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# taz.de -- Christliche „Konversionstherapie“: Wer braucht hier Heilung?
> Queers von ihrem Begehren abbringen war Ziel einer internationalen
> Konferenz in Warschau. Undercover zwischen Nonnen, Erzieherinnen und
> Psychologen.
Bild: Sie wähnen sich auf Gottes Seite, die Pläne rechter Homo-Heiler wirken …
Warschau taz | Auf das Eingangsgebet folgt ein Flaggenmarsch. 32 Menschen
ziehen mit Nationalfahnen durch die Stuhlreihen, sie tragen die
US-amerikanische, die englische, slowakische, norwegische, ungarische,
polnische und die deutsche Flagge. Die wehen stellvertretend für alle
Länder, die auf der Veranstaltung repräsentiert sind. Aus Lautsprechern
tönt ein Kinderchor. Ein Einmarsch wie bei Olympia. Nur dass sich hier
nicht der internationale Spitzensport trifft, sondern die ideologische
Führungsriege im Kampf gegen Homosexualität.
Es ist Freitag, der 27. Oktober, kurz nach 18 Uhr, ein fensterloser Saal in
einem Hotel am Rand von Warschau. 200 Personen haben auf rot gepolsterten
Stühlen Platz genommen und applaudieren den Flaggenträger*innen. Es sind
Christ*innen, Evangelikale, Katholik*innen aus der ganzen Welt. Was sie
eint, ist ihr Kampf gegen sexuelle und körperliche Selbstbestimmung. Sie
verachten die Ehe für alle und die Pride Parade. Nach Warschau sind sie
gekommen, weil sie lernen wollen, wie Homosexualität, trans und nichtbinäre
Identitäten „heilbar“ oder veränderbar sind.
Die Veranstaltung ist die neunte jährliche Konferenz der International
Foundation for Therapeutic and Counselling Choice. Die IFTCC ist eine
christliche Lobbyorganisation mit Sitz in London. Hinter ihr steht der Core
Issues Trust, eine Organisation, die in Nordirland gemeinnützigen Status
hat. Offiziell gibt sich die IFTCC als Hilfsorganisation aus. Ihr erklärtes
Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, die den „LGBT-Lifestyle“ verlassen
wollen. Wer sich genauer mit der IFTCC beschäftigt, merkt: Es geht nicht um
Unterstützung. Es geht um Umerziehung.
Die IFTCC arbeitet so intensiv wie keine andere evangelikale Organisation
daran, ihre Methoden im Kampf gegen queere Menschen unter ein europäisches
Publikum zu bringen. Sie trifft Politiker*innen in Großbritannien,
organisiert online Kampagnen und veranstaltet internationale Konferenzen.
## Dreitagesticket für 145 Euro
Die Konferenz in Warschau trägt das Motto: „Das Blatt wenden:
Fachübergreifende Ansätze zu den Themen Sexualität und Geschlecht.“ Hier
treffen sich polnische Psychologen, britische Erzieherinnen, slowakische
Nonnen, norwegische Pornografiegegner und deutsche Mediziner. Angekündigt
sind 23 Speaker*innen und Gäste aus 32 Ländern. Ein Dreitagesticket für
die Konferenz kostet 145 Euro, 200 Euro die Übernachtung im Hotel. „Wir
stehen gemeinsam gegen die progressive Ideologie“, heißt es im Vorwort des
Konferenzprogramms.
Zuständig dafür, dass alle Fahnenträger*innen in der richtigen
Reihenfolge einmarschieren, ist Janine F. Die 39-jährige Frisörin aus
Berlin gehört zum Organisationsteam hinter den Kulissen. Janine F. ist aber
auch vor den Kulissen wichtig. Auf Instagram und Youtube präsentiert sie
sich als „Ex-Gay“ – als eine, die mit ihrem Leben als verheiratete
lesbische Frau gebrochen hat. Gott habe sie geheilt. Die
Helfer*innentruppe auf der Konferenz in Warschau besteht aus mehreren
„Ex-Gays“. Sie tragen schwarze T-Shirts, auf ihren Rücken steht: „Once g…
– not anymore“, in Regenbogenfarben: „Einst gay – aber nicht mehr.“
Sie sind das hippe Gesicht der ansonsten eher grauhaarigen Organisation:
jung, modebewusst und Social-Media-affin. Sie sind der scheinbar lebende
Beweis dafür, dass es nicht nur möglich, sondern auch befreiend sei, die
eigene sexuelle Orientierung oder das Geschlecht zu unterdrücken.
Online gibt sich die IFTCC professionell. Auf ihrer Webseite steht, die
Organisation setze sich für „Therapiefreiheit“ ein. Was sie damit meint,
verrät eine von ihr veröffentlichte Petition, die sich gegen Verbote von
sogenannten Konversionsbehandlungen richtet. Konversionsbehandlungen sind
Praktiken, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder das
Geschlecht von Personen zu verändern. Ihre Verfechter*innen behaupten,
damit Menschen von Homosexualität oder trans Identität „heilen“ zu könne…
Dafür, dass das möglich ist, fehlt jede wissenschaftliche Grundlage. In
immer mehr Ländern sind Konversionsbehandlungen verboten, in Deutschland
für bestimmte Personengruppen.
## Mitleid und Vernichtungsfantasien
Offiziell will die IFTCC nichts mit therapeutischen Konversionsbehandlungen
an sich zu tun haben. Aber wer sich unter ihren Mitgliedern und Verbündeten
umhört, stößt schnell auf ein breites Spektrum an Ablehnung von queerem
Leben. Es reicht von Mitleid bis zu Vernichtungsfantasien.
Wer verstehen will, wie die Anhänger*innen der Organisation ticken,
muss sich hinter die professionelle Fassade begeben. Die Veranstaltung in
Warschau wird im Vorfeld nicht öffentlich beworben – nur auf Nachfrage
erfährt man das Wo und Wann. Im Newsletter wird gebeten, Infos zur
Konferenz nicht in sozialen Medien zu teilen. Journalist*innen sind
unerwünscht. Also verbergen wir unser journalistisches Interesse. Wir
melden uns als normale Gäste an, mit leicht veränderten Namen.
Auf der Konferenz sind wir als eine besorgte Pädagogin, eine
Sozialarbeiterin und als ein angehender Doktorand, der zu
„Therapiefreiheit“ forschen will, unterwegs. Wir werden oft gefragt, woher
wir von der Veranstaltung wissen. Unsere Antworten überzeugen, sobald die
szenetypischen Stichworte fallen: von einer Demo gegen Abtreibung, von
einer Kollegin in einem christlichen Familienzentrum, wegen eigener
Erfahrungen mit „ungewollter gleichgeschlechtlicher Anziehung“.
So öffnet sich ein Zugang zu diesem „geschützten Rahmen“, wie es eine
Teilnehmerin vor Ort nennt. Die drei Tage sind straff durchgeplant, ein
Vortrag folgt auf den nächsten. Die Speaker*innen sprechen frei, man
kennt sich, man vertraut sich. Ein Pastor referiert über eine
„glaubensbasierte Reise aus dem LGBT“ hinaus. Ein Mann, der sich selbst als
Sexsuchttherapeut bezeichnet, spricht über „Homosexualität als Symptom
sexualisierter Bindung“.
## Wege aus der Homosexualität
Das Publikum folgt gebannt. Es steht auf, wenn es Zeit für ein Gebet ist,
lacht, wenn ein Redner transfeindliche Witze macht. Fragen sind nach den
meisten Vorträgen nicht zugelassen.
Dabei wird es auf der Bühne zum Teil bizarr: Ein US-amerikanischer Berater
spricht von Methoden zur „Erholung“ von „gleichgeschlechtlicher Anziehung…
Eine Therapeutin sagt, sie behandle homosexuelle Patient*innen genauso
wie Personen mit Essstörungen. Die Frau eines britischen Pastors sagt im
Gespräch, es bräuchte dringend Forschung zu den Ursachen von
Homosexualität. Sie sagt auch, warum: „Ich meine, diese LGBT-Freaks, lassen
wir sie kastrieren? Was sollen wir tun?“
Doch bei aller Vertrautheit unter den Anwesenden ist in Warschau auch
Vorsicht spürbar. Zwar sprechen die Referent*innen offen über Wege aus
der Homosexualität – wie sie es nennen – „ungewollte
Nicht-Heterosexualität“. Doch das Wort „Konversionstherapie“ fällt nich…
Eine US-amerikanische Familientherapeutin plädiert zwar dafür, die „Mauern
der gleichgeschlechtlichen Anziehung niederzureißen“. Sie warnt aber vor
dem Gebrauch des „K-Worts“. Sie weiß, wie schlecht sein Ruf ist.
## Das Suizidrisiko kann steigen
Die taz hat die IFTCC nach der Konferenz in Warschau offiziell zu ihrer
Position zu Konversionsbehandlungen befragt. Die Organisation hat keine der
Fragen beantwortet, stattdessen verweist sie auf den Text auf ihrer
Webseite, in dem sie sich gegen Verbote von Konversionsbehandlungen
ausspricht.
Der EU-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hat im
vergangenen Sommer Konversionspraktiken in der EU untersuchen lassen. Dazu
zählen psychotherapeutische, medikamentöse und religiös motivierte
Konversionsversuche. Die Forscher*innen warnen vor dem
„diskriminierenden, entwürdigenden, schädlichen und betrügerischen
Charakter“ solcher Praktiken. Sie könnten psychische und physische
Erkrankungen zur Folge haben und das Suizidrisiko von Betroffenen erhöhen.
Menschenrechtsorganisationen bezeichnen Konversionspraktiken als Folter. In
immer mehr Ländern sind sie deshalb verboten. In Deutschland gilt seit 2020
das [1][„Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“]. Demnach macht
sich strafbar, wer sie an Minderjährigen und Menschen, deren Einwilligung
erzwungen wurde, durchführt.
Kurz vor Inkrafttreten verlegte „Wüstenstrom“, der bis dato bekannteste
deutsche Verein, dem Konversionsbehandlungen vorgeworfen wurden, seinen
Sitz in die Schweiz. Man fühle sich in Deutschland durch das Gesetz
„diskriminiert“. Eine Nachfrage der taz bei 16 Generalstaatsanwaltschaften
bundesweit ergibt allerdings: Bisher ist kein Strafverfahren auf Grundlage
des Gesetzes bekannt. Bedeutet das, dass seitdem keine
Konversionsbehandlungen mehr stattfinden? Oder bringt sie niemand zur
Anzeige?
Belastbare Zahlen dazu gibt es nicht. Doch Klemens Ketelhut hat Hinweise
gesammelt. Ketelhut arbeitet bei [2][Mosaik Deutschland], einem Verein für
politische Bildung in Heidelberg. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums
hat er eine Studie zu Konversionsbehandlungen durchgeführt. Er und sein
Team haben knapp 3.500 queere Personen nach ihren Erfahrungen befragt.
## Unter Legalität getarnt
Ein Ergebnis: 20 Prozent der Befragten, die aufgefordert wurden, ihre
sexuelle Orientierung zu ändern oder zu verbergen, machten diese Erfahrung
in religiösen Kontexten, etwa in der Gemeinde. Fast ein Drittel der
Befragten, die aufgefordert wurden, ihre Geschlechtsidentität zu ändern
oder zu unterdrücken, machten diese Erfahrung in einer Psychotherapie.
Für Ketelhut sind diese Ergebnisse alarmierend. Er sagt, besonders
gefährdet, auf Konversionsversuche hereinzufallen, seien Menschen, die sich
in der frühen Phase ihres Coming-outs befinden und gleichzeitig unter hohem
Druck durch ihr soziales Umfeld stehen. „Besonders wenn die Anforderungen
umfassend sind, wie in evangelikalen Sekten oder Neonazicliquen, die ja das
ganze Leben bestimmen, sind Leute besonders anfällig“, sagt Ketelhut im
Gespräch mit der taz. Zudem hätten die Angebote für Konversionsbehandlungen
einen immer professionelleren Anstrich. „Heute gibt es durchorchestrierte
Programme, die so gebaut sind, dass sie die Legalität behalten“, sagt
Ketelhut.
Diese Professionalität erkennt Ketelhut in den Aktivitäten des Core Issues
Trust und der IFTCC. Einerseits ermögliche die internationale Vernetzung
der Organisationen einen flexiblen Umgang mit Restriktionen, sagt der
Forscher: „Werden in einem Land gesetzliche Verbote erlassen, können die
Aktivitäten schnell und geräuschlos an andere Orte verlegt werden.“
In Großbritannien, dem Sitz der IFTCC, [3][ließ Premierminister Rishi Sunak
das jahrelang debattierte Vorhaben, ein Gesetz zum Schutz vor
Konversionsbehandlungen zu erlassen, Ende Oktober fallen]. Zudem, sagt
Ketelhut, habe es die IFTCC optimiert, unterschiedliche Zielgruppen auf
unterschiedlichen Wegen zu erreichen, von Social Media bis zu Treffen wie
der Konferenz.
## Horte der religiösen Rechten
Dass die IFTCC ihre diesjährige Konferenz in Warschau veranstaltet, ist
kein Zufall. Was die Organisation verbreitet, könnte andernorts als
Straftat gelten. In Deutschland ist auch die Werbung für
Konversionsbehandlungen verboten, sie gilt als Ordnungswidrigkeit. In Polen
allerdings, wo die rechtskonservative PiS-Partei in den vergangenen Jahren
die Rechte auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung stark beschnitten
hat, muss die IFTCC kaum Gegenwind fürchten. In den vergangenen Jahren fand
die Konferenz in Ungarn statt, davor in Bratislava: Die Horte der
religiösen Rechten in Osteuropa.
Das erste Treffen der Gruppe, aus der sich die IFTCC entwickelt hat, hat
nach Angaben der Organisation 2015 in Deutschland stattgefunden. Eine, die
damals dabei war, steigt neun Jahre später, am Samstag, gegen 19.30 Uhr in
Warschau auf die Bühne. Hinter dem Publikum liegen mehr als zehn Stunden
Programm. Vor ihnen steht jetzt [4][Christl R. Vonholdt], eine pensionierte
Medizinerin aus Hessen. Von 2017 bis 2020 war sie im Vorstand der IFTCC.
Während der Vorträge in Warschau sitzt sie in der vierten Reihe. Doch wenn
sich die 71-Jährige durch die Hotellobby bewegt, wird sie gegrüßt, grüßt
zurück, nickt, unterhält sich. „Es macht mir Freude zu sehen, wie die IFTCC
wächst“, sagt Vonholdt in das Mikrofon.
Die Ärztin ist eine bekannte Stimme in der deutschsprachigen
Konversions-Szene. Vonholdt leitete bis 2021 das Deutsche Institut für
Jugend und Gesellschaft (DIJG), ein Thinktank der evangelikalen Kommunität
Offensive Junger Christen (OJC) im Odenwald. Die OJC ist Teil der
Evangelischen Kirche.
Vonholdt scheut die Presse, sie veröffentlicht aber eigene Texte im
Internet. Sie schreibt gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare an
und warnt vor der gleichgeschlechtlichen Ehe. Trans Identitäten führt sie
in einem Text auf „soziale Ansteckung“ zurück. In einem älteren Text wurde
sie in Sachen Konversionstherapie sogar expliziter: Jugendliche sollten
über „die Möglichkeiten der Veränderung einer homosexuellen Neigung hin zur
Heterosexualität“ informiert werden, hieß es da. Der Text ist mittlerweile
gelöscht. Auf eine offizielle Anfrage der taz, wie sie heute zu
Konversionsbehandlungen steht, reagierte Vonholdt nicht.
## Sie sagt, Gott habe ihr den Weg gezeigt
Dafür lässt sie sich in Warschau auf ein persönliches Gespräch ein – in d…
Glauben, vor ihr stehe eine interessierte Pädagogin. Sie deutet an, dass
sie in der IFTCC inoffiziell aktiv geblieben sei, sie solle in der
Organisation eine neue Position bekommen. Zudem halte sie Vorträge und
reise zu Treffen nach Ungarn. Vonholdt wirbt auch für neue Mitglieder: „Wir
brauchen Verstärkung in Deutschland.“ Sie empfiehlt ein Buch. Vonholdt
beschreibt es so: Es gehe darin um die „Verrohung“, die hinter lesbischem
Begehren stecke. Und dass der Grund dafür „entwicklungsnachteilige
Kindheitserfahrungen“ sein könnten. Amazon verkauft dieses Buch nicht. Es
sei „hervorragend“, sagt Vonholdt.
Was in Warschau unter dem Deckmantel der Wissenschaft zusammenkommt, hat
seine ideologische Quelle in den USA. Als Vater der Konversionsbehandlung
gilt der Psychologe Joseph Nicolosi, der mit seiner sogenannten reparativen
Therapie seit den 1990er Jahren für die „Heilung“ von Homosexualität warb.
Gesundheitsorganisationen warnten: Seine Theorie habe keinen
wissenschaftlichen Halt. Später packten ehemalige Patient*innen und
Schüler*innen Nicolosis aus, berichteten von den Schäden, die die
Behandlung bei ihnen angerichtet hatte.
Nach der medizinischen Diskreditierung Nicolosis gründete sein Sohn, Joseph
Nicolosi Jr., 2018 die Reintegrative Therapy Association in Kalifornien.
Patient*innen sollen sexuelle Schlüsselfantasien besprechen, die
angeblich durch Traumata in der Kindheit entstehen. Dies erzeuge einen
Aha-Moment, der „spontane“ Heterosexualität auslöse, sozusagen als
unintendierten Nebeneffekt der Traumatherapie.
Nicolosi Jr. beruft sich auf wissenschaftliche Untersuchungen. Die taz hat
einige der Wissenschaftler*innen, auf die er sich bezieht, gefragt, ob sie
Nicolosis Lesart ihrer Studien zustimmen. Der Psychologieprofessor Ritch
Savin-Williams von der Cornell-Universität im Bundesstaat New York verwehrt
sich dagegen. Es sei „unglaublich“, schreibt er, dass „die Rechten“ sei…
Untersuchungen als Evidenz für Konversionsversuche verdrehen. „In der Tat
halte ich Konversionstherapie nicht nur für fehlgeleitet, sondern auch für
einen Ausdruck böser Absicht“, sagt Savin-Williams. Seine Forschung zeige:
Sexualität bewege sich zwar auf einem Spektrum. Aus seiner Sicht sei sie
jedoch angeboren.
## Gottes Influencer*innen
Bei der IFTCC ist Nicolosi Jr. weiterhin gern gesehen. Auf ihrer Webseite
bietet die IFTCC Kurse zu Nicolosis Thesen an, für 9,99 Euro pro Video. Bei
der Konferenz im vergangenen Jahr stand Nicolosi Jr. auf der Bühne.
Den Konversionslobbyist*innen reicht es nicht, sich in abgelegenen
Hotels zu treffen. Für mehr Reichweite nutzen sie die sozialen Netzwerke.
Auf Instagram betreibt der Core Issues Trust, die Trägerorganisation der
IFTCC, die Kampagne „X-Out-Loud“. Die Berlinerin Janine F., die in Warschau
den Flaggenmarsch koordiniert, ist Teil der Kampagne.
Sie und andere „Ex-LGBT“ dokumentieren dort, wie es angeblich gelingen
kann, die eigene Sexualität zu unterdrücken. Etwa in einem Video,
hochgeladen im September. Janine F. sitzt auf einer Couch, das Licht ist
schummrig. Janine F. sagt, Gott habe ihr den Weg aus ihrer lesbischen
Beziehung gezeigt. Sie führt die Gefühle zu ihrer Ex-Frau auf Verletzungen
in ihrer Kindheit zurück. Ihr Vater sei abwesend gewesen, ihre Mutter habe
nicht die traditionelle Rolle erfüllt, sie sei Pornografie „ausgesetzt“
gewesen. In ihrer Geschichte reiht sie dieselben Buzzwords aneinander, die
auch auf der Konferenz in Warschau fallen. 4.000-mal wurde das Video auf
Youtube angeschaut.
Die IFTCC braucht Janine F. und die anderen „Ex-LGBT“. Was wäre die Theorie
ohne die Geheilten? Auf Instagram posten sie Gruppenfotos von Reisen,
Treffen und Protesten. Vor zwei Jahren veröffentlichten sie ein Buch, in
dem 44 Personen erzählen, wie sie ihre queeren Identitäten „verlassen“
haben. Sie wollen zeigen: Wir sind laut, wir sind viele. Doch wer genauer
hinsieht, merkt: Es sind kaum mehr als ein Dutzend Aktive.
## Sie ziehen sogar Holocaust-Vergleiche
Die gemeinnützige US-Organisation GAPHE (Globales Projekt gegen Hass und
Extremismus) hat die digitalen Wortführer der Konversionstherapien
untersucht, darunter auch die X-Out-Loud-Kampagne. Deren
Protagonist*innen gehen taktisch vor, heißt es in dem Bericht: „XOL
vereinnahmt und verdreht die Sprache der LGBTQ+-Bewegung für ihre eigenen
Zwecke.“ Der Bericht betont, wie „extrem schädlich“ diese Praktiken für
Betroffene sind und warnt Techfirmen, diese Inhalte zu verbreiten.
Teilweise haben Social-Media-Unternehmen die Kampagnen im Blick. Instagram
blockierte kürzlich ein Profilbild mit dem Logo der Kampagne, vor zwei
Jahren löschte Facebook das Profil des Core Issues Trust. In Malta läuft
derzeit ein Strafverfahren gegen ein Mitglied der XOL-Kampagne. Der
Vorwurf: Werbung für Konversionsbehandlungen.
Doch die persönlichen Accounts der XOL-Mitglieder sind auf Instagram weiter
aktiv. Dort werben sie nicht nur für den „Ex-LGBT Lifestyle“. Ein
20-jähriges Mitglied schreibt in einem Beitrag von der vermeintlichen
Gefahr durch den „Kulturmarxismus“. Dazu postet er ein Foto von der
KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und den Hashtag #endwokeism, also etwa:
Beendet die woke Ideologie. Der Beitrag soll wohl nahelegen, dass
Forderungen nach einer gleichberechtigten Gesellschaft und der Holocaust in
Verbindung gebracht werden können. Es sind das Vokabular und ein Vergleich,
die auch die selbsternannte Neue Rechte gern verwenden.
Auch die IFTCC hat schon ähnlich argumentiert, um Gesetze zum Schutz vor
Konversionsbehandlungen zu verhindern. Diese Sprache wird auch auf der
Konferenz in Warschau gesprochen. Sie steht auf Präsentationen an der Wand
und gellt von der Bühne. Ein US-amerikanischer Redner diagnostiziert
LGBTIQ, Black Lives Matter und der Antifa „dasselbe Problem“: Ihre
„marxistischen Herzen“.
## Sie warnen vor einem Kulturkampf, den sie selbst befeuern
Eine polnische Psychologin erklärt, warum die „Agenda“ von LGBTIQ einer
kommunistischen Revolution gleiche. Neben queeren Menschen werden die
Medien, der Staat, und Linke zu Widersacher*innen erklärt. Die
Anwesenden raunen dann. Augenscheinlich wissen sie, wer gemeint ist, wenn
die Speaker*innen sagen: „diese Leute“, „unsere Gegner“. Sie warnen vor
einem Kulturkampf, den sie selbst befeuern.
Manche nehmen diesen Kampf so ernst, dass sie das Publikum aufrufen, ihn
auf die Straße zu tragen. Eine britische Anwältin spricht vor einem
„ideologischen Tsunami“ und breitet eine „Langzeitstrategie gegen die
LGBT-Ideologie“ vor dem Publikum aus: Die Anwesenden sollen Forschung
betreiben, sich in die Politik einbringen, ihre Positionen öffentlich
vertreten, wenn es sein muss, bis vor Gericht. Sie sollen in den sozialen
Medien aktiv sein und sich in Ethikkommissionen einschleusen. Dann
vergleicht sie Schwangerschaftsabbrüche mit den Kriegen in der Ukraine und
in Nahost.
Die Anwältin sagt es mehr oder weniger deutlich: Wenn es nach ihr ginge,
gehörte Homosexualität verboten. Weil sie Strategin ist und Christin und
eher in Jahrzehnten denkt, als in den schnellen Schritten des irdischen
Lebens, sagt sie auch, wann es so weit sein soll: in rund 60 Jahren. Ihre
Präsentation zeigt einen Zeitstrahl mit Jahren, in denen
Antidiskriminierungsgesetze in Großbritannien erlassen wurden. Sie
präsentiert sie als eine Reihe von Unglücken.
Diese Recherche ist in Kooperation mit der britischen Byline Times und dem
russischen Exilmedium [5][istories media] entstanden. Sie wurde ermöglicht
durch eine Förderung von [6][Journalismfund Europe].
13 Dec 2023
## LINKS
[1] /Vermeintliche-Heilung-von-Homosexualitaet/!5638113
[2] https://mosaik-deutschland.de/
[3] https://bylinetimes.com/2023/12/09/these-lgbt-freaks-do-we-have-them-castra…
[4] /!674422/
[5] https://istories.media/en/
[6] https://www.journalismfund.eu/
## AUTOREN
Rina Nikolaeva
Finbarr Toesland
Antonia Groß
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