# taz.de -- BUND über Atommüll-Fahrten durch NRW: „Castor-Transporte stoppe… | |
> Die geplanten Atommülltransporte seien gefährlich und unnötig, sagen | |
> Kerstin Ciesla und Matthias Eickhoff. Es brauche ein Machtwort von ganz | |
> oben. | |
Bild: Probefahrt eines Atommülltransportes auf der A59 in Duisburg im November… | |
taz: Frau Ciesla, Herr Eickhoff, Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen | |
[1][protestieren in NRW seit Monaten gegen die in diesem Jahr geplanten | |
Castor-Transporte] vom rheinischen Jülich ins münsterländische Ahaus. | |
Warum? | |
Kerstin Ciesla: Weil die Transporte gefährlich sind. Es geht um | |
hoch-radioaktiven Atommüll aus dem Reaktor des ehemaligen | |
Kernforschungszentrums Jülich, der zwei Jahre lang fast jede Woche auf mehr | |
als 170 Kilometern über Autobahnen mitten durch die am dichtesten | |
besiedelten Regionen Nordrhein-Westfalens gefahren werden soll – etwa durch | |
den Düsseldorfer Flughafentunnel oder über die marode ‚Berliner Brücke‘ … | |
A59 mitten in meiner Heimatstadt Duisburg. Dabei könnte jede Beschädigung | |
der Castoren zum Austritt von Radioaktivität führen. | |
Matthias Eickhoff: Außerdem ist der Atommüll im Zwischenlager Ahaus kein | |
bisschen sicherer als in Jülich. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Eickhoff: Das Zwischenlager Ahaus ist fast 40 Jahre alt. Den heutigen | |
Sicherheitsstandards entspricht es längst nicht mehr. Etwa gegen | |
Flugzeugabstürze ist es nicht gesichert. Außerdem gibt es dort im Gegensatz | |
zu Jülich keine ‚heiße Zelle‘, in der defekte Castor-Behälter repariert | |
werden könnten. Dazu kommt: Die Genehmigung des Zwischenlagers Ahaus läuft | |
2036 aus – und die ersten Jülicher Castor-Behälter werden schon 2032 ans | |
Ende ihrer 40-jährigen Lebenszeit kommen. Das bedeutet: Wer heute Atommüll | |
nach Ahaus karrt, kann gleichzeitig schon den Abtransport beantragen – | |
zurück nach Jülich oder wohin auch immer. | |
Wieso sollen die Castoren dann überhaupt nach Ahaus? | |
Ciesla: Auch in Jülich liegt der Atommüll in einem Zwischenlager. Dessen | |
Betriebsgenehmigung ist aber schon 2013 ausgelaufen. 2014 hat | |
Nordrhein-Westfalens einstiger SPD-Wirtschaftsminister Garrelt Duin dann | |
die ‚unverzügliche Räumung‘ des Zwischenlagers Jülich angeordnet – weg… | |
angeblicher Erdbebengefahr. | |
Wieso angeblich? | |
Ciesla: Weil das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung 2022 | |
zu der Einschätzung gekommen ist, dass es für den Atommüll keine Gefahr | |
durch Erdbeben gibt. Der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde das aber erst im | |
Oktober 2023 – vom NRW-Wirtschaftsministerium als Atomaufsicht, das von der | |
[2][grünen Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur] geführt wird. | |
Was fordern Sie von Neubaur? | |
Eichhoff: Dass sie die unsinnigen geplanten Castor-Transporte stoppt und, | |
wie im schwarz-grünen Koalitionsvertrag versprochen, für den Neubau eines | |
neuen Zwischenlagers in Jülich sorgt, das den heutigen | |
Sicherheitsanforderungen entspricht. | |
Mona Neubaur argumentiert, die Entscheidung liege nicht bei ihr, sondern | |
bei der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen, kurz JEN – und | |
die verfolge beide Optionen, also sowohl Transporte nach Ahaus als auch den | |
Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich. | |
Ciesla: Das stimmt aber ganz offensichtlich nicht. Obwohl die Genehmigung | |
der Atommüll-Lagerung in Jülich schon 2013 ausgelaufen ist, hat die JEN bis | |
heute keinen Antrag auf Bau eines neuen Zwischenlagers gestellt. Nicht | |
umsonst sind bereits Probetransporte ohne radioaktives Material von Jülich | |
nach Ahaus gerollt – der letzte als ‚Kalthandhabung‘ genannte Generalprobe | |
unter Beteiligung der NRW-Atomaufsicht. | |
Eickhoff: Um es klar zu sagen: Mit dem Argument, die Entscheidung über die | |
Zukunft des Atommülls liege bei der JEN und die verfolge weiterhin zwei | |
Optionen, wird der Öffentlichkeit Sand in die Augen gestreut. Schließlich | |
ist die JEN keine gewöhnliche Firma. | |
Sondern? | |
Eickhoff: Die JEN wird vom FDP-geführten Bundesforschungsministerium | |
finanziert – und von Neubaurs NRW-Wirtschaftsministerium. Im | |
JEN-Aufsichtsrat ist außerdem das Bundesfinanzministerium von FDP-Chef | |
Christian Lindner vertreten. | |
Das dürfte in Zeiten knappster Kassen von dem Argument der JEN, der | |
Transport nach Ahaus sei 25 Millionen Euro billiger als ein auf 100 | |
Millionen Euro geschätzter Zwischenlager-Neubau in Jülich, ziemlich angetan | |
sein, oder? | |
Ciesla: Es ist ein schlechter Witz, dass plötzlich mit der Finanzierung | |
argumentiert wird. Der Jülicher Hochtemperaturreaktor hat hunderte | |
Millionen Steuergeld verschlungen – und jetzt, wo es um die Sicherheit von | |
Millionen Menschen im am dichtesten besiedelten Bundesland geht, sollen auf | |
einmal Kosten eine Rolle spielen. Aber selbst das Bundesumweltministerium | |
kommt inzwischen auf mindestens 100 Mio. Euro für den reinen Transport. Da | |
wurden die massiven Polizeikosten noch gar nicht eingerechnet – und die | |
können sich schnell auf einen zwei- bis dreistelligen Millionenbetrag | |
summieren. | |
Eickhoff: Noch einmal: Wir reden über rund 300.000 hoch radioaktive | |
Brennelemente, die in 152 Castoren lagern – und die möglicherweise über | |
Jahre in gefährlichen Autobahn-Einzelfahrten mitten durch die | |
Landeshauptstadt Düsseldorf und durch das Ruhrgebiet gekarrt werden sollen. | |
Deshalb fordern wir von der gesamten schwarz-grünen Landesregierung, dass | |
sie diese unsinnigen und unnötigen Transporte verhindert. | |
Steht das überhaupt in der Macht der Landesregierung? | |
Eickhoff: Eindeutig ja. Das Land NRW hat alle Fäden in der Hand. Die | |
Landesregierung kann die Anordnung zur „unverzüglichen Räumung“ des | |
Jülicher Zwischenlagers, die Ex-Wirtschaftsminister Duin 2014 angeordnet | |
hat, jederzeit zurücknehmen. Dafür ist allein das Land und in Person | |
konkret die amtierende grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur zuständig. | |
Und ohne diese Räumungsanordnung gäbe es keine Notwendigkeit für die | |
Atommülltransporte von Jülich nach Ahaus. | |
Ciesla: Neubaurs Argumentation, ihr seien die Hände gebunden und die | |
Entscheidung über die Transporte liege bei der JEN, grenzt an | |
Desinformationspolitik. Als Chefin der NRW-Atomaufsicht kann sie jederzeit | |
eine befristete Duldung für das bisherige Zwischenlager Jülich aussprechen. | |
Damit wäre Ahaus als Option hinfällig. Und dann muss sie endlich zu einem | |
Spitzengespräch einladen und Vertreter:innen der Bundesministerien für | |
Umwelt, Forschung und Finanzen sowie der JEN an einen Tisch bringen, um | |
möglichst schnell den Bau eines neuen, nach aktuellen Standards gesicherten | |
Zwischenlagers in Jülich anzugehen. Es ist ein Skandal, dass es seit 10 | |
Jahren kein einziges solches Spitzengespräch gegeben hat. | |
Was tun Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen, wenn die | |
Atommülltransporte dennoch rollen? | |
Ciesla: Zu massiven Demonstrationen entlang der Transportstrecke aufrufen, | |
bereits am 14. Januar in Ahaus – gemeinsam mit Landwirt:innen vor Ort. | |
Außerdem klagt die Stadt Ahaus noch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. | |
Nicht einmal diese Entscheidung wollen Bund und Land abwarten. | |
Hat [3][die Anti-Atom-Bewegung] denn überhaupt noch die | |
Mobilisierungsfähigkeit, genug Leute auf die Straße zu bringen, damit die | |
Proteste zu einem politischen Problem werden? | |
Ciesla: Ein Transport quer durchs Ruhrgebiet wird mit Sicherheit ein | |
Politikum. Gerade Social Media ermöglicht uns eine viel schnellere und | |
größere Mobilisierung als etwa 1998 – und da haben wir allein in Ahaus mehr | |
als 10.000 Menschen auf die Straße gebracht. | |
Eickhoff: Wenn die Castoren wirklich rollen sollten, wird es massive | |
Proteste geben – auch von Landwirt:innen. Die haben bereits gegen die | |
Probetransporte demonstriert. Viele Menschen beginnen erst jetzt zu | |
verstehen, welche gefährliche Fracht da bald an ihnen vorbeirollen soll. | |
Deshalb verstehe ich auch die Zögerlichkeit der schwarz-grünen | |
Landesregierung nicht. Die Atomfrage galt doch als befriedet – umso | |
unverantwortlicher ist es, alte Gräben wieder tief aufzureißen. | |
4 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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