| # taz.de -- Konversionsbehandlungen in Deutschland: Gewalt im Namen Gottes | |
| > Queere Menschen suchen Schutz – und erleben Zwang. In kirchlicher Obhut | |
| > oder Therapie sollen sie vermeintlich geheilt werden. Der Glaube daran | |
| > lebt bis heute fort. | |
| Bild: Symbol der Selbstbestimmung: die Transflagge. Viele trans und nicht-binä… | |
| Zuerst musste Kari das Handy abgeben. Dann hat eine Mitarbeiterin beide | |
| Taschen durchwühlt. Sie nahm Kari die Hormone weg und die Medikamente. Und | |
| alle Gegenstände, die laut der Mitarbeiterin nicht geeignet seien für eine | |
| Frau. Übergriffig genug – selbst wenn Kari eine Frau wäre. Kari ist trans | |
| und nicht binär. Und Kari hat in einer Situation Gewalt erlebt, in der Kari | |
| Schutz versprochen wurde. Dass Menschen unter dem Deckmantel von Hilfe oder | |
| Beratung queerfeindliche Gewalt angetan wird, ist ein Phänomen, das kaum | |
| erfasst ist. Es hat eine lange Geschichte, die bis in die Gegenwart von | |
| Unterdrückung und Maskierung handelt, von missbrauchter Wissenschaft, aber | |
| auch von Widerstand und Selbstbehauptung. | |
| Bei Kari kam das so: Kari hat jahrelang in Gewalt gelebt. Weil die | |
| Täter*innen Kari nach einer Flucht suchen würden, brauchte Kari eine | |
| geschützte Unterkunft. Kari hat deshalb mehrfach bei Beratungsstellen | |
| angerufen, doch die verwehrten den Schutz. Die Absage war immer dieselbe: | |
| Die Zimmer stünden nur cis Frauen zur Verfügung. Das war vor ungefähr fünf | |
| Jahren. Da war Kari gerade Anfang 20. | |
| Ein kleiner christlicher Träger nahm Kari schließlich auf. Was dann | |
| geschah, erzählt Kari an einem Nachmittag im September – in einem ruhigen | |
| Zimmer an einem Ort, der nicht genannt werden darf. Die Gefahr, auf Karis | |
| Aufenthalt hinzuweisen, ist zu groß. Die Hormone und die Medikamente | |
| verhinderten die Beziehung mit Gott, hätten die Mitarbeiter*innen der | |
| Unterkunft gesagt. Und Gott sei Bedingung, um zu heilen. [1][Sie verstanden | |
| unter „Heilung“ allerdings etwas anderes als Kari.] | |
| Der erste Schritt sei „zuzugeben“, eine Frau zu sein. Kari müsse außerdem | |
| heterosexuell werden und in jeder Hinsicht der geforderten | |
| Geschlechterrolle entsprechen. Kleider tragen, Nagellack, Schminke. Dürfe | |
| nicht mit zu tiefer Stimme singen oder Fahrräder reparieren. Nur dann würde | |
| Kari von der „Sünde“ befreit, dann würden die chronischen Erkrankungen | |
| verschwinden, die Traumata. Dann würde Kari keine weitere Gewalt erleben. | |
| Erst mit Hilfe einer anderen Beratungsstelle für Gewaltbetroffene konnte | |
| Kari nach zwei Jahren in verschiedenen Wohnungen kleiner christlicher | |
| Träger an einen Ort umziehen, an dem das Ziel tatsächlich war, Kari in | |
| Sicherheit zu bringen. An dem es nicht mehr darum gehen sollte, Kari | |
| anzugreifen. | |
| ## Konversionsversuche sind schwer zu erkennen | |
| Kari heißt eigentlich anders, viele Details dieser Geschichte bleiben | |
| unveröffentlicht. Der Redaktion der taz liegen Unterlagen vor, die die | |
| Eckpunkte von Karis Geschichte belegen. Die Mitarbeiterin der | |
| Beratungsstelle für Gewaltbetroffene, die Kari half, den christlichen | |
| Trägerorganisationen zu entkommen, hat Karis Erfahrungen bestätigt. | |
| Einzelne Aussagen lassen sich nicht überprüfen, doch was Kari erzählt, | |
| gleicht anderen [2][Berichten von Überlebenden] sogenannter | |
| Konversionsbehandlungen. | |
| Darunter werden Praktiken gefasst, die die geschlechtliche Identität oder | |
| die sexuelle Orientierung einer Person ändern oder unterdrücken sollen. | |
| Betroffene erleben Konversionsversuche in der Schule, der Familie, in | |
| Kliniken, in der Psychotherapie oder in christlichen Gemeinschaften. Sie | |
| reichen von psychischen wie physischen bis hin zu rituellen Methoden. Doch | |
| sie sind meist schwer zu erkennen. | |
| Darüber informiert die Beratungsstelle [3][„Liebesleben“]. | |
| Konversionsversuche verbergen sich hinter anderen Bezeichnungen, heißen | |
| etwa „reintegrative“ oder „reparative“ Therapie, sind [4][als Hilfsange… | |
| getarnt.] „Meistens geht es am Anfang gar nicht um die Geschlechtsidentität | |
| oder die sexuelle Orientierung, sondern darum, wie man glücklich werden | |
| kann“, schreibt eine Sprecherin des Bundesinstitut für Öffentliche | |
| Gesundheit, das die Beratungsstelle verantwortet, auf Anfrage der taz. „Im | |
| Laufe von Gesprächen wird dann aber vermittelt, dass [5][Homosexualität], | |
| [6][Asexualität], [7][Bi- und Pansexualität], aber auch [8][Trans*]-, | |
| [9][Nicht-binär*]- und [10][Inter*]-Sein falsch sind – und dass man nur als | |
| [11][heterosexuelle] oder [12][cis*] Person glücklich ist“. | |
| [13][In Deutschland sind Konversionsbehandlungen seit 2020 verboten], wenn | |
| sie an Minderjährigen oder gegen den Willen der Betroffenen stattfinden. | |
| Doch wie belegt man Zwang, wenn er sich als Hilfe tarnt? Gut nachweisbar | |
| sind dagegen die gefährlichen Folgen von Konversionsversuchen. Sie können | |
| [14][Auslöser für Depression] und Suizid sein – und sie schüren | |
| Diskriminierung. Bei der Beratungsstelle „Liebesleben“ gingen allein im | |
| Jahr 2024 681 Anfragen ein. Das verzeichne eine deutliche Erhöhung seit | |
| Beginn der Beratung im Jahr 2021, schreibt die Sprecherin. | |
| Die Mitarbeiter*innen der Einrichtungen bedrängten Kari mit religiösen | |
| Riten. Kari ist nicht christlich. Und Kari ist stur. „Ich habe konsequent | |
| gesagt, ich glaube nicht an den Heiligen Geist“, sagt Kari. Da hätten die | |
| Mitarbeitenden ihre Taktik geändert, versucht, Karis Identität mit | |
| pseudo-therapeutischen Methoden zu ändern, mit Meditation und | |
| Körperübungen. „So etwa“, sagt Kari, kreuzt die Handgelenke vor dem | |
| Oberkörper und trommelt sich mit den Fingerspitzen auf den Brustkorb: „Das | |
| sollte mir den Teufel austreiben“. | |
| Doch offenbar war es nicht genug, Gott anzurufen. Die Übergriffe seien auch | |
| körperlich gewesen, sagt Kari. Die Mitarbeiter*innen hätten dafür | |
| Flashbacks ausgenutzt. Wenn Schmerzen und Krämpfe Kari lähmten, legten sie | |
| ihre Hände zum Gebet auf Karis Körper. Die Mitarbeitenden hätten Kari | |
| gedrängt, einen Chirurgen aufzusuchen. | |
| Der sollte geschlechtsangleichende Maßnahmen, die Kari früher vorgenommen | |
| hatte, operativ rückgängig machen. Das habe Kari verweigert. Kari war die | |
| ganze Zeit über klar: Hier ging es nicht um Hilfe. „Die haben versucht, | |
| mich zu ändern. Die haben einfach nicht an mein Geschlecht geglaubt.“ | |
| Trotzdem ist es selbst im Rückblick nicht leicht, eine Sprache zu finden | |
| für das, was Kari erlebt hat. Zu subtil waren manche Eingriffe in Karis | |
| Selbstbestimmung, zu absurd andere. | |
| ## Kari zweifelte nicht an der eigenen Identität | |
| Eine Anzeige bei der Polizei? Kommt aus vielen Gründen nicht in Frage. Zum | |
| einen fehlt Kari die Gewissheit, dass Polizist*innen und – sollte eine | |
| Anzeige vor Gericht führen – Richter*innen gegenüber queerfeindlicher | |
| Gewalt sensibel sind. Kari befürchtet, vor der Justiz misgendert zu werden | |
| und transfeindlichen Stereotypen ausgesetzt zu sein. Eine zusätzliche | |
| Belastung in einer Situation, die ohnehin eine harte – und öffentliche – | |
| Konfrontation verlangt. Und selbst, wenn Kari vor Gericht gewinnen würde, | |
| stünde für die Einrichtung gerade mal eine Geldstrafe an. Würde das | |
| wirklich etwas ändern? Würde das den Träger die Betriebserlaubnis kosten? | |
| Kari glaubt nicht an Bestrafung. „Sie würden das eher als einen Angriff des | |
| Teufels verstehen, als ihre Arbeitsweise zu überdenken“, sagt Kari. | |
| Was für Karis Überleben letztlich entscheidend war: Kari zweifelte nicht an | |
| der eigenen Identität. „Ich wusste ja, dass ich anders fühlen kann“, sagt | |
| Kari. „Es war mir wichtiger, ehrlich zu leben, auch wenn das negative | |
| Konsequenzen hatte, als etwas zu spielen, was ich nicht bin“. Auch wenn es | |
| Kraft gekostet hat: Mit Minuten des Widerstandes schaffte Kari es hin und | |
| wieder, den Mitarbeitenden etwas von ihrer Macht zu nehmen. | |
| Solcher Widerstand konnte sein: zum öffentlichen Bücherschrank gehen und | |
| dort heimlich Bibeln aus der Unterkunft gegen weltliche Literatur | |
| eintauschen; beim Kleiderkauf mit den Mitarbeiter*innen im | |
| Einkaufszentrum über das Geschlecht von Stoff diskutieren; während der | |
| Gebetsrunden vermeintlich heidnische Lieder singen; statt des „Amen“ am | |
| Ende des Gebets laut „Gaymen“ sagen. Im Kopf lief dabei der Refrain von | |
| „Take me to church“ von Hozier – ein Lied über Liebe und kirchliche | |
| Heuchelei. | |
| Was Kari erlebt hat, ist kein Einzelfall – und keine neue Erfindung. Die | |
| Behauptung, queere Menschen „heilen“ zu können, hat eine lange Geschichte. | |
| Schon Ende des 19. Jahrhunderts entwarf die Medizin die Idee, die | |
| geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung von Menschen zu | |
| ändern. Sie knüpfte damit an christliche Stigmatisierung und rechtliche | |
| Bestrafung an. Der Medizinhistoriker Rainer Herrn forscht zum Umgang mit | |
| geschlechtlicher und sexueller Diversität. „Die Medizin trat gewissermaßen | |
| in die Fußstapfen der Religion, das Phänomen wurde von der Sünde über das | |
| Delikt zur Krankheit“, sagt er im Gespräch mit der taz. | |
| Unter „konträres Sexualempfinden“ fielen damals alle Sexualitäten und | |
| Geschlechter, die nicht der heterosexuellen Zwei-Geschlechter-Norm | |
| entsprachen. Forscher stritten, ob ihr Ursprung angeboren sei oder | |
| erworben. Am Ende wurden beide Annahmen gegen die Betroffenen eingesetzt. | |
| Ob mit Hypnose, Hormonen oder Kastration: Das Interesse war politisch. Die | |
| medizinische Forschung diente als Steigbügelhalter, sagt Herrn. „Medizin, | |
| Polizei und Justiz sind hier gleichermaßen ordnungsstaatliche Helfer“. | |
| In ihrer Zeit fortschrittlich denkende Wissenschaftler wie Magnus | |
| Hirschfeld vertraten die „Angeborenen“-These. Im Kampf gegen die | |
| Kriminalisierung von Homosexualität lieferte er Belege dafür, dass sie | |
| weder therapierbar noch strafwürdig ist. | |
| Die Nationalsozialisten instrumentalisierten diese Logik zur Waffe: Queeres | |
| Leben erklärten sie zur „Volksgefahr“, und legitimierten damit | |
| Konversionsversuche, Verfolgung und Vernichtung. Die Geschlechterordnung | |
| blieb staatliche Priorität: Ab 1936 wurden in der polizeilichen | |
| Dienststelle „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der | |
| Abtreibung“ die berüchtigten „Rosa Listen“ erstellt, Register, die gezie… | |
| Verfolgung ermöglichten. Zwischen 1933 und 1945 wurden rund 63.000 Menschen | |
| nach Paragraf 175 des Reichsstrafgesetzbuches als schwule Männer | |
| verurteilt. An vielen von ihnen wurden in Konzentrationslagern Experimente | |
| durchgeführt. | |
| ## In Buchenwald fanden Versuche von „Umpolung“ statt | |
| Wie der Nationalsozialismus die Wissenschaft als Vorwand für medizinische | |
| Gewalt missbrauchte, daran erinnert heute in der Gedenkstätte Buchenwald | |
| der ehemalige „Block 50“. Sein Fundament ist mit roten Ziegeln nachgezogen, | |
| es hebt sich etwas zwischen den anderen Baracken-Resten auf der Kuppel des | |
| Ettenberges ab. Ein scharfer Wind zieht über das Gelände, wie oft um diese | |
| Jahreszeit, Ende September. Zur Zeit des Konzentrationslagers waren hier | |
| die Büros von Wissenschaftlern, sie stellten Impfstoffe her, etwa gegen | |
| Typhus. | |
| Michael Löffelsender leitet die historische Abteilung der Gedenkstätte. Bei | |
| einem Rundgang erklärt er: Hier fanden zwischen 1941 und 1945 medizinische | |
| Experimente an Gefangenen statt, 1944 auch Versuche von operativer | |
| „Umpolung“. Für Löffelsender steht „Block 50“ symbolisch für die | |
| Kooperation der Medizin mit dem Nationalsozialismus: „Das Lager hat Leute | |
| angelockt, die bereit waren, an Menschen zu experimentieren“. | |
| Homo- und Transfeindlichkeit waren keine Besonderheit der Nazi-Herrschaft. | |
| Doch sie stellte die „Verfügungsmasse Mensch“ bereit, sagt Löffelsender. … | |
| „Block 46“, der Krankenstation, testeten sie die Impfstoffe an Menschen, | |
| hier fanden wohl auch die Versuche des dänischen Arztes Carl Vaernet statt. | |
| Er, schon damals umstritten, behauptete, Homosexualität „behandeln“ zu | |
| können. Bis zu zwanzig Gefangenen implantierte er Testosterondrüsen in die | |
| Leiste; mehrere überlebten den Eingriff nicht. | |
| Mit Ende des Krieges war die Verfolgung nicht vorbei. Nach der Befreiung | |
| bemühte sich die Regierung der neuen Bundesrepublik nicht um Anerkennung | |
| queeren Lebens, im Gegenteil. Bis 1969 verurteilte die Justiz rund 50.000 | |
| Personen nach dem unverändert gültigen Paragraf 175, gegen viele mehr wurde | |
| ermittelt. Die „Rosa Listen“ bestanden fort, erst 1994 wurde der Paragraf | |
| gestrichen. Die Bundesrepublik, [15][schreibt der Verband] Queere Vielfalt | |
| (LSVD), „suchte bewusst in christlicher Moral Heilung von den Schrecken des | |
| Nationalsozialismus“. Für die Verfolgten bedeutete das: Die Unterdrückung | |
| ging weiter – nun im christlich-nationalistischen Gewand. | |
| Einer der Verurteilten war Klaus Schirdewahn. Er war 17 Jahre alt, als er | |
| auf einer öffentlichen Toilette von der Polizei mit einem anderen Mann | |
| „erwischt“ wurde. Das war 1964. Der heute 78-Jährige erzählt der taz in | |
| einem Videogespräch davon. Weil er zum Zeitpunkt seiner Verurteilung | |
| minderjährig war, bot ihm das Gericht an, statt einer Haftstrafe | |
| „freiwillig“ eine „Verhaltenstherapie“ zu machen. „Als ich gehört ha… | |
| der andere ins Gefängnis muss, ist mir mein Herz ganz schwer in die | |
| Hosentasche gerutscht“, sagt er. Bis heute weiß er nicht, was aus dem | |
| Anderen geworden ist. Er hält kurz inne: „Trotzdem war ich froh, dass es | |
| für mich bloß geheißen hatte: Therapie.“ Seine Eltern waren streng | |
| christlich, aus ihrer Sicht hatte ihr Sohn eine Todsünde begangen. Er wurde | |
| gezwungen mit niemandem darüber zu sprechen. | |
| ## Nur freundschaftliche Gefühle zu anderen Männern | |
| Der Therapeut sagte ihm: „Jeder junge Mann macht diese Phase durch.“ Und | |
| das vergehe, sobald die „richtige Frau kommt“. Ein „richtiger Mann“ dü… | |
| nur freundschaftliche Gefühle zu anderen Männern haben. Schirdewahn solle | |
| sich von einschlägigen Lokalen fernhalten und nicht mehr ins Schwimmbad | |
| gehen, wo er, das hatte er gestanden, romantische Treffen erlebte. | |
| Begründet habe der Therapeut die Behandlung mit der „Volksgesundheit“: Eine | |
| „normale“ Familie sei wichtig, seine Sexualität dagegen verboten, eine | |
| Krankheit, die man „heilen“ könne. | |
| In der Behandlung sollte Schirdewahn Bilder malen. „Ich fand das lustig“, | |
| sagt er. Also malte er Bäume, Waldwege, den Himmel. Er musste den | |
| sogenannten Rorschach-Test machen, bei dem Patient*innen Tintenkleckse | |
| interpretieren sollen. „Den fand ich besonders schlau, weil ich manchmal | |
| Sachen gesehen hab, die hätte ich lieber nicht gesehen“, sagt Schirdwahn. | |
| Er grinst, zieht die Schultern hoch. „Das waren dann natürlich Zeichen, | |
| dass ich noch nicht auf dem richtigen Weg bin.“ | |
| Um die Sitzungen zu überstehen, habe er geflunkert, sagt er. Etwa, wenn der | |
| Therapeut ihn gefragt habe, wann er zuletzt an einen Jungen gedacht habe, | |
| oder ob er sich mit einem getroffen habe. „Das habe ich verschwiegen“, sagt | |
| Schirdewahn. Sein Begehren änderte sich nie. Trotzdem glaubte Schirdewahn | |
| nach zwei Jahren, geheilt zu sein. Der damals 19-Jährige lernte in der | |
| Jugendgruppe seiner evangelischen Gemeinde eine Frau kennen. Mit ihr konnte | |
| er sprechen – zum ersten Mal auch über seine Gefühle, seine Verurteilung | |
| und die Therapie. Sie hatten eine Liebesbeziehung, sagt Schirdewahn, wenn | |
| er daran zurückdenkt. Nur eben eine ohne Sexualität. Das war vor der Ehe | |
| für beide ohnehin keine Option. | |
| Ende 1966 verlobten sie sich. „Das habe ich dem Doktor erzählt. Dann hat er | |
| sich gefreut, dass seine Therapie angeschlagen hat. Und ich war glücklich, | |
| dass das Urteil abgeschlossen ist.“ Heute sagt Schirdwahn: „Geheilt“ war … | |
| nicht. Heute benutzt er einen anderen Namen dafür: Gehirnwäsche. | |
| Die Wirkung hielt nicht lange. Nach ein paar Wochen hatte Schirdewahn einen | |
| „Rückfall“ – so nennt er sein erstes Treffen mit einem Mann nach der | |
| Therapie noch heute. Dass er seinen Gefühlen folgte, bereut er nicht. | |
| Damals aber hatte er einen Nervenzusammenbruch: „Der kam so knallig, kein | |
| Doktor wusste, was mit mir los war. Ich hatte drei Wochen Fieber, war fix | |
| und fertig.“ Wahrscheinlich waren es Schuldgefühle – ein Nachhall der | |
| Gehirnwäsche. | |
| Schuld empfindet er inzwischen nur noch gegenüber seiner damaligen Frau und | |
| der gemeinsamen Tochter. 1980 verließ er sie und zog mit seinem Partner | |
| zusammen. Doch erst Jahrzehnte später sprach er erstmals öffentlich über | |
| seine Verurteilung und die „Therapie“, zuerst 2015 bei einer Ausstellung, | |
| 2018 im Bundestag. Ein Jahr zuvor war sein Schuldspruch nach Paragraf 175 | |
| aufgehoben worden. Schirdewahn bekam 3.000 Euro Entschädigung – für 53 | |
| Jahre Kriminalisierung. | |
| Heute ist Schirdewahn in einer Gruppe für schwule Senioren aktiv. Viele von | |
| ihnen haben Konversionsversuche erlebt. Darüber sprechen will kaum jemand. | |
| „Das Verstecken, das ist so verinnerlicht, das kriegt man nicht mehr raus“, | |
| sagt Schirdewahn. In den vergangenen Monaten [16][habe die Angst vor | |
| öffentlicher Ächtung] in seinem Umfeld wieder zugenommen. Das liegt zum | |
| Beispiel an der Umverteilung der öffentlichen Mittel auf Bundes- und | |
| Länderebene, die vor allem das Geld für Demokratieförderung und politische | |
| Bildung beschneiden. „Viele von uns Älteren haben Angst, dass so die | |
| Verdrängung wieder losgeht“, sagt Schirdewahn. Queere Initiaiven und | |
| Hilfsangebote sind davon [17][besonders betroffen], wie die Aids-Hilfe, die | |
| Berliner Schwulenberatung oder das Jugendnetzwerk Lambda. | |
| „So fängt es an“, habe er gedacht, als die Bundestagspräsidentin Julia | |
| Klöckner (CDU) entschied, die Regenbogenflagge zum Pridemonth nicht am | |
| Reichstag zu hissen. „Das Grausen“ habe er gekriegt, als der | |
| Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ankündigte, im Melderegister | |
| trans- und nicht binäre Personen mit [18][zusätzlichen Informationen zu | |
| markieren], wenn sie ihren Personenstand nach dem Selbstbestimmungsgesetz | |
| an ihr Geschlecht anpassen. Schirdewahn sagt, in seinem Umfeld fühlten sich | |
| viele an die „Rosa Listen“ erinnert. | |
| Dass es einen Namen gibt für das, was ihm in der Therapie widerfahren ist, | |
| lernte Schirdewahn erst 2020, mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz vor | |
| Konversionsbehandlungen. Die Gewalt zu benennen hilft, sagt er. Was noch | |
| hilft: darüber zu sprechen, und von anderen zu lesen, am liebsten | |
| Biografien. Als nächstes möchte er seine Lebensgeschichte aufschreiben. | |
| Doch es wird nicht nur eine Leidensgeschichte sein. Auch Schwimmbäder | |
| werden darin eine Rolle spielen. | |
| Diese Recherche wurde [19][mit Unterstützung von N-Ost] umgesetzt; | |
| finanziert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie dem | |
| Ministerium für Finanzen als Teil der Bildungsagenda NS-Unrecht. | |
| 14 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Christliche-Konversionstherapie/!5976680 | |
| [2] https://www.liebesleben.de/fachkraefte/studien-standard-qualitaetssicherung… | |
| [3] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/konversionsbehandlung/wie-erkenne-ich-… | |
| [4] /Christliche-Konversionstherapie/!5976680 | |
| [5] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/sexuelle-orientierung/homosexualitaet/ | |
| [6] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/sexuelle-orientierung/asexualitaet/ | |
| [7] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/sexuelle-orientierung/bisexualitaet-un… | |
| [8] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/geschlechtsidentitaet/trans/ | |
| [9] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/geschlechtsidentitaet/nicht-binaer/ | |
| [10] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/geschlechtsidentitaet/inter/ | |
| [11] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/sexuelle-orientierung/heterosexualita… | |
| [12] https://www.liebesleben.de/fuer-alle/geschlechtsidentitaet/cis/ | |
| [13] /Mehr-Schutz-fuer-Queers/!5999797 | |
| [14] https://mh-stiftung.de/wp-content/uploads/Gutachten-Prof.-Dr.-med.-Peer-Br… | |
| [15] https://www.lsvd.de/de/ct/1022-Paragraph-175-StGB-Verbot-von-Homosexualita… | |
| [16] /Pride-Verbot-in-Ungarn/!6073244 | |
| [17] https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-traeger-befuerchten-a… | |
| [18] /Aenderung-beim-Selbstbestimmungsgesetz-/!6106418 | |
| [19] https://n-ost.org/projects/history-unit | |
| ## AUTOREN | |
| Antonia Groß | |
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