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# taz.de -- Aggression im Straßenverkehr: Schränkt den Autoverkehr ein!
> Die älteren Autofahr:innen sind nicht das Problem auf den Straßen
> Deutschlands. Das Problem sind die vielen Autos selbst.
Bild: Autobahn-Drängler im Außenspiegel
Tür zu, Motor an. Die Heizung auf dem Fahrersitz läuft, die anderen Plätze
bleiben unbesetzt. Endlich Zeit alleine, endlich Zeit, die Musik laut
aufzudrehen, mitzusingen und dem Dopamin mit dem Fuß auf dem Gaspedal
freien Lauf zu lassen. „Das Auto ist ein emotionaler Schutzraum“, sagt
Ulrich Chiellino, Leiter im Bereich Verkehrspolitik beim ADAC. Gefühle
können sich darin nahezu frei entfalten, abgeschirmt von anderen Menschen
auf den Straßen. Pkw sind der „letzte Ort, an dem eine selbstbezogene
Intimität zelebriert werden kann“, schreibt das Frankfurter
Zukunftsinstitut.
Diese Feier will Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) niemandem
verwehren. Die, die gerne mal einen über den Durst trinken, sollen ruhig
weiter fahren dürfen – zumindest in der Theorie. Der FDP-Mann setzt auf die
Eigenverantwortung der Bürger:innen, für die beim Autofahren ohnehin das
Vernunftgebot gelte, ganz auf Alkohol zu verzichten. Die Promillegrenze
weiter zu senken, hält Wissing daher für unnötig, das hat er den Zeitungen
der Funke-Mediengruppe gesteckt.
Genauso wenig überzeugend findet der Minister den [1][Vorstoß der
EU-Kommission], Fahrprüfungen für ältere Menschen einzuführen. Die
Kommission betont zwar, dass Alter an sich beim Fahren kein
Sicherheitsrisiko darstelle. Dennoch [2][sieht der Entwurf] einer neuen
europäischen Verkehrsrichtlinie vor, dass Autofahrer:innen ab 70 alle
fünf Jahre ihren Führerschein auffrischen müssen.
Wissing sagt, er wehre sich dagegen, „dass sich der Einzelne
Zwangsuntersuchungen unterziehen und nach Vorschriftskatalog seinen Alltag
gestalten muss“. Es mache die Gesellschaft „unmenschlicher, wenn wir mit
dieser Härte durchgreifen“.
## Wut bei Autofahrer:innen steigt
Der Verkehrsminister hat Recht, wenn er sagt, dass ein selbstbestimmtes
Leben ohne Auto für viele ältere Menschen schwer möglich sei – zum
Beispiel, wenn sie auf dem Land leben. Erstens aber gilt das für Menschen
jeden Alters: Auch Junge stecken fest, wenn im Dorf kein Bus fährt.
Zweitens unterschlägt Wissing, was wirklich unmenschlich ist: der Verkehr
selbst, den in Deutschland die Autos beherrschen.
Die Aggression auf deutschen Straßen steigt, das belegt eine [3][aktuelle
Studie] der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Die befragten
Autofahrer:innen gestanden deutlich öfter als in den Vorgängerjahren,
dass sie schon mal zu eng an Radfahrer:innen vorbeifahren, wenn die
Straßenbreite kein Überholen mit Sicherheitsabstand hergibt. Oder dass sie
sich Fahrspuren auf der Autobahn lieber mit der Lichthupe freiräumen als
abzubremsen.
Das Auto, ein emotionaler Schutzraum, in dem vielleicht mal Euphorie
aufkommt. Wahrscheinlicher sind Frust und Wut. Je dichter der Verkehr,
desto mehr Aggressionen, sagt der UDV. Autofahrer:innen haben mit
Gefühlen zu kämpfen, die sich kaum ihren Weg durch die Wände des
Metallkäfigs bahnen können. Also lassen sie Taten sprechen, Wut entlädt
sich in der Lichthupe – oder in noch krasseren Aktionen, die die
Unfallgefahr erheblich steigern.
Unfälle bauen auch Fahrräder, laut UDV gibt es immer mehr Kollisionen mit
Verletzten zwischen Fußgänger:innen und Radler:innen.
Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen ist nicht zu rechtfertigen.
Überraschend aber ist es nicht, dass auch Fahrradfahrer:innen eine
kürzere Zündschnur haben, wenn ihnen schon wieder ein Auto, das überlegene
Fahrzeug, den Weg abschneidet. Und außerdem sind Radler:innen der
Aggression der anderen viel direkter ausgesetzt als im Auto.
Wenn [4][Volker Wissing] also will, dass die Menschen im Straßenverkehr
menschlich bleiben, sollte er sich überlegen, wie er mehr Autos von der
Straße kriegt.
19 Nov 2023
## LINKS
[1] /Debatte-ueber-EU-Fuehrerscheinregeln/!5958525
[2] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2023/749788/EPRS_BRI(202…
[3] https://www.udv.de/udv/themen/verkehrsklima-in-deutschland-2023-155368
[4] /Reaktivierung-von-Bahnschienen/!5965260
## AUTOREN
Nanja Boenisch
## TAGS
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