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# taz.de -- Taser für Schleswig-Holsteins Polizei: Düstere Aussichten
> Elektroschocker als Polizei-Waffe sind gefährlich. Besonders schlecht ist
> die Idee, Taser ausgerechnet in Kiels Drogen-Stadtteil Gaarden
> einzusetzen.
Bild: Ein Elektroschock durch Pfeile, die an Drähten hängen: Taser in den Hä…
Schleswig-Holstein will endlich auch mitmachen: In diesem Jahr sollen in
Kiel die ersten Polizist:innen mit sogenannten Tasern bewaffnet auf
Patrouille gehen. Mit den „Distanzelektroimpulsgeräten“ (DEIG), wie die
Polizei die Taser nennt, werde „eine Lücke zwischen Schlagstock und
Schusswaffe“ geschlossen, frohlockte kürzlich eine Sprecherin der
Polizeidirektion Kiel.
Doch Freude über diese Einführung ist doppelt fehl am Platz: Elektroschocks
sind, erstens, für niemanden ungefährlich. Sogar tödlich können sie für
Drogenkonsumierende sein. Drum ist es, zweitens, eine besonders schlechte
Idee, dass die Elektroschocker ausgerechnet im Stadtteil Kiel-Gaarden
eingeführt werden sollen, wo es seit Jahren eine große offene Drogenszene
gibt.
Dass Schleswig-Holstein jetzt auch tasern will, ist sonderlich überraschend
allerdings nicht. Das Land folgt mit der Entscheidung einem
[1][bundesweiten Trend]. Seit Rheinland-Pfalz 2018 den Anfang gemacht
hatte, hat Bundesland um Bundesland sukzessive DEIGs für die
Streifenpolizei eingeführt. Nur in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt
sind die Waffen weiterhin ausschließlich Sondereinsatzkommandos
vorbehalten.
Nun soll in Schleswig-Holsteins also Gaarden den Anfang machen. Der
ehemalige Arbeiter*innenstadtteil Gaarden ist das Viertel mit der
höchsten Armutsquote in Kiel. [2][Hier konsumieren viele Menschen im
öffentlichen Raum illegalisierte Drogen.] In den letzten zwei Jahren hat
sich die Situation auf den Straßen von Gaarden durch die Droge Crack und
die zunehmende Wohnungsnot verschlimmert. Das berichten einhellig
Sozialarbeiter*innen und Menschen aus der Drogenhilfe in Kiel.
Crack macht schnell süchtig, wirkt kurz und stark und ist billig.
Konsumierende sind schnell körperlich richtig runter, Schlafentzug macht
nicht wenige auch psychisch instabil. Zusammen mit dem Wohnungsmangel und
der steigenden Obdach- und Wohnungslosigkeit, den man in Kiel wie in den
meisten Großstädten in Deutschland erlebt, bedeutet das: mehr Menschen in
psychischen und physischen Ausnahmesituationen im öffentlichen Raum.
In dieser Gemengelage will das Land nun also Elektroschocker einsetzen. Die
Beamt*innen vom Polizeirevier Gaarden werden Personen aus bis zu fünf
Metern Entfernung beschießen, mit Drähten mit kleinen Pfeilen daran, die
bis zu einem Zentimeter tief in Haut oder Kleidung eindringen und Strom
leiten. Wer einen solchen Schuss abbekommt, ist durch einen rund fünf
Sekunden dauernden schmerzhaften Krampf erst mal ausgeknockt.
Das klingt nicht nur gefährlich, sondern [3][ist es auch.] Zwar werden
Befürworter*innen der DEIGs nicht müde, die deeskalierende Wirkung der
Geräte (beziehungsweise ihres bloßen Anblicks) zu betonen. Fakt ist aber
auch, dass ein Taser-Schuss für herzkranke oder unter Drogen stehende
Menschen lebensbedrohlich sein kann. Das belegt etwa eine umfassende
Recherche der Nachrichtenagentur Reuters zu Todesfällen nach
Taser-Einsätzen in den USA.
In Deutschland sind seit der Ausweitung der Nutzungsbefugnis im Jahr 2018
neun Menschen nach Taser-Schüssen gestorben. Erst am vergangenen Wochenende
[4][starb ein 26-jähriger Mann in Mühlheim an der Ruhr], nachdem er im
Rahmen eines Polizeieinsatzes einen Taser-Schuss abbekommen hat. Auch er
soll nach ersten Obduktionsergebnissen unter Drogeneinfluss gestanden
haben.
Im Innenministerium von Schleswig-Holstein betont man, Ziel der Taser sei
vor allem der Drogenhandel der organisierten Kriminalität.
„Betäubungsmittelkonsum ist nicht der Grund für einen DEIG-Einsatz, aber
für sich alleine auch kein Ausschlusskriterium“ sagt die zuständige
Innenstaatsekretärin.
Für die Menschen in Kiel-Gaarden sind das düstere Aussichten. Die Polizei
bekommt zwar wie gewünscht endlich was in die Hand für die „Lücke zwischen
Schlagstock und Schusswaffe“. Doch eine potentiell tödliche Waffe ist nie
ein guter Lückenfüller.
11 Jan 2024
## LINKS
[1] /Neues-Polizeigesetz-fuer-Berlin/!5961246
[2] /Kiels-erster-Drogenkonsumraum/!5979505
[3] /Gewalt-durch-Beamte-in-Dortmund/!5889625
[4] /Tasereinsatz-der-Polizei/!5982120
## AUTOREN
Amira Klute
## TAGS
Kiel
Polizei Schleswig-Holstein
Taser
Drogenhandel
Junkies
Taser
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Marco Buschmann
Polizeigesetz
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