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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Happy Winter Escape
> Eigenwillig und begeistert macht sich die Karen Kilimnik bei Sprüth
> Magers auf zum Strand. Im Haus des Papiers werden derweil Trinkhalme
> gereicht.
Bild: Sicht in Karen Kilimniks Ausstellung bei Sprüth Magers, Berlin
„Sprüth Magers is pleased to present beach paintings by Karen Kilimnik for
a winter escape“: Mit dieser Ankündigung sei alles gesagt, meint die 1955
in Philadelphia geborene Künstlerin, wo sie noch heute lebt und arbeitet.
Deshalb verzichtete die Galerie auf den Infotext zur Ausstellung.
Besucher:innen, die zum ersten Mal eine Ausstellung von Karen Kilimnick
sehen, werden ohne weitere Info dem Scherz mit der Winterpause vielleicht
zu sehr vertrauen und in Karen Kilimnik nur die Ironikerin sehen.
Denn zunächst muss ihre Art zu malen irritieren. Diese Art Sonntagsmalerei,
mit der sich die Künstlerin offenbar über die Malerei im Allgemeinen lustig
zu machen scheint, so beiläufig wie sie ihre Strände mit dünner Acrylfarbe
auf die Leinwand ‚aquarelliert‘. Gleichzeitig spürt man ihre Begeisterung,
dieses von Postkarten, Urlaubsprospekten und Hollywoodfilmen allzu
bekannte, stets menschenleere Motiv mit den schlanken Palmen, dem
makellosen weißen Sand und dem blau-glitzernden Meer, eigenhändig wieder
aufzufinden und neu zu erfinden.
Diese Begeisterung und Leidenschaft kommt letztlich in einer ganz
eigenwilligen Sicht der Strandlandschaften zum Ausdruck, wobei sich die
Eigenwilligkeit eher unauffällig bemerkbar macht. Zumal der
Ausstellungsaufbau der Beach paintings und Sea treasures im Vergleich zu
früheren, üppig bestückten und entsprechend komplexen Inszenierungen ihrer
Werke fast minimalistisch erscheint. Allein das Fehlen der menschlichen
Figur, die nicht einmal in der bekannten romantischen Rückenfigur
auftaucht, lässt aufhorchen. Und doch ist der Mensch an Kilimniks Stränden
präsent, der Tourist, der seine Piña Colada aus der Beach Bar entführt, um
sie unter Palmen, direkt am Meer zu genießen, wo er das Cocktailglas mit
dem bunten Schirmchen nun einsam und vergessen zurückgelassen hat.
Der Tourist ist auch in den verschiedenfarbigen Rauten zugegen, die im
Reiseführer auf besondere Sehenswürdigkeiten hinweisen. Nur dass sich diese
in „The pink beach“ (1967/2023) ausgerechnet in einem endlosen blauen
Himmel, einem ebenso endlosen grünblauen Meer und einem absolut leeren
rosafarbenen Strand finden sollen. Aber wir dürfen uns sicher sein, wir
sehen hier besondere Sehenswürdigkeiten, diese Strände, sie sind
unheimlich, darüber täuscht auch der lustig aus dem Wasser springende
Delphin in „The island beach“ (2023) nicht hinweg.
Einfach ein Seestück ist dann die Segelregatta an der „Cote d’azure (by
Raoul Dufy)“ (2022), ausnahmsweise mit wasserlöslicher Ölfarbe auf die
Leinwand gebracht. Auf im Raum verteilten Podesten liegen, gelegentlich
auch auf einem kleinen Sandkissen die „Sea treasures“, Bruchstücke der
glänzenden vergoldeten Rahmen, in denen Karen Kilimnik ihre leichthändig
skizzierten Zeichnungen und Ölbilder auf Papier gerne präsentiert und die
sie nun mit bunten Glassteinen, Muscheln und Seesternen inkrustiert hat.
Gerade dieser bunte, aus dem Meer geborgene Zierrat verstärkt die
Melancholie, die diese Flucht vor dem Winter in tropische Gefilde bei
[1][Sprüth Magers] begleitet.
## Mitten im Papier
Karen Kilimniks Karriere nahm Anfang der 1990er Jahre Fahrt auf, damals
eher unwahrscheinlich für eine Frau, die figurativ malte und mit
illustrativem Gestus einen weiblichen Kosmos aus Sex, Schönheit, Hunger,
Drogen, Pferden und Designerkleidern beschwor. So war es interessant nach
dem Besuch ihrer aktuellen Ausstellung ins [2][Haus des Papiers] zu gehen,
wo ein Film von Barbara Bongartz und Helga Weckop-Conrads gezeigt wurde,
der am 8. Juli 1987 im Kunstfilmprogramm der DOCUMENTA 8 in Kassel Premiere
feierte.
Der Abend war ein schöner Anlass, das Haus des Papiers kennen zu lernen.
Der Film „Nach allen Regeln der Kunst – Künstlerinnen in der BRD“ untern…
es, die Frage der Guerilla Girls „Why in 1987 is Documenta 95 % White and
83% Male?“ zu beantworten. 50 Künstlerinnen wurden von den Filmemacherinnen
interviewt und ihre Beobachtungen zum Kunstbetrieb aus weiblicher Sicht
treffen bis heute zu, während die Äußerungen der Herren und Damen aus den
Institutionen, also aus den Museen, Kunsthochschulen etc. das sind, was der
Ethnologe und Ökonom an der London School of Economics David Graeber
„Bullshit“ nennt.
Kein Bullshit ist das Haus des Papiers, das Ul Vohrer und Annette Berr von
der FineArt-Print Manufaktur d’mage als ein Museum ins Leben gerufen haben,
das sich der zeitgenössischen bildenden Papierkunst widmet. Gezeigt wird
also Papier als Werkstoff, als primäres bildnerisches und gestalterisches
Mittel in all seinen denkbaren Verwendungen. Sein kreatives Potenzial
entfaltet sich in Papierobjekten, in Papiervernähungen und Paper Cuts oder
in geköhlertem Papier. Was einen Besuch des Museums, der unbedingt
empfohlen wird, noch interessant macht, ist die stetig wachsende Bibliothek
mit Künstler- und Ausstellungskatalogen sowie verschiedenen
Fachpublikationen zur modernen und zeitgenössischen Papierkunst.
„Paper Tracks“ heißt eine Veranstaltungs- und Vortragsreihe, in der Themen
wie die regionale Papierherstellung, die künstlerische Forschung am Papier
oder überhaupt die Gegenwart der Papierherstellung vorgestellt werden. Der
Ehrgeiz der Gründerinnen reicht aber noch weiter und daher vergibt das Haus
jedes Jahr vier [3][Paper Residencies] an Künstler:innen. Die aktuelle
Ausstellung „CUT“ im Haus des Papiers zeigt denn auch Arbeiten bisheriger
Stipendiat:innen, ergänzt durch ausgewählte Positionen der bildenden
Papierkunst.
Dass Solveig Gubser mit ihrer Installation „Voll Treffer oder ‚Warum
schiesse ich tausende von Fotos‘“ (2023) besonders auffiel, liegt einfach
daran, dass die aus buntgefärbtem Filterpapier gemachten Pfeile, mit denen
eine Dartscheibe aus Papier gespickt ist, direkt an Karen Kilimniks
Cocktailschirmchen erinnerten und bei all dem Schneeregen gute Laune
verhießen. Riskant wirken Ines Schaikowskis Betonquader, die in der Mitte
offen sind und offenbaren, dass sie im Wesentlichen aus Trinkhalmen aus
buntem Kraftpapier bestehen. Und auch bei Finja Sander entwickelt das
Papier sein ganz eigenes Gewicht.
3 Jan 2024
## LINKS
[1] https://spruethmagers.com
[2] https://www.hausdespapiers.com/
[3] https://www.paperresidency.com/
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
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