| # taz.de -- Racial Profiling in Hamburg: Kontrollen im Minutentakt | |
| > Die massive Polizeipräsenz auf St. Pauli erzeugt Unsicherheit und Angst. | |
| > Wissenschaftler*innen haben die Situation vor Ort ausgewertet. | |
| Bild: Dauerbrenner: Schon 2020 protestierten Hunderte im Park Fiction gegen Ras… | |
| Hamburg taz | „Wenn du Schwarz bist, will die Polizei dich hier nicht | |
| sehen. Sie folgt dir, egal ob du was Illegales gemacht hast. Du kannst | |
| wegrennen, dann kontrollieren sie dich, weil du weggerannt bist. Bleibst du | |
| stehen, kontrollieren sie dich auch. Es ist egal, was du machst.“ So | |
| klingen viele der Aussagen, die Forschende der Hamburger Hochschule für | |
| Angewandte Wissenschaften zusammengetragen haben. Professor*innen, | |
| Studierende, Sozialarbeiter*innen und Anwohner*innen haben | |
| zweieinhalb Jahre zu [1][Racial Profiling im Stadtteil St. Pauli | |
| geforscht.] Am Dienstag haben sie die Ergebnisse vorgestellt. | |
| Die Forschung bestätigt einen Missstand, den Anwohner*innen St. Paulis | |
| und andere Betroffene seit Jahren beklagen: Durch massive Präsenz und | |
| permanente Kontrollen Schwarzer Menschen dominiert die Polizei den | |
| Öffentlichen Raum auf eine Weise, die bei den Nutzer*innen des | |
| Stadtteils Angst, Unsicherheit, Beklemmung und ein Gefühl von Unterdrückung | |
| auslöst. An einigen Orten kommen alle vier bis fünf Minuten | |
| Polizist*innen vorbei. Anwohner*innen gucken aus dem Fenster und | |
| sehen zwölf Polizist*innen auf einmal. Jedes einzelne Mal, wenn sie das | |
| Haus verlassen, treffen sie auf die Polizei. | |
| Seit 2016 patrouilliert die „Task Force Drogen“ auf St. Pauli, im | |
| Schanzenviertel und in der Nähe des Hauptbahnhofs, mit dem Ziel, die | |
| „öffentlich wahrnehmbare Drogenkriminalität“ einzudämmen. Mit den Jahren | |
| ist die Task Force gewachsen. Eine Senatsanfrage der Linksfraktion ergab | |
| zuletzt, dass schon 1,12 Millionen Stunden Polizeiarbeit in die Task Force | |
| flossen, 60 Beamt*innen pro Tag werden im Schnitt eingesetzt. Dem | |
| gegenüber stehen aber nur kleine Erfolge: Meist findet die Polizei bei den | |
| Männern höchstens Kleinstmengen von rund einem Gramm Marihuana. Die | |
| Straßenverkäufer verbringen in der Regel ein paar Stunden im | |
| Polizeigewahrsam – wenn es schlecht läuft, kommen sie [2][einige Wochen in | |
| Untersuchungshaft]. Danach sind sie zurück auf der Straße. Die allermeisten | |
| haben ein Schengenvisum oder eine Duldung – beides verbietet ihnen, einer | |
| legalen Arbeit nachzugehen. | |
| Die nicht repräsentative Studie der Hochschule besteht aus drei Teilen: Im | |
| ersten Schritt dokumentierten 45 Forscher*innen sieben Tage lang die | |
| Präsenz und Tätigkeiten der Polizei. Im zweiten Schritt führten sie fünf | |
| leitfadengestützte Gruppeninterviews mit 23 Personen aus der Zielgruppe | |
| durch, auf die die Polizeimaßnahmen gerichtet sind: junge, aus Westafrika | |
| geflüchtete Männer. Der dritte Teil besteht aus 13 Einzelinterviews mit | |
| Anwohner*innen des Stadtteils. | |
| Die ursprüngliche Idee sei gewesen, dass die Geflüchteten die | |
| Polizeimaßnahmen selbst dokumentierten, sagt Professorin Sabine Stövesand | |
| bei der Präsentation der Ergebnisse. Doch das habe sich als nicht | |
| praktikabel herausgestellt, weil die Betroffenen zu sehr unter Druck | |
| stünden und Angst vor der Polizei hätten. Auch bei der Präsentation der | |
| Forschungsergebnisse ist deshalb keiner der Geflüchteten anwesend. | |
| „Die extrem hohe Frequenz polizeilicher Maßnahmen hat uns selbst | |
| überrascht“, sagt Steffen Jörg, Mitarbeiter der Gemeinwesenarbeit St. | |
| Pauli. An der Hafentreppe, dem Hotspot der Verfolgung westafrikanischer | |
| Geflüchteter durch die Task Force, hätten die Forschenden innerhalb von | |
| acht Stunden 39 Maßnahmen dokumentiert – darunter Festnahmen, | |
| Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen und Streifen. | |
| Das führe zu einer emotionalen Belastung im Stadtteil, sagt die Professorin | |
| Efthimia Panagiotidis. „Der Lebensalltag gestaltet sich als nervig, | |
| angespannt und stressig.“ Indem die Polizei mit Taschenlampen auf Balkons | |
| leuchte und in die Fenster gucke, greife sie in die Privatsphäre der | |
| Anwohner*innen ein. Wenn sie gegen die Polizeimaßnahmen intervenierten, | |
| müssten Anwohner*innen immer mit Platzverweisen rechnen. Panagiotidis | |
| weist darauf hin, dass das auch Auswirkungen auf die Sozialisation von | |
| Kindern habe, die unter der ständigen Polizeipräsenz aufwachsen. „Da kommt | |
| es zu einer Selbstkriminalisierung“, sagt die Professorin. Das sei | |
| tragisch. | |
| Die Soziologin und Anwohnerin Simone Borgstede fasst die emotionalen Folgen | |
| zusammen, unter denen die Betroffenen der Polizeimaßnahmen leiden: Angst, | |
| Scham, Stigmatisierung, Unsicherheit, und das Gefühl, ausgeliefert zu sein, | |
| seien die vorherrschenden Emotionen. „Wenn ich vor der Polizei wegrenne, | |
| sehe ich weiße Menschen, die zugucken und das interessant finden. Ich | |
| schäme mich dann. Aber ich habe keine Wahl“, habe einer der Interviewten | |
| gesagt. | |
| ## „Gefährlicher Ort“ erlaubt Kontrollen auch ohne Verdacht | |
| Die rechtliche [3][Konstruktion des „Gefährlichen Ortes“], die es der | |
| Polizei erlaubt, verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen, verletze | |
| die Geflüchteten. „Es klingt, als ob wir große Kriminelle wären, die | |
| Menschen kidnappen oder umbringen“, habe ein anderer im Interview gesagt. | |
| „Aber nichts davon stimmt. Es verletzt mich sehr, diesen Ort als gefährlich | |
| zu bezeichnen.“ | |
| Oft hätten die Befragten angegeben, sich entrechtet zu fühlen und den | |
| Eindruck zu haben, die Demokratie in Deutschland gelte nicht für sie. Viele | |
| gaben an, unter finanziellem Druck zu stehen, weil sie ihrer Familie Geld | |
| schicken müssen, um etwa Kinder zur Schule schicken zu können. Alle | |
| äußerten den Wunsch, einer geregelten Arbeit nachgehen zu dürfen. | |
| „Für die irre Summe von 75 Millionen Euro, die die Task Force kostet, | |
| könnte man 80 Vollzeitstellen für Sozialpädagog*innen schaffen und tolle | |
| Projekte realisieren“, rechnet der Geschäftsführer der Gemeinwesenarbeit | |
| St. Pauli, Martin Karolczak, vor. | |
| Die Forscher*innen geben noch weitere Empfehlungen für eine bessere | |
| Lebensqualität und Zukunft im Stadtteil: Das Erteilen von | |
| Arbeitserlaubnissen für Geflüchtete, die Bereitstellung psychosozialer | |
| Unterstützung, eine unabhängige Ombudsstelle der Polizei sowie eine Studie | |
| über Rassismus in der Institution – und schließlich die Abschaffung der | |
| Task Force Drogen. | |
| 21 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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