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# taz.de -- Symposium zur documenta 15: Die Welt ist zu schnell
> Ein Symposium in Kassel sollte den Antisemitismus der documenta 15
> aufarbeiten. Doch es zeigte vor allem, in welcher Krise die Kunst derzeit
> steckt.
Bild: Das Banner „People's Justice“ des Kollektivs Taring Padi wird bei der…
Was könne die Kunst überhaupt noch tun in diesen dunklen Zeiten, fragte die
israelische Philosophin und Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger. Eine
bittere Frage, die sie von Tel Aviv aus vor einigen Tagen in einem Brief an
die documenta gerichtet hatte, die furchtbaren Eindrücke des Massakers der
Hamas am 7. Oktober irgendwie verarbeitend.
Mit dem Schreiben hatte Bracha Lichtenberg Ettinger ihren Rücktritt aus der
Findungskommission angekündigt, die eigentlich eine neue kuratorische
Leitung für die nächste Ausgabe der Kunstschau 2027 ernennen sollte. Doch
der 7. Oktober ist eine Zäsur.
Auf einem Symposium, zu dem das documenta-Institut am vergangenen
Wochenende in Kassel eingeladen hatte, sagte dazu Meron Mendel, Direktor
der Bildungsstätte Anne Frank, dass seither ein extrem gewalttätiger
Diskurs herrsche. Die schon lang anberaumte Tagung hingegen sollte
nachträglich dazu dienen, die [1][antisemitischen Verfehlungen, das
kuratorische Chaos und den Unwillen der letzten documenta fifteen in
Diskussionen aufzuarbeiten].
## Neuerliches Debakel
Das Symposium wurde jetzt von den Krisen überholt. Der [2][kurz zuvor
bekannt gewordene, kaum überraschende Rücktritt der Findungskommission für
die documenta 16] überschattete die Tagung nicht nur als ein neuerliches
Debakel. Er ist auch ein Spiegel für eine giftige Wirrnis in den weltweiten
sozialen Medien und ihrem moralischen Rigorismus. Hatte Bracha Lichtenberg
Ettinger vor ihrem Rücktritt vergeblich um Aufschub des Findungsprozesses
gebeten, so blieben die großen Empathiebekundungen aus.
Ihr ebenfalls zurückgetretener Kommissionskollege aber, der [3][indische
Kulturtheoretiker Ranjit Hoskoté, der offenbar bewusst seine Unterzeichnung
eines hart antisemitischen BDS-Briefs von 2019 verschwiegen hatte], geriet
nach dessen Aufdecken in die hiesige mediale Kritik. Die anderen Mitglieder
der Findungskommission solidarisierten sich letztlich mit Hoskoté und
warfen der documenta in ihrem Rücktrittsschreiben ein „emotionales und
intellektuelles Klima der übermäßigen Vereinfachung komplexer Realitäten“
vor.
Alle, und das ist bemerkenswert, hatten ihre Rücktrittsschreiben schnell
veröffentlicht, unter anderem auf der US-amerikanischen Internetplattform
e-flux. Und dies zum Teil sogar, bevor die documenta von ihren Gesuchen
wusste. Die Empörung in den sozialen Netzwerken der internationalen
Kunstwelt über vermeintliche Zensur in Deutschland kam schneller, als die
documenta reagieren konnte. Die documenta als Forum für die Kunst der Welt,
sie kommt nicht mehr hinter der Welt her.
## Über die Kunst nachdenken
Die Geschäftsführung wolle nun einen komplett neuen Findungsprozess starten
und sie wolle nach Abschluss einer derzeit laufenden
Organisationsuntersuchung die gesamte Institution reformieren, heißt es am
Wochenende. Spricht man allerdings mit dem documenta-Geschäftsführer,
Andreas Hoffmann, so scheint diese Neuorganisation eher auf ein
Nachjustieren an der inneren Struktur hinauszulaufen, eine bessere
Außenkommunikation, mehr Gremien, vielleicht sogar mehr Bürokratie.
Doch eigentlich müsste man vielmehr über die Kunst nachdenken, in dieser
„Welt der Multikrisen“, wie Künstlerin Hito Steyerl es in einem
Radiointerview zum Rücktritt der Findungskommission formulierte. Eine Welt,
in der jedes Statement verbreitet und kommentiert wird und jeder
Bombeneinschlag in Nahost mit einem Meme auf Instagram und Tiktok sofort in
die globalen Bildkanäle fließt.
Dass in den Bildern immer schon und immer auch Antisemitismus anzutreffen
ist, betont auf dem Symposium die Literaturwissenschaftlerin Yael
Kupferberg und meint zugleich: Man kann diesen Antisemitismus nicht
zensieren, man müsse ihm aber mit Haltung begegnen.
Doch wie kann man als ausstellende Institution ein solch souveränes
Verhältnis zu schwierigen Bildern vermitteln, wenn die Wege der Vermittlung
aus den Fugen geraten? Wenn die Künstler:innen selbst Texte und Bilder
kursieren lassen, die nicht mehr den kritischen Filter durchlaufen, sondern
roh und von überall produziert werden. Wenn „die Kunst ihre Unschuld
verloren hat“, wie Steyerl sagt. Die Frage von Bracha Lichtenberg Ettinger,
man muss sie vielleicht umformulieren: Was ist Kunst in diesen dunklen
Zeiten?
20 Nov 2023
## LINKS
[1] /documenta-im-Kulturausschuss/!5912363
[2] /Documenta-Kommission-tritt-zurueck/!5973132
[3] /Antisemitismus-bei-der-Documenta/!5972329
## AUTOREN
Sophie Jung
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