# taz.de -- Musikmanager über Clubszene nach 7.10.: „Wir Juden erholen uns i… | |
> Der israelische Musikmanager Guy Dreifuss spricht über die Situation der | |
> Clubzene seit dem 7. Oktober. Auch finanziell sei es zunehmend schwierig. | |
Bild: Überlebende des Angriffs auf das „Supernova“-Musikfestival in einem … | |
taz: Guy Dreifuss, wie ist die Stimmung in der israelischen Clubszene seit | |
dem Massaker der Hamas am 7. Oktober, das sich auch gegen das | |
Psytrance-Festival Supernova in der Wüste Negev richtete? | |
Guy Dreifuss: Seit dem 7. Oktober gibt es keine Clubszene mehr in Israel. | |
Jeglicher Frohsinn ist vorbei, alle sind wie Zombies. Bars, Clubs, | |
Restaurants – sie sind geschlossen. Entweder aus Solidarität oder weil | |
Leute psychisch nicht in der Lage dazu sind, diese zu öffnen. Das | |
vergangene Wochenende war das erste Mal, dass einige wenige Läden überhaupt | |
versucht haben, wieder zu öffnen. Aber es war wenig los, die Musik blieb | |
leise. Ich habe im Phi Garden aufgelegt, normalerweise ein cooler | |
Underground-Club. Aber jetzt ist er bestuhlt, niemand ist nach Tanzen | |
zumute. Das ganze Land steht unter Schock. | |
Was bedeutet das für die Szene finanziell? Kann sie sich über Wasser | |
halten? | |
Viele, die im Nachtleben arbeiten, mussten ihre Wohnungen in Tel Aviv | |
bereits aufgeben, sie sind wieder bei ihren Eltern eingezogen. Die | |
Lebenshaltungskosten in Israel sind sehr hoch: Selbst ein paar Monate ohne | |
Arbeit geht nicht. Es ist momentan eine sehr schwierige Zeit für alle. | |
Sie kennen viele Leute, die [1][auf dem von der Hamas attackierten Festival | |
Supernova] waren, auch die Veranstalter*innen. Wie geht es ihnen? | |
Viele Freund*innen wurden dort ermordet. Ich war in den vergangenen | |
Wochen bei zahlreichen Beerdigungen. Mindestens fünf Besucher:Innen aus | |
meinem Freundeskreis wurden nach Gaza entführt, sie gehören zu den mehr als | |
250 Geiseln. Die Veranstalter*innen des Supernova sind großartige | |
Menschen, sie wollen Leute glücklich machen, eine Art Eskapismus anbieten. | |
Deshalb ist Feiern in Israel auch so zentral: Um der Brutalität des | |
Alltags, den Terroranschlägen, der Sicherheitssituation ein Stück weit zu | |
entfliehen. Unmittelbar nach dem Angriff wurde ein geschützter Raum | |
eröffnet, an dem Überlebende jeden Tag zusammenkommen. Es ist ein Ort, wo | |
sie das Geschehene verarbeiten, mit Therapeut*innen und Musik. | |
Sie haben auch eine Benefizcompilation für das Supernova mitorganisiert, | |
ihr Titel: „Bring Them Back“ … | |
Irgendwie mussten wir ja aus dieser Schockstarre herauskommen und etwas | |
proaktiv dagegen unternehmen. Also fragten wir israelische Künstler*innen, | |
ob sie uns Tracks ehrenamtlich dafür zur Verfügung stellen. [2][Mit den | |
Erlösen sammeln wir Geld für die Familien der Geiseln und die Überlebenden | |
des Festivals]. Bislang sind umgerechnet etwa 47.000 Euro zusammengekommen. | |
Die Compilation zeigt auch, wie viel Kreativität es hier gibt. | |
Sie sind auch Manager einiger bekannter israelischer DJs und | |
Produzent*innen, die international viel unterwegs sind, wie Red Axes, Mita | |
Gami und Kino Todo. Was bedeutet der Angriff und der daraus folgende Krieg | |
gegen Hamas für sie? | |
Letzte Woche erschien das neue Album von Red Axes bei Fabric Records in | |
London. Das war seit Monaten in Planung, wir wollten es auf jeden Fall | |
veröffentlichen. Dazu waren zwölf Auftritte in Europa geplant, die wir aber | |
abgesagt haben. Es ist momentan unmöglich, sich auf Musik zu fokussieren. | |
Wir haben uns auch davor gefürchtet, dass diese Auftritte von | |
antiisraelischen und antijüdischen Gruppen zur Zielscheibe werden könnten. | |
Denn Red Axes sprechen sehr offen über die aktuelle Situation. Dafür | |
kriegen sie viele negative Kommentare in den sozialen Medien. | |
Wie fühlt sich das an, als Israeli in der internationalen elektronischen | |
Musikszene aktiv zu sein? | |
Lange haben wir das Spiel mitgespielt: Wir haben uns immer dafür | |
entschuldigt, dass wir Israelis sind. Jahrelang fühlte ich mich, als müsste | |
ich mich rechtfertigen für meine bloße Existenz. Aber wir wollen uns nicht | |
mehr dafür schämen. Es ist uns jetzt egal. Es findet auch unter vielen | |
linken Israelis gerade ein Umdenken statt. Wir haben immer an Frieden | |
geglaubt und daran, dass die palästinensische Seite genauso friedlich leben | |
will wie wir. Aber wir waren offensichtlich zu naiv. | |
Sie organisieren auch Festivals in Israel, wie DGTL Tel Aviv und Port2Port. | |
Was bedeutet der Hamas-Angriff für die Zukunft solcher Großevents? | |
Schon vor dem 7. Oktober war es unglaublich schwierig, große | |
Veranstaltungen zu organisieren und abzusichern. Wir mussten rund ein | |
Drittel des Budgets für Security und Polizei einplanen, manchmal sogar | |
mehr. Da bleibt nur noch wenig übrig. Es war schon vorher ein Kampf ums | |
Überleben für viele Promoter*innen. Jetzt wird es noch schwieriger. Ich | |
sehe persönlich nicht, wie solche Großevents in den kommenden zwei bis | |
drei Jahren in Israel überhaupt stattfinden können. | |
Hinzu kommen [3][die Reaktionen der internationalen Clubszene]: Viele | |
ergreifen einseitig Partei für Palästinenser*innen und zeigen wenig | |
Solidarität mit israelischen Zivilist*innen, auch nicht mit der eigenen | |
Szene vor Ort … | |
Viele dieser DJs sind nicht mal propalästinensisch, sie sind einfach | |
antiisraelisch und boykottieren uns. Andere, die ein paarmal im Jahr in | |
Israel auflegen, die wir als Freund*innen sehen, schweigen plötzlich. | |
Aber es gibt vor allem einige deutsche DJs, die die Angriffe klar und | |
deutlich verurteilt haben und ihre Solidarität geäußert haben: Sven Väth, | |
Roman Flügel und Âme zum Beispiel. | |
Große Plattformen der Clubszene wie Boiler Room und Resident Advisor haben | |
sogar zum Streik für Palästina aufgerufen oder teilen nur | |
Solidaritätsaktionen für die palästinensische Seite. Was macht das mit | |
Ihnen? | |
Das ist nicht neu, diesen Trend gibt es leider seit einigen Jahren. Die | |
Propagandamaschinerie von Hamas und Co. war in dieser Hinsicht sehr | |
erfolgreich. Und das führt letztlich dazu, dass große Medien, die eine | |
riesige Reichweite in der Dancefloor-Szene haben, sich auf eine Seite | |
stellen, ohne den Konflikt wirklich zu verstehen. Sie drehen die Fakten um | |
– und plötzlich sind wir Israelis die mächtige Mehrheit, nicht eine | |
Minderheit von neun Millionen Menschen in der Region, umschlossen von | |
Hunderten Millionen Araber*innen. Und wir sind grundsätzlich an allem | |
schuld. Aber was sagen diese Medien zur Situation der | |
Palästinenser*innen in Ägypten, Jordanien, Syrien oder im Libanon? | |
Wird sich die israelische Clubszene von der aktuellen Situation jemals | |
erholen können? Wie lässt sich wieder zur Normalität zurückkehren? | |
Wir sind Juden, wir erholen uns immer davon. Weil wir es müssen, wir haben | |
da gar keine andere Wahl. [4][Wir leben auch schon seit Jahren mit dem | |
Boykott gegen uns von Teilen der Szene.] Ich glaube, dass wir daraus | |
stärker werden, aber es wird eine Weile dauern. Auch wenn die Szene sich | |
ändern wird. Denn wir haben uns seit dem 7. Oktober auch geändert. | |
7 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Angriff-auf-Israel/!5963370 | |
[2] https://www.october07.org/ | |
[3] /Schweigen-der-Club-Szene-zu-Hamas-Terror/!5962392 | |
[4] /Israelischer-DJ-ueber-Hamas-Terror/!5966107 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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