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# taz.de -- Fotografie von Gursky und Andreani: In der Terra dei Motori
> In zwei Ausstellungen nahe Bologna zeigen Andreas Gursky und Giulia
> Andreani, wie unterschiedlich Fotografie sein kann. Auch mit Blick auf
> Düsseldorf.
Bild: Ausstellungsansicht von Giulia Andreanis „L’Improduttiva“ in der Co…
Derweil laufen in der italienischen Emilia Romagna um Bologna zwei große
Ausstellungen, die einen gewissen Vorgeschmack darauf geben könnten, was
einmal im geplanten Deutschen Fotoinstitut verhandelt wird. Einander
gegenübergestellt sind dort die fotografische Malerei der
französisch-italienischen Künstlerin Giulia Andreani und die malerische
Fotokunst des Düsseldorfers Andreas Gursky.
[1][Kunststar Gursky, ein Schüler von] Bernd und Hilla Becher, hatte sich
auch dafür eingesetzt, dass Düsseldorf zum Standort des zukünftigen
Deutschen Fotoinstituts wird und nicht das von einer Expertenkommission
favorisierte Essen.
Der Reichtum der beliebten Urlaubsstadt Bologna stammt aus dem Hinterland.
Die Terra dei Motori ist nicht nur Heimat von Edelmarken wie Lamborghini
oder Maserati, sondern auch zahlreicher hiermit eng verbundener Hidden
Champions der Maschinen- oder Lebensmittelindustrie. G.D, eine vor hundert
Jahren gegründete Motorradfabrik, die nun als Teil der Coesia Group
weltweit Verpackungsmaschinen herstellt, finanziert auf ihrem Firmengelände
das prächtige Fotomuseum MAST.
MAST tritt wie ein öffentliches Museum auf, ist jedoch stark nach dem Gusto
der Inhaberin und mehrfachen Milliardärin Isabella Seràgnoli hin
ausgelegt, die hauseigene Sammlung mit 5.000 historischen Fotoarbeiten
widmet sich vornehmlich industriellen Themen.
## Die Zusammenhänge der Weltwirtschaft als Tafelbild
Dort richtete nun der Schweizer Gastkurator Urs Stahel eine umfangreiche
Gursky-Werkübersicht ein. Gursky, Jahrgang 1955, hat sich mit einprägsamen
Bildern zu Orten der Globalisierung einen Namen gemacht. Das Großfoto
„Salerno I“ von 1990 zu Beginn der Ausstellung „Visual Spaces of Today“
verkoppelt Automobilindustrie, Containerhafenwirtschaft und
Massenwohnungsbau vor weitläufiger Berglandschaft zu einem präzisen
Tafelbild.
Auch spätere seiner Aufnahmen von Hotels, Warenverteilzentren,
Massenkonzerten, Agroindustrie oder Rennplätzen dröseln die Zusammenhänge
der Weltwirtschaft visuell auf, zeigen aber nicht mehr die analytische
Komplexion früherer Arbeiten. Über Jahrzehnte bot Gursky so ein
Bildrepertoire des Turbokapitalismus.
Doch dann, so sieht man, verzehrte er sich in der Glamourfotografie. Die
massive digitale Bearbeitung, das Collagieren oder die Überlagerung
mehrerer Aufnahmen, bereinigte seine gravitätischen Bilder zu sehr um
Widersprüche. „El Ejido“ von 2017 zeigt in die Tiefe [2][gestaffelte
Plastikgewächshäuser in Südspanien], der Künstler meinte aber im
Vordergrund noch Plastikbeutel an den Straßenrand hinmontieren zu müssen.
Sah Gursky vorher Strukturen, quatschen uns nun viele seiner Bilder voll.
Subtil erscheint dagegen die Luftaufnahme einer Tulpenplantage von 2016.
Ihre bunten Streifen erinnern an Farbfeldmalerei, nur einzelne
Plantagenarbeiter:innen sind darauf zu erkennen.
## Das ikonisch bereinigte „Rhein“-Bild
Der Fotograf Gursky scheint mittlerweile zur Marke erstarrt. In Düsseldorf,
wo sein [3][ikonisch bereinigtes „Rhein II“-Bild auch in der Staatskanzlei
hing], trat Gursky mit dem Verein zur Gründung und Förderung eines
Deutschen Fotoinstituts dem Standort- und Richtungsstreit des künftigen
Instituts bei. [4][Dessen Vereinsvorsitzender,] der einstige Gursky-Student
Moritz Wegwerth, sitzt nun in der Gründungskommission des Deutschen
Fotoinstituts.
Auf einen anderen [5][Düsseldorfer Großmeister, Gerhard Richter], bezieht
sich Giulia Andreani. Sie führt Richters auch die Fotografie behandelnde
Malerei in historisch-kritische Untiefen. In der Collezione Maramotti auf
dem Werksgelände der Modemarke Max Mara, wo Andreani gerade ihre
Ausstellung „L’improduttiva“ zeigt, hängt auch Richters „Kleiner liege…
Akt“.
Er ist Teil einer Sammlung mit Malerei und Skulpturen der westlichen
Nachkriegs-Hemisphäre, die der 2005 verstorbene Firmenpatriarch Achille
Maramotti anlegte. Richters Akt entstand 1967 nach einem schwarzweißen
Amateurbild für die Düsseldorfer Ausstellung „Sex und Massenmord“.
Auch Andreani, Jahrgang 1985, recherchiert historische Aufnahmen und
Archivmaterial für ihre Gemälde und setzt sie nach Collagetechniken
zusammen, orientiert sich dabei etwa an der [6][Dadaistin Hannah Höch].
Indem sie alles in Payne’s Grey überführt, einer altmeisterlich anmutenden
Farbmischung aus Preußischblau, gelbem Ocker und Karminrot, sind ihre
Bilder auf sanfte Modulationen der Aquarellmalerei heruntergebrochen – im
Kontrast zu den knallbunten Fotos von Gursky.
## Archivarisches aus der Zeit des italienischen Faschismus
Andreani widmet sich in der Collezione Maramotti der Geschichte des Ortes
während der Zeit des italienischen Faschismus. Im Zentrum steht eine
Aufnahme aus der Schneiderschule von Giulia Maramotti, Mutter des
Firmengründers Achille. Aus dieser und anderen historischen Abbildungen
entwickelt Andreani ihre „Malerei mit Fotografie“.
Entstanden sind gespenstische Bilder, anonyme Arbeiter:innen aus der
Werksgeschichte werden wieder sichtbar. Andreanis Vermalungen changieren
zwischen dokumentgleicher Präzision und wässrigem Grauschleier. Ihre auch
feministische bildliche Rekonstruktion der Vergangenheit bricht mit
Richters männlich konnotierter Gewalt von „Sex und Massenmord“.
Die opulenten Tafelbilder von Andreas Gursky erinnern an die Maschinen-Nähe
des Fotografischen, die Grauzonen von Giulia Andreani hingegen zeigen, wie
verstreut Bildquellen sein können.
12 Dec 2023
## LINKS
[1] /Wolfgang-Ullrichs-Kritik-am-Kunstmarkt/!5287881
[2] /Die-spanische-Stadt-El-Ejido/!5559433
[3] https://www.land.nrw/media/image/fotografie-rhein-ii-von-andreas-gursky
[4] https://dfi-ev.org/
[5] /Baselitz-Richter-Polke-Kiefer/!5625880
[6] /Ausstellung-im-Berliner-Broehan-Museum/!5833773
## AUTOREN
Jochen Becker
## TAGS
Fotografie
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