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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Nahe Osten der Optik
> Brille? Fielmann, Apollo oder andere Feinde fürs Leben – ein Guide durch
> ein Augen-Minenfeld mit dunklen Hintergedanken und einer Friedensutopie.
Bild: Nicht nur Gläser, auch ein Gestell bekommt selbst ein Rebell
Wenn man seine teure Gleitsichtsonnenbrille verloren hat, benötigt man
schnellen, ambulanten Ersatz. In einer „Fielmann“-Filiale erkundige ich
mich, ob sie solche Sonnenhängerchen hätten, die man einfach bloß auf die
normale Brille aufstecken muss.
„Nein, die führen wir leider schon lange nicht mehr“, bedauert der
Mitarbeiter. Und dann kommt ein erstaunlicher Vorschlag: „Sie könnten es
vielleicht mal bei ‚Apollo-Optik‘ versuchen – die könnten so was noch
haben.“
Ausgerechnet Apollo! Hier bei Fielmann! Die sind doch garantiert Todfeinde!
Gemessen an dieser beiderseitigen Nemesis, ist das Verhältnis zwischen
„Robin Look“ und „eyes + more“ wie das zwischen Romeo und Julia. Deshalb
kommt einem der Rat im ersten Moment vor wie ein ultimativer
Zivilisationsbruch, weil gegen alle Regeln der Konvention sowie die eigene
Erfahrung spottend, die ja gern Gut und Böse, Schwarz und Weiß in
Schubladen scheidet; auf den zweiten Blick vollzieht sich hier jedoch ein
sensationeller Brückenschlag zwischen scheinbar Unversöhnlichem; eine
Friedensutopie, die gerade angesichts der aktuellen Lage in Nahost Mut
machen und als Vorbild dienen könnte. Ich bin ein wenig gerührt.
Um die Rivalität der beiden Polypolisten zu verstehen, muss man in der
Geschichte weit zurückgehen. Denn Fielmann und Apollo waren einst eine
Firma, gemeinsam geleitet von Kurherzog Ferdinand Fielmann d. Ä. und seiner
Kusine, der albanischen Halbprinzessin Apollonia Apollo.
## Vor dem Sehhilfenhandel
Das war im Jahre 1338. Die beiden verkauften damals noch keine Sehhilfen,
sondern betrieben einen schwunghaften Handel mit luntengezündeten
Harnrohren aus Bimsstein, mit denen man zwar keine Ritterrüstungen
durchdringen, doch mit viel Glück immerhin die Krähen auf dem Feld
vergrämen konnte. Alles war gut.
Doch in den Wirren der Pestjahre, die bis zu einem Drittel der europäischen
Bevölkerung das Leben kosteten, verloren sich die Spuren von Gründerin und
Gründer. Als 1972 im selben Jahr (!) Apollo und Fielmann wieder neu
entstanden, verwies nichts mehr auf die gemeinsamen Wurzeln. Es war, als
hätte es diese nie gegeben. Von daher stand einer bitteren Feindschaft nun
absolut nichts mehr im Wege.
Aus diesem Grund ist Argwohn weiter angebracht. Steckt hinter dem
vermeintlichen Friedensangebot nicht vielleicht doch die erwartete
Aggression gegen den Widersacher? Lässt sich aus dem Satz „Die könnten so
was noch haben“ nicht unschwer eine vergiftete Empfehlung heraushören: „So
was“ funktioniert für Fielmann schlicht als Synonym für „Zeug“ wie
„Sonnenbrillen-Clips“, was übrigens laut dem Angestellten die offizielle
Bezeichnung für die Hängerchen ist. Damit bietet die Unterstellung, der
Kontrahent verkaufe unseriösen Tinnef, eine hervorragende Gelegenheit, die
verhassten Apollo-Leute der Lächerlichkeit preiszugeben. Bei Fielmann
assoziiert man Sonnenbrillen-Clips automatisch mit Junkies, die nachts auf
einem Spielplatz mit einer im Müll gefundenen, zersplitterten
Rossmann-Lesebrille auf der Nase nach noch halbwegs druckfähigen Venen
suchen.
„Noch“ wiederum signalisiert in diesem Zusammenhang die vergleichsweise
Rückständigkeit von Apollo-Optik gegenüber Fielmann, deretwegen man solche
Produkte überhaupt „noch“ anbietet, die für das Sortiment eines anständi…
Brillengeschäftes im 21. Jahrhundert selbstverständlich unter aller Würde
sind.
## Trojanische Brille
Ebenfalls für möglich halte ich, dass dieses trojanische Pferd einer
angeblichen Empfehlung weder Friedensangebot noch Diffamierung der
Konkurrenz darstellt, sondern, dass die Verachtung zur Hauptsache mir
selbst gilt. Sie wollen einen Kunden wie mich nicht haben und auch nie
wieder in ihren Räumen sehen. Eine Unperson, die es wagt, ihnen, den edlen
Fielmenschen, den Handel mit und Besitz von minderwertigen Artikeln zu
unterstellen und sie damit intellektuell, charakterlich und
kompetenzbezogen in einem Maße abzuwerten, wie sie es noch nie zuvor erlebt
haben und bitte auch niemals wieder erleben wollen.
Und wo schickt man so jemanden, in Ermangelung einer Falltür, eines
Abgrunds oder eines Minenfeldes vor der eigenen Ladentür selbstverständlich
hin? Na klar, zu Apollo-Optik. Dort passt er hin, Müll zu Müll, soll er
doch dort mit seinen „Hängerchen“ verrecken!
Der junge Mitarbeiter wirkt allerdings reichlich arglos, fast möchte man
ihm die ganzen Hintergedanken gar nicht zutrauen. Diesem freundlichen
Menschen ist man durchaus geneigt den Friedensstifter abzunehmen.
Hoffentlich bekommen seine Kolleginnen und Kollegen das nicht mit. Denn
bestimmt sind die noch längst nicht so weit – und würden ihn womöglich als
Verräter am Hause Fielmann ächten.
28 Nov 2023
## AUTOREN
Uli Hannemann
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