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# taz.de -- Nachfolger des Berlin-Passes: Bürokratie-Monster für Arme
> Mit dem Nachfolger des Berlin-Passes sollte alles einfacher werden. Doch
> der neue „Berechtigungsnachweis“ gilt als Totalausfall.
Bild: Selbst die Politik sagt: Mit dem Berlin-Pass lief es einfacher
Berlin taz | Der Ärger mit dem Sozialticket nimmt kein Ende: Viele Menschen
mit wenig Geld, die Anrecht auf ein 9-Euro-Sozialticket für die BVG haben,
bekommen bei Kontrollen eine 60-Euro-Buße aufgebrummt. Der Grund: Sie haben
zwar ein Sozialticket gekauft, sind aber nicht im Besitz der neuen
VBB-Kundenkarte Berlin S, die den Berlin-Pass abgelöst hat.
Seit Oktober wurden nach taz-Informationen rund 6.000 Bußgelder für
Sozialticket-Inhaber verhängt. Bis Ende September waren 4.786 Menschen
betroffen, heißt es in einer [1][Antwort der Senatsverwaltung für Soziales
auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg]. Dabei galt bis
dahin sogar eine „Übergangsfrist“ mit Kulanz, weil es bei Ausstellung der
Kundenkarte von Beginn an Probleme gab – wovon aber viele Kontrolleure
nichts wussten.
Zur Erinnerung: Der Berlin-Pass wurde zum 1. Januar abgeschafft. Mit ihm
konnte man sich nicht nur das Sozialticket kaufen, sondern bekam auch
andernorts Ermäßigungen. Berechtigte konnten sich den Pass recht
unbürokratisch bei den Bürgerämtern besorgen. Doch die Politik wollte
[2][die Bürgerämter entlasten] und zugleich die Digitalisierung der
Verwaltung vorantreiben.
So hatte der rot-grün-rote Vorgängersenat beschlossen, dass Bezieher von
staatlichen Leistungen automatisch mit ihrer Leistungsbewilligung einen
„Berechtigungsnachweis“ zugesandt bekommen. Und zwar jeder von seiner
Behörde: Bürgergeldempfänger vom Jobcenter, Asylbewerber vom Landesamt für
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Sozialhilfeempfänger von den Sozialämtern
der Bezirke. Neu hinzu kamen als Berechtigte die Wohngeldempfänger, für
die die Wohngeldstellen zuständig sind.
## Nichts klappt wie geplant
Mit diesem Berechtigungsnachweis und einem darin enthaltenen QR-Code soll
man bei der BVG die VBB-Kundenkarte Berlin S beantragen. Für alle anderen
Vergünstigungen [3][soll es reichen, den Berechtigungsnachweis vorzulegen].
Doch nichts klappte wie geplant. So kamen und kommen viel Ämter nicht mal
mit dem Verschicken der Berechtigungsnachweise hinterher. Das LAF und die
Sozialämter waren schon vorher überlastet, sind es nun noch mehr. Die
Jobcenter drucken – zentral geregelt – nur alle paar Wochen ihre Bescheide.
In der Folge warten Menschen wochenlang auf ihren Berechtigungsnachweis,
ohne den sie keine VBB-Karte beantragen können.
Nicht wenige Betroffene scheitern zudem an der Beantragung der Karte bei
der BVG, die zunächst nur online möglich war. Auch gab es technische
Schwierigkeiten, so wurde der QR-Code bisweilen nicht erkannt. Bis Anfang
Oktober galt daher auch jene „Übergangsfrist“, in der bei BVG-Kontrollen
auch der Berechtigungsnachweis vorgezeigt werden konnte.
Inzwischen hat die BVG auf Bitten der Sozialverwaltung zwar ein papiernes
Antragsverfahren möglich gemacht. Trotzdem kritisiert Taylan Kurt, der
sozialpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion: „Das ganze Verfahren ist
viel zu bürokratisch, die sprichwörtliche Oma Erna ist damit völlig
überfordert.“
## BVG erklärt sich für nicht zuständig
Die BVG weist jegliche Schuld von sich: Die Sozialverwaltung habe die
Digitalisierung gewollt. Zudem habe es zwar ein paar Wochen lang „kleinere
Anlaufschwierigkeiten mit der Plattform“ gegeben, so ein BVG-Sprecher zur
taz. Doch die seien nun behoben. Man verschicke täglich 1.000
VBB-Kundenkarten Berlin S, insgesamt seien es rund 300.000. Allerdings
seien viele Leistungsberechtigte verunsichert „angesichts des komplexen
Prozesses“. Der BVG-Kundenservice würde mit Fragen zu Leistungsbescheiden
und -ansprüchen überhäuft – dafür sei man jedoch nicht zuständig.
Gerhard, ein Betroffener, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen
will, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die bürokratische Prozedur
sei keine einmalige Sache. Aktuell, berichtet der Wohngeldempänger, habe er
zwar eine VBB-Karte und ein gültiges Sozialticket – doch sein
Wohngeldbescheid laufe zum Jahresende aus.
Die Verlängerung habe er längst beantragt, aber noch keinen Bescheid und
keinen neuen Berechtigungsnachweis bekommen. Und selbst wenn er den in den
kommenden Tagen bekomme, müsse er ja wieder eine neue VBB-Karte beantragen.
„Im Januar werde ich erst einmal gezwungen sein, schwarzzufahren“,
befürchtet er.
Gerhard ist Teil einer Betroffenengruppe, die sich regelmäßig in der Kneipe
Lunte im Neuköllner Schillerkiez trifft, um etwas gegen das Sozialticket zu
unternehmen. Sie haben offene Briefe an Politiker*innen verfasst, bei
der BVG demonstriert, waren im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses. Ihre
Forderung: Der Berlin-Pass muss wieder her.
## „Politik muss Fehler eingestehen und korrigieren können“
Ähnlich sehen das inzwischen auch die zuständigen Politiker, die sich
im November gleich in zwei Sitzungen des Sozialausschusses mit dem Thema
befasst haben. Am Ende war man parteiübergreifend der Meinung, dass der
Senat zum alten Berlin-Pass-System zurückkehren sollte. „Ich will, dass die
Bürgerämter – so wie früher – wieder mit dieser Aufgabe betraut werden�…
sagt etwa der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft der taz.
Auch Neuköllns Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU), der im Ausschuss als
Vertreter der Verwaltungen gehört wurde, spricht sich für die Rückkehr zum
„alten papiergebundenen Berlin-Pass“ aus. Der taz erklärte er auf
Nachfrage, er würde es jedoch vorziehen, wenn der Berlin-Pass künftig von
der jeweils zuständigen Behörde ausgestellt würde. „Damit kann der
ansonsten befürchteten Belastung der Bürgerämter entgegengewirkt werden.“
Linke und Grüne haben nun einen gemeinsamen Antrag erarbeitet, den sie
demnächst ins Abgeordnetenhaus einbringen wollen: Die Verwaltung solle
„sofort“ zum Berlin-Pass zurückkehren oder zur „Übergangsregelung“ �…
zwar so lange, bis ein neues Prozedere wirklich funktioniert. „Der Senat
muss handeln, Berlin braucht ein funktionierendes Sozialticket“, sagt
Grünen-Politiker Taylan Kurt.
Die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katina Schubert,
ergänzt: Die Neuregelung sei ja „gut gemeint gewesen, aber nicht gut
gemacht“. Für Schubert ist klar: „Politik muss Fehler eingestehen und
korrigieren können.“
Das scheint inzwischen auch Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) zu
begreifen, der im Ausschuss das Problem noch kleinredete. Nun sagt er der
taz: „Anscheinend war der gefundene Weg nicht richtig.“ Was jetzt genau
passieren soll, sagt er hingegen nicht. „Die Rückkehr zum Berlin-Pass wäre
für die Sozialverwaltung der einfachste Weg“, aber in den Bezirksämtern
fehlten ja weiterhin die Ressourcen, so Bozkurt. „Ob es erneut ein Zurück
zur Übergangsregelung geben wird, bis es eine digitale Lösung gibt, ist
aktuell noch offen.“
21 Dec 2023
## LINKS
[1] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-17…
[2] /Modernisierung-der-Berliner-Verwaltung/!5950882
[3] https://www.berlin.de/sen/soziales/soziale-sicherung/bn-berlin-ticket-s/bn-…
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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