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# taz.de -- Die Wahrheit: Allein gegen die krumme Fichte
> Wieso ist Friedrich Merz eigentlich, wie er ist? Eine
> Kommunikationsberaterin offenbart die letzten Geheimnisse des nebulösen
> CDU-Chefs.
Bild: Braucht Sprech- und Denkhilfe: Friedrich Merz
Es ist 21 Uhr. Die Bars von Berlin-Mitte füllen sich an diesem Mittwoch wie
an jedem Werktag mit Hauptstadtjournalisten, Bundestagsabgeordneten und
Lobbyisten, die nach Feierabend mit 30-Euro-Cocktails auf die
Gewaltenteilung anstoßen. Doch an einem der Tische sitzt allein eine junge
Frau, die uns heute davon erzählen will, warum sie aus diesem politischen
Geschäft aussteigt. Patricia Kern nippt zunächst mehrmals an ihrem
alkoholfreien Bier, bevor sie ihre Beichte beginnt.
„Sie müssen mir wirklich glauben, dass es mir immer darum ging, den
Menschen zu helfen. Ich habe ja nicht nur Politikwissenschaft, sondern auch
soziale Arbeit studiert, bin seit meiner Jugend in meiner Gemeinde
karitativ tätig.“ Wir nicken verständnisvoll, um der Aussteigerin die Zunge
zu lösen.
„Als die Anfrage kam, als Junior Advisor für Friedrich Merz zu arbeiten,
habe ich wirklich Hoffnungen damit verbunden. Manche nennen Merz ja die
krumme Fichte aus dem Sauerland, aber die Chefstrategen bei der CDU haben
mir gesagt, ich hätte gerade deshalb eine wichtige Aufgabe: Ich sollte
Friedrich Merz dabei helfen, menschlicher zu erscheinen, und ihm außerdem
auch noch die weibliche Perspektive näherbringen.“
Es ist nicht leicht, Patricia Kern im Lärm der Bar zu verstehen. Alle Gäste
unterhalten sich angeregt. An einer Wand ist ein großer Bildschirm
angebracht, auf dem ein Nachrichtensender abwechselnd die Köpfe von Olaf
Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck zeigt. Zwar ist der Ton
ausgeschaltet und es ist nicht zu verstehen, was die Staatsmänner
verkünden, dennoch schallen aus verschiedenen Gruppen Buhrufe oder Jubel,
je nachdem, welche Visage gerade zu sehen ist.
## Kompetenz einer Frau
Wir bitten unsere Gesprächspartnerin, ihre Stimme zu heben. „Eigentlich
hatte ich schon am ersten Tag kein gutes Gefühl bei der Sache. Als ich ihn
fragte, wie ich am sinnvollsten meine Kompetenz als Frau einbringen könne,
meinte er, ich solle doch bitte immer abends sein Büro einmal feucht
durchwischen. Ich habe mich dann beim Betriebsrat beschwert. Merz hat sich
beim klärenden Gespräch gegen den Vorwurf des Sexismus verwahrt. Er habe
gar nichts gegen Frauen, meinte er, er habe ja sogar selbst eine zu Hause.
Und die beschwere sich nie. Von da an durfte ich immerhin an allen
Besprechungen teilnehmen.“
Langsam wird der Ton von Patricia Kern aufgeregter. Es ist zu spüren, dass
eine gewisse Wut in ihr brodelt. „Als ich ihm mein erstes Konzept vorgelegt
habe mit einigen Vorschlägen, sein Verhalten humaner zu gestalten, um bei
den normalen Leuten besser anzukommen, reagierte er sehr verhalten. Er habe
sich doch schon gegen sein besseres Wissen öffentlich zur gehobenen
Mittelschicht gezählt, um dem Plebs ein Stückchen entgegenzukommen. Mehr
könne man wahrlich nicht erwarten.
Überhaupt bezweifle er, ob ein Spitzenmanager wie er, der früher auch schon
einmal 5.000 Euro am Tag verdient habe, überhaupt Beratung benötige. Wenn
jemand guten Rat brauche, dann sei das Deutschland – und zwar von Friedrich
Merz. Am folgenden Tag hat er mir ein signiertes Exemplar seines Buches
‚Mehr Kapitalismus wagen‘ geschenkt.“
Wir fragen Patricia Kern nach den umstrittenen Äußerungen ihres ehemaligen
Chefs zur AfD. Die junge Frau schlägt die Hände vors Gesicht. „Ich habe ihn
angebettelt, die CDU nicht als ‚Alternative für Deutschland mit Substanz‘
zu bezeichnen. Das Problem an Nazis sei doch nicht, dass sie kein
vollständig durchfinanziertes und rechtskonformes Konzept für eine
Pflegereform vorweisen können, sondern dass sie massenhaft Leute umbringen
wollen. Außerdem sei es völlig falsch, die CDU auch nur verbal mit der AfD
gleichzusetzen. Aber er hat mich nur angehört und es dann trotzdem gemacht.
Und hat er daraus gelernt, wie sehr das in die Hose ging? Nein, denn er ist
der Meinung, dass immer nur alle anderen von ihm zu lernen haben. So hat er
dann auch gleich noch nachgelegt, die CDU müsse in den Kommunen gemeinsam
mit der AfD Politik gestalten. Da gab es auch von einigen Parteifreunden
auf den Deckel. Ich hatte Hoffnung, er könnte ausnahmsweise einmal Einsicht
zeigen, aber er hat es gemacht wie immer: Öffentlich erklärt, er habe das,
was er gesagt habe, gar nicht so gemeint, und außerdem sei das, was er
gesagt habe, völlig richtig gewesen.“
Unser Gespräch ist inzwischen so lebhaft geworden, dass einige Leute an
anderen Tischen zu uns herüberschauen. Patricia Kern bittet darum, das
Gespräch demnächst zu beenden. Aber wir wollen noch von ihr wissen, ob sie
Friedrich Merz die fragwürdige These in den Mund gelegt habe, Asylbewerber
würden ihre Zähne auf Kosten der Deutschen machen lassen.
## Kreuze mit Haken
„Nein, das war ein spontaner Ausbruch von ihm. Sie müssen wissen, dass Herr
Merz inzwischen vielleicht ein Millionär ist, im Herzen aber immer noch ein
Mofa-Rocker aus dem Sauerland – mit allem, was an Vorurteilen dazugehört.
Er kommt nun einmal aus einer Familie, die so katholisch war, dass ihr auch
Kreuze mit Haken immer noch lieber waren als gar keine Kreuze. Mit seinem
Gerede über kleine Paschas war es ähnlich. Ein großes Problem ist es
natürlich, dass Herr Merz gar keine normalen Leute kennt, schon gar keine
Berliner, vor denen er sich ekelt. Deswegen muss er sich über sie auf
Facebook informieren, wo er dann gerne mal bei rechtem Quatsch hängen
bleibt.“
Wir fragen unsere Gesprächspartnerin, wann sie innerlich den Entschluss zum
Abschied gefasst habe. „Es war wohl, als ich einen Tag lang vergeblich
versucht habe, ihm auszureden, Olaf Scholz im Bundestag als ‚Klempner der
Macht‘ zu verspotten. Es sei keine gute Idee, einen Handwerksberuf als
Beleidigung zu verwenden, wenn man selbst die Partei der Handwerker sein
will, habe ich ihm gesagt. Aber er war zu begeistert von seiner
Wortschöpfung. Und sein neues Schoßfrettchen, dieser Carsten Linnemann, hat
ihm eifrig beigepflichtet, die Formulierung sei ganz vortrefflich, ja
genial. Nun ja, jetzt bin ich seit Jahresanfang arbeitslos. Sie wollen
bestimmt noch wissen, was ich jetzt beruflich stattdessen machen will,
oder?“
Wir nicken neugierig. „Ich möchte mich ein bisschen von der Zeit mit
Friedrich Merz erholen und mich jetzt selbstständig machen, um
Achtsamkeitstraining für Bauern anzubieten. Mit röhrenden Treckern bin ich
schon als Kind gerne gefahren.“
14 Feb 2024
## AUTOREN
Michael Bittner
## TAGS
Friedrich Merz
Kommunikation
Politikberatung
Zoo
Erbschaftssteuer
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt AfD
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