| # taz.de -- Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum: Der zerbrochene Raum | |
| > Von fliegenden Augen und Lufttänzerinnen: „Hannah Höch, abermillionen | |
| > anschauungen“ will das Bild der Künstlerin über Dada hinaus erweitern. | |
| Bild: Hannah Höch: „Eule mit Lupe“ (1945), Privatsammlung Düsseldorf © V… | |
| „ich möchte weiter den hinweis formen, daß es außer deiner und meiner | |
| anschauung und meinung noch millionen und abermillionen berechtigter | |
| anderer anschauungen gibt. am liebsten würde ich der welt heute | |
| demonstrieren, wie sie eine biene und morgen wie der mond sie sieht.“ | |
| Dieses Zitat von Hannah Höch, 1929 für den Prospekt einer ersten | |
| Einzelausstellung in Den Haag geschrieben, gibt ihrer Ausstellung im | |
| Bröhan-Museum den Titel „abermillionen anschauungen“. | |
| Man findet in ihren Bildern viele Wesenheiten, die, wenn auch eher | |
| fantastisch als vertraut, auf die Welt blicken: Kleine tulpenhohe | |
| Kopffüßler, die in einem Aquarell von 1924 einen Käfer betrachten; „Drei | |
| Lindenkäfer“ aus dem selben Jahr, die mit aufgerissenem Maul auf | |
| stacheligen Blättern sitzen. Immer wieder tauchen, vor allem in den | |
| Collagen, fliegende Augen auf, manchmal sogar wie Flügel geformte Augen, | |
| die durch multiperspektivische Raumwelten gleiten. | |
| Und einmal steht eine Pupille selbst wie ein Mond in einem dunklen, hell | |
| gesprenkelten Raum, begrenzt von kristallinen Formen in „Komposition mit | |
| Universum und Auge“ von 1940. | |
| Aber alles, was im Bild blickt und aus ihm heraus, macht allein noch nicht | |
| die Multiperspektivität bei Hannah Höch aus. Zu untersuchen und zu zeigen, | |
| wie Hannah Höch Räume verschachtelt, Fläche mit Tiefe verspannt, | |
| Vogelperspektiven mit anderen Blickrichtungen zusammenbringt, ist ein | |
| Anliegen der Kuratorin Ellen Maurer Zilioli, die die Höch-Ausstellung für | |
| das Bröhan-Museum konzipiert hat. | |
| ## Konstruktivismus und Futurismus, Surrealismus und Bauhaus | |
| Das gelingt ihr gut. Die Ausstellung zeichnet mit den Werken von Höch nach, | |
| wie die Berlinerin vielen Bewegungen der Avantgarden des frühen 20. | |
| Jahrhunderts gegenüber aufgeschlossen war. Die Künstlerin ließ sich | |
| inspirieren von den Dynamiken aus Konstruktivismus und Futurismus, von der | |
| Suche nach der Visualisierung des Geistigen in abstrakten Werken, vom | |
| Fantastischen des Surrealismus, von der Klarheit von Bauhaus. Doch in | |
| diesem Kontext schuf sie etwas Eigenes, mit großer „Autonomie und | |
| Freiheit“, wie Ellen Maurer Zilioli betont. | |
| Ein Augenmerk liegt auf verschiedenen Sockelelementen, die Höch wie kleine | |
| Bühnen in ihren Bildern nutzte. Wie in dem großen Gemälde „Symbolische | |
| Landschaft III“ (1930): Auf einem Sockel liegt eine Frau, der Kinder aus | |
| dem Leib steigen, aus anderen wachsen Pflanzen, so scharfkantig wie die | |
| Felsen im Hintergrund, und einmal stechen Äste durch eine Scheibe, sodass | |
| sie wie eine Palette mit Pinsel wirkt. | |
| In einer späten Collage, „Industrielandschaft“ (1967), wachsen an den | |
| Bildkanten Spitzen wie Stalaktiten und Stalagmiten nach oben und unten. | |
| Dazwischen blickt man Menschen auf den Kopf, die ameisenklein über große | |
| Plätze wuseln, unterbrochen von Spiegelungen von Hochhaussilhouetten im | |
| Wasser. So entsteht ein in viele Facetten geteilter Bildraum, | |
| diskontinuierlich und sprunghaft, vielleicht auch unzuverlässig, aber | |
| zugleich auch eine ornamentale Form, die mit Ähnlichkeiten arbeitet. | |
| Hannah Höch (1889–1978) ist in Berlin bekannt, die Berlinische Galerie hat | |
| viele Werke von ihr aus ihrem Nachlass, oft im Kontext von Dada | |
| ausgestellt. Die Schau im Bröhan-Museum zeigt eine Mischung aus bekannten | |
| und noch nie ausgestellten Arbeiten aus Museen und Privatbesitz und möchte | |
| den Blick auf eine Künstlerin jenseits von Dada weiten. Auch wenn die | |
| dadaistischen Collagen und Bilder immer wieder Höhepunkte bilden. | |
| Wie etwa „Ansichtssache“ von 1940, wo Masken wie aus einem asiatischen | |
| Theater grimmig und lachend vor fließenden Farbbändern schweben. Ein | |
| Abschnitt der Ausstellung gilt der Trauerarbeit während der Zeit des | |
| Faschismus, des Krieges und der Nachkriegszeit, in der Hannah Höch in | |
| Berlin ein sehr zurückgezogenes Leben führte. | |
| ## Weltflucht und innere Emigration | |
| 1943 entstanden die Aquarelle „Totentanz I–III“, in den Farben blass und | |
| ausgeblutet, sieht man darin Gespenster, Tote oder Schlafende und Träumende | |
| – man weiß es nicht –, aber alle haben die Augen geschlossen, drängen die | |
| Körper dicht aneinander und gleiten durchs Unbestimmte. | |
| Oder ein „Leviathan“ von 1950, ein Aquarell, in dem Maske und Gesicht | |
| verschmolzen sind, dunkle Farbbalken einen Körper bilden, der große Kopf | |
| einer Schlange griesgrämig von unten ins Bild blickt. Selbst im Dunklen ist | |
| oft noch eine Spur von Witz. | |
| Und der macht in vielen Arbeiten von Höch auch in dieser Ausstellung ihre | |
| Attraktivität aus. Die Beine von Tänzerinnen in Spitzenschuhen, in die Höhe | |
| gezogen von etwas Flügelschlagendem, kokettieren in der Collage „Nur nicht | |
| mit beiden Beinen auf der Erde stehen“ von 1940, mit Weltflucht und | |
| Realitätsverlust, dem Schicksal in der inneren Emigration. | |
| Eine andere Tänzerin springt in „Ungarische Rhapsodie“ mit lang gestreckten | |
| Beinen über Räder und andere routierende Elemente, eine raumgreifende und | |
| befreiende Bewegung. Die Bewegung in den Bildern ist das eine; wichtiger | |
| aber noch scheint der Kuratorin die gedankliche Beweglichkeit der | |
| Künstlerin und wie sie in ihrem Werk immer wieder neu nach Zugängen sucht, | |
| das Nichtsichtbare in die Sichtbarkeit zu holen. | |
| Seien es die Philosophen, mit denen sie sich beschäftigte, die technische | |
| Beschleunigung oder die Erkundung des Weltalls: Zitate von Hannah Höch an | |
| den Wänden und kurze Ausstellungstexte legen gute Spuren aus, wie man ihre | |
| Denkprozesse in den Bildern wiederfindet. | |
| 20 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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