# taz.de -- Immer mehr Abschiebungen in Hamburg: „Es trifft vor allem Familie… | |
> Hamburgs rot-grüner Senat schiebt immer mehr Asylsuchende ab. Anders als | |
> in Berlin soll es einen humanitären Abschiebestopp im Winter nicht geben. | |
Bild: Wäre in Berlin womöglich nicht passiert: Familie bei ihrer Abschiebung … | |
Hamburg taz | In Hamburg hat sich die Zahl der abgeschobenen Personen vom | |
zweiten auf das dritte Quartal 2023 mehr als verdoppelt: 104 Menschen | |
mussten gezwungenermaßen das Land verlassen. Darunter waren 19 | |
schulpflichtige Kinder – fast das Zehnfache der Zahl aus dem ersten Quartal | |
des Jahres. Das ergab eine Kleine Anfrage der Hamburger Linksfraktion. In | |
den Antworten des Senats nicht mitgezählt werden Menschen, die Hamburg mehr | |
oder minder „freiwillig“, also nach Aufforderung der Behörden, verlassen | |
haben. | |
In den Augen der Linksfraktion ist die Politik der übereifrigen | |
Abschiebungen Ausdruck einer flüchtlingsfeindlichen Stimmung nicht nur in | |
Hamburg. Die migrationspolitische Sprecherin, Carola Ensslen, ist | |
erschüttert über das Ausmaß der „Abschiebebegeisterung“, die besonders | |
geflüchtete Familien aus den [1][Westbalkanstaaten] treffe. | |
„Die Situation in den Herkunftsländern verschärft sich in den Wintermonaten | |
zusätzlich“, sagt Ensslen. „Viele Geflüchtete werden sehenden Auges | |
Diskriminierung, Marginalisierung und Obdachlosigkeit ausgesetzt.“ | |
Die Linke fordert die Hamburger Bürgerschaft, wie schon in vergangenen | |
Wintern, auf, einen humanitären Winterabschiebestopp zu verhängen – doch | |
ohne Erfolg. Das einzige Bundesland, das dieses Jahr [2][einen | |
Winterabschiebestopp verhängt hat], ist Berlin. | |
Die Linksfraktion kritisiert besonders unangekündigte Abschiebungen und | |
solche von Kindern und Jugendlichen aus dem laufenden Schulbetrieb. Seit | |
den Verschärfungen des Asylrechts im Jahr 2015 und den stetigen weiteren | |
[3][Verschlechterungen der rechtlichen Situation Schutzsuchender] haben die | |
Ausländerbehörden solche Praktiken als Standard etabliert. So werden Kinder | |
und Jugendliche von heute auf morgen ihrem Umfeld und ihren Freundeskreisen | |
entrissen. | |
Dabei ist die Lebenssituation schutzbedürftiger Minderheiten wie Rom*nja, | |
Ashkali und Goran*innen vor allem in den Westbalkanstaaten oft | |
existenziell bedroht. Die Linksfraktion weist in ihrem Antrag darauf hin, | |
dass dorthin Abgeschobene zum Teil kaum Zugang zu Krankenversorgung, | |
Arbeitsmarkt, Schulbildung und Wohnraum haben. | |
Ein weiterer Risikofaktor sei die Energiekrise. Etwa in [4][Moldau] träfen | |
die Preissteigerungen besonders die ärmeren Bevölkerungsschichten, zu denen | |
Minderheiten gehören. Eine humanitäre Zwischenlösung nach dem Berliner | |
Vorbild sei auch in Hamburg dringend nötig, fordert Ensslen. | |
Doch wieso ist, was in Berlin klappt, in Hamburg offenbar undenkbar? Kazim | |
Abaci, Fachsprecher für Geflüchtete der SPD-Fraktion, verweist dazu auf die | |
Rechtsstaatlichkeit der Abschiebevorgänge: „Rückführungen fußen auf | |
rechtsstaatlichen Verfahren, die saisonunabhängig für jeden Fall | |
individuelle Gefahren berücksichtigen“, sagt er auf Nachfrage der taz. „Die | |
Menschen, deren Aufenthalt nicht rechtens ist, müssen zurückkehren, damit | |
Schutzsuchende mit berechtigtem Asylanspruch aufgenommen werden können.“ | |
Aktivist:innen kritisieren diese „Saisonunabhängigkeit“ scharf. Wiebke | |
Judith, die rechtspolitische Sprecherin der Organisation Pro Asyl, sagt: | |
„Man braucht nur wenig Anstand, um zu erkennen, dass Abschiebungen | |
besonders im Winter gesundheitsgefährdend oder gar lebensgefährlich sein | |
können.“ Vor allem dann, wenn man davon ausgehen müsse, dass Menschen bei | |
teils eisigen Temperaturen in ihren Herkunftsländern keine angemessene | |
Unterkunft finden. | |
Auch die Linksfraktion überzeugt das von der SPD angeführte Argument der | |
Rechtsstaatlichkeit nicht. Zudem gebe es ja eine Lösung, die ebenfalls | |
rechtsstaatlichen Kriterien entspreche, sagt Ensslen. Diese finde sich im | |
Aufenthaltsgesetz, das die Zuwanderung in Deutschland regelt. So kann „die | |
oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen | |
anordnen, dass die Abschiebung in bestimmte Staaten für längstens drei | |
Monate ausgesetzt wird“. So steht es in Paragraf 60a, Absatz 1 des | |
Gesetzes. | |
## Winterlicher Abschiebestopp für drei Monate | |
Auf dieser Grundlage hat auch Berlin den winterlichen Abschiebestopp | |
verhängt. Für drei Monate, mit einer Verlängerung auf bis zu sechs Monate, | |
könnte für Gruppen, deren Herkunftsländer von kalten Temperaturen | |
gezeichnet sind, Abschiebungen gestoppt und so Familien vor einem | |
existenzbedrohenden Winter geschützt werden. | |
Abgesehen vom Leid der Betroffenen habe die aggressive [5][Stimmungsmache | |
gegen Geflüchtete] noch einen anderen negativen Effekt, sagt Ensslen: | |
„Jegliche Form von migrationsfeindlicher Politik stärkt die AfD“, warnt | |
die Linkenabgeordnete. Die menschenfeindliche Asylpolitik der | |
Bundesregierung, die sich zuletzt in der Reform des Gemeinsamen | |
Europäischen Asylsystems (GEAS) niederschlug, stärke den Aufwärtstrend der | |
Rechten. | |
21 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Westbalkan-Gipfel-der-EU/!5980314 | |
[2] /Winterabschiebestopp-in-Berlin/!5976061 | |
[3] /Verschaerfung-fuer-Gefluechtete/!5965501 | |
[4] /Einstufung-von-Georgien-und-Moldau/!5953378 | |
[5] /CDU-und-Zahnbehandlungen-fuer-Gefluechtete/!5959412 | |
## AUTOREN | |
Neele Fromm | |
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