# taz.de -- Die Wahrheit: Ein Herz für Erben | |
> Endlich raufen sich FDP und Grüne, Christian Lindner und Ricarda Lang, in | |
> Berlin zusammen – zum Schutz einer ganz arg verfolgten Minderheit. | |
Hier soll offenbar bewusst ein Signal der Eintracht gesendet werden: | |
Ausgerechnet FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen-Vorsitzende Ricarda | |
Lang, die gewöhnlich so gut harmonieren wie Reichsbürger und Impfärztin, | |
haben die Hauptstadtmedien in den Saal der Bundespressekonferenz | |
eingeladen, um gemeinsam ein neues Projekt der Regierung vorzustellen. | |
Gespannt lauschen wir den einführenden Worten des Finanzministers. | |
„Es ist kein Geheimnis, dass es in unserer Koalition gelegentlich ein | |
bisschen knirscht“, hebt Lindner an. „Insbesondere zwischen den Grünen und | |
uns kommt es ab und an zu Meinungsverschiedenheiten, weil wir doch etwas | |
unterschiedliche politische Ziele verfolgen: wir die Richtigen, die Grünen | |
die Falschen.“ | |
Ein feines Lächeln huscht über das zartmännliche Gesicht des Liberalen. | |
„Umso froher bin ich, dass wir uns jetzt auf eine Initiative verständigen | |
konnten, die beweist, dass unser beider Parteien auch an einem Strang | |
ziehen können.“ Lindner kratzt sich an seinem Dreitagebart. „Der Kampf | |
gegen die Diskriminierung von Minderheiten ist seit jeher ein Anliegen der | |
Grünen. Wir als FDP streiten seit unserer Gründung gegen den Neid, die | |
Missgunst und die Steuerprüfungen, unter denen die Besserverdienenden | |
dieses Landes leiden. Was liegt näher, als diese beiden Impulse miteinander | |
innovativ zu verknüpfen?“ | |
Auf einen Wink Lindners spricht nun die Grünen-Vorsitzende Lang. Der | |
unüberhörbare Leidenston in ihrer Stimme verrät, dass ihr moralisches | |
Gewissen einmal mehr von einer politischen Frage tief berührt wird. „Für | |
uns als Grüne ist klar, dass Diskriminierung in Deutschland keinen Platz | |
hat. Das gilt für die LGBTQIA+-Community, für People of Color und auch für | |
die Opfer von Lookismus. Doch wir müssen selbstkritisch eingestehen, dass | |
wir eine Minderheit bisher nicht ausreichend gegen Angriffe verteidigt | |
haben: die Erb*innen. Das sind Menschen, denen durch einen Schicksalsschlag | |
plötzlich die Verantwortung für ein oft größeres Vermögen aufgeladen | |
wurde.“ | |
## Solidarität mit Unsichtbaren | |
Lang räuspert sich länglich. „Gerade in letzter Zeit haben diese Menschen | |
unglaublich viel Hass abbekommen – bis hin zu der Forderung, der Staat | |
solle ihnen ihr Erbe wieder wegnehmen, also ihre Identität auslöschen und | |
sie unsichtbar machen. Es bedrückt mich besonders, dass diese Angriffe | |
gerade von links kommen – also von Leuten, die eigentlich wissen müssten, | |
wie wichtig Solidarität mit allen Gruppen unserer Gesellschaft ist. Wir als | |
Grüne machen bei dieser schlimmen Kampagne nicht mit! Wir haben ja sogar | |
einige Betroffene in unseren eigenen Reihen!“ | |
Christian Lindner ergreift erneut das Wort: „Wir wollen aber nicht nur | |
appellieren, sondern auch ganz praktisch wirksam werden. Ich kann Ihnen | |
mitteilen, dass das Kabinett einstimmig beschlossen hat, mit sofortiger | |
Wirkung das Amt einer Bundesbeauftragten für den Kampf gegen die | |
Erbenfeindlichkeit einzurichten.“ | |
Lindner wendet sich nun leicht gönnerhaft einer Frau zu, die bislang auf | |
dem Podium schweigend neben ihm gesessen hat. „Ich freue mich, Charlotte | |
von Selsch-Noë zu begrüßen, die sich bereit erklärt hat, dieses Amt zu | |
übernehmen. Ich denke, sie kann sich Ihnen selbst am besten vorstellen.“ | |
Die junge Frau mit lockig-rotem Haar beginnt selbstbewusst: „Meine Damen | |
und Herren, es gibt viele Opfer der grassierenden Erbenfeindlichkeit in | |
diesem Land. Ich bin eines dieser Opfer. Ja, es ist jetzt sieben oder acht | |
Jahre her, ich war damals noch Studentin der Betriebswirtschaft und der | |
Sinologie, da erreichte mich die schreckliche Nachricht vom Tod meines | |
Vaters. Es war ein Schock für mich. Immer zu Weihnachten hatten wir | |
telefoniert, seine Überweisungen trafen regelmäßig auf meinem Konto ein. | |
Nun musste ich erfahren, dass er plötzlich gegangen war und mich als | |
Haupterbin eingesetzt hatte. Auch seiner Ex-Frau, meiner Mutter, hat er | |
etwas Geld und einige Häuser vermacht, mir allein aber die Firma: den | |
größten fahnenproduzierenden Betrieb Deutschlands.“ Charlotte von | |
Selsch-Noë stockt kurz die Stimme, als Erbin muss sie sich einige Tränen | |
aus den Augen wischen. | |
## Frechheiten vom Finanzamt | |
„Mein Großvater hatte die Firma schon 1933 gegründet und mit viel Geschick | |
und Fleiß im Alleingang zum Marktführer gemacht. Das blieb sie auch unter | |
der Leitung meines Vaters, obwohl die Farben der Fahnen schnell geändert | |
werden mussten. Heute liefern wir sehr divers in alle Welt, wir sind | |
Exportweltmeister im Bereich des textilen Patriotismus.“ Christian Lindner | |
und Ricarda Lang nicken neben ihr betroffen. „Kaum hatte ich die große | |
Aufgabe jedoch übernommen, da erhielt ich schon freche Schreiben vom | |
Finanzamt. Die Bürokraten glaubten offenbar, eine alleinstehende junge Frau | |
einschüchtern zu können. Mit Hilfe guter Anwälte und unseres | |
Wahlkreisabgeordneten konnte ich diesen Übergriff abwehren.“ | |
Ein Sonnenstrahl streift keck den Saal der Bundespressekonferenz, von | |
Selsch-Noë fährt eindringlich fort: „Was mich viel mehr schmerzt – von | |
vielen Menschen, ja sogar von ehemaligen Freunden, höre ich seitdem | |
unablässig Vorwürfe, mir sei unverdient ein Schatz in den Schoß gefallen, | |
den ich mit niemandem teilen wolle. Als ob ich für dieses Erbe nichts | |
geleistet hätte! Wer kein Geld hat, ahnt ja nicht, wie hart es ist, den | |
eigenen Vater nur selten zu sehen, weil er meistens in der Fabrik ist, um | |
die Arbeiter mit einem Rohrstock anzutreiben!“ In diesem Moment ergreift | |
Christian Lindner die Hand der jungen Frau, sichtlich erschüttert. | |
„Ich möchte dafür sorgen, dass nie mehr jemand so etwas erleben muss. Ich | |
werde dafür kämpfen, dass die Hassrede gegen Menschen mit Vermögenshandicap | |
gesellschaftlich geächtet, am besten unter Strafe gestellt wird“, fährt die | |
Erbin fort. „Was mir besonders wichtig ist: Wir Erben dürfen uns nicht | |
auseinanderdividieren lassen. Ob Leute ein Gartenhäuschen von ihrer Oma | |
erben oder wie ich einen Konzern: Wir sitzen alle im selben Boot, auch wenn | |
das eine vielleicht ein Kanu ist und das andere eine Jacht.“ | |
Die Arme der versammelten Journalistinnen und Journalisten schnellen nach | |
oben, nicht wenige wollen der neuen Bundesbeauftragten für den Kampf gegen | |
die Erbenfeindlichkeit die eine oder andere Frage stellen. Doch da schrillt | |
plötzlich ein Telefon. „Was ist los, du Idiot? Warum störst du mich?“, ru… | |
Charlotte von Selsch-Noë in ihr Endgerät. „Gestorben? Meine Mutter? Das ist | |
ja wunderbar!“ | |
Christian Lindner und Ricarda Lang verziehen geübt das Gesicht. Die Erbin | |
erhebt sich flugs. „Es tut mir leid, meine Damen und Herren, ich muss | |
leider dringend weg – ein Testament!“ Ohne weitere Fragen abzuwarten, eilt | |
Charlotte von Selsch-Noë milde lächelnd aus der Bundespressekonferenz. | |
2 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Michael Bittner | |
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