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-thueringen-georg-maier-demokratie-… | |
[12] https://www.steffendittes.de/home/detail/es-ist-schon-einmal-passiert/ | |
[13] https://verfassungsblog.de/in-thuringen-nichts-neues/ | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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