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# taz.de -- Douglas Murray und Nahostkonflikt: Mit Nazis für Israel
> Die entschlossenste Solidarität mit Israel kommt in den USA und
> Großbritannien ausgerechnet von rechts außen. Douglas Murray liefert die
> Stichworte.
Bild: Douglas Murray 2017 in Edinburgh
Douglas Murray hatte gerade angefangen, den Unterschied zwischen der Hamas
und den Nazis zu erklären, da flog ihm eine Rakete über den Kopf. Nachdem
er sich berappelt hatte, hob der britische Publizist im israelischen
Nachthimmel [1][zum Abschluss seines TV-Interviews mit Piers Morgan] zu
einer historischen Abhandlung an, die weltweit Furore machen sollte.
„Tatsächlich schämten sich die Nazis für ihre Taten“, behauptete er.
„SS-Bataillone, die den ganzen Tag Juden in den Hinterkopf schossen und sie
in Gruben schoben, mussten sich abends heftig betrinken, um zu vergessen.“
Hamas-Kämpfer, die am 7. Oktober in Israel Juden massakrierten, hätten
hingegen danach stolz ihre Eltern in Gaza angerufen. „Ich übertreibe nicht.
Es ist sehr interessant, und die Leute müssen das begreifen. Es gab diese
Situation mit den Nazis, die auch eine genozidale antisemitische
Organisation waren, aber sie versuchten, ihre Verbrechen zu verbergen.
Hamas war tatsächlich stolz darauf.“
Die Nazis gar nicht so schlimm? [2][„Großartig“ nannten dieses Interview]
mehrere Figuren des öffentlichen Lebens in Deutschland,
SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete es als „sehenswert“,
bevor er seinen Tweet wieder löschte. Murray hatte mit einem TV-Auftritt
geschafft, was Nazipropagandisten seit Jahrzehnten vergeblich versuchen:
Holocaust-Verharmlosung in Deutschland salonfähig zu machen, im Namen der
Solidarität mit Israel.
Der 44-jährige [3][Douglas Murray] ist ein Vordenker der angelsächsischen
Neokonservativen. Sein Bestseller [4][„The Strange Death of Europe“]
zeichnete 2017 ein düsteres Bild von einem Europa im Untergang, überrannt
von Flüchtlingen und Islamisten; es wurde das Buch zum Brexit, das
klarmachte, von was für einem Horror sich die Briten jetzt lösten.
## Postkolonialismus als Abklatsch
„The War on the West“ (2022), sein neuestes Werk, ist ein Aufruf zur
Wehrhaftigkeit des Westens gegen Woke. „Wenn wir böswilligen Kritikern
erlauben, unsere Vergangenheit zu verfälschen und zu kapern, wird die von
ihnen geplante Zukunft nicht harmonisch sein, sondern die Hölle“, schreibt
Murray.
Douglas Murrays Westen ist stolz auf seine Geschichte und seine
Überlegenheit, er sieht sich im Krieg mit „Black Lives Matter“ und
Postkolonialismus, mit Genderideologie und Kulturrelativismus.
Wenige Monate nach dem Erscheinen seines neuesten Buches war Murray an der
Universität Oxford im Dialog mit dem Theologen Nigel Biggar zu erleben,
Autor kontroverser Werke zur moralischen Verteidigung des Kolonialismus.
Der greise Biggar argumentierte bedächtig, der junge Murray lieferte die
Pointen dazu. Der ganze Postkolonialismus sei bloß ein Abklatsch der Suche
nach der „Ursünde“, lästerte Murray und behauptete, nicht die Kolonisiert…
hätten die Kolonialreiche zu Fall gebracht, sondern die Kolonialherren
selbst: „Wir verloren den Willen, es zu tun.“
Murray trägt im besten Oxford-Stil vor, geschliffen und provokant,
lässig-selbstverliebt, ein sprunghafter Charmeur. Seine Attitüde erinnert
an Boris Johnson, ein weiterer Oxford-Absolvent mit Schulbildung im
Elite-Internat Eton, beide als kostenbefreite Stipendiaten wegen ihrer
Hochintelligenz. 2016 schrieb Douglas Murray im konservativen Wochenmagazin
Spectator einen Erdoğan[5][-Schmähgedichtwettbewerb] aus, aus Solidarität
mit Jan Böhmermann; es gewann Boris Johnson, der Ankara auf „wankerer“
reimte, zu Deutsch „Wichserer“.
Anders als die US-amerikanischen Neocons, die eher stählern daherkommen,
pflegen ihre britischen Gegenstücke Frechheit und Witz, sie geben sich als
respektlose Rebellen gegen ein verschnarchtes Establishment. Sie führen von
rechts den libertären Kampf, der früher in Verteidigung von Salman Rushdie
oder Charlie Hebdo von links kam.
[6][In einer Gedenkrede] für den ermordeten niederländischen
Rechtspopulisten Pim Fortuyn, wie er homosexuell, rief Murray 2006 dazu
auf, den „Krieg gegen den Terror“ nach den Siegen in Afghanistan und Irak
nun nach innen zu richten: „Akzeptanz und Hinnahme des Bösen“ werde Europa
ruinieren, man müsse gegen den Islam „kompromisslos und absolutistisch“
agieren. „Uns von unserer verkommenen Gedankenwelt zu lösen ist der erste
Schritt“, sagte Murray, „eine praktische Art, wie Bürger einen Krieg
führen, den bisher nur unser Militär führt und gewinnt.“
Es ist von da nicht weit zum AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland in der
Israel-Sondersitzung des Bundestags am 12. Oktober, [7][wo er sagte]:
„Israel, das ist der Westen in einer Umgebung, die den Westen ablehnt und
bekämpft. Wenn wir uns an die Seite Israels stellen, verteidigen wir auch
unsere Art zu leben und zu denken gegen einen politisierten Islam.“ Oder
zum [8][Appell von Wirtschaftsminister Robert Habeck] – „Die hier lebenden
Muslime (…) müssen sich klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, um
nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen.“
Die deutsch-amerikanische jüdische Publizistin Deborah Feldman
[9][stellte diese Woche im Guardian fest], die Rhetorik von AfD und Ampel
sei kaum zu unterscheiden.
## Die Drecksarbeit machen
Der rechte Diskurs sieht Israel als Bollwerk des Westens, der im Kampf
gegen die Barbaren die Drecksarbeit machen darf, eine Verkörperung des von
Douglas Murray vermissten „Willens, es zu tun“.
Zum Gaza-Krieg fand Murray ebenfalls klare Worte. Wer jetzt noch eine
Zweistaatenlösung fordere, „träumt von der Zerstörung Israels“,
[10][schrieb er], und zu Israels Kriegszielen in Gaza: „Vielleicht werden
sie diesem unlösbaren Albtraum endlich ein Ende setzen, Hamas dem Erdboden
gleichmachen oder diesen umnachteten Landstreifen von allen Palästinensern
räumen. Es könnte dafür ein guter Zeitpunkt sein.“
Netanjahu, der selbst mit Rechtsextremisten regiert, bedient diese Haltung.
Am 27. Oktober verglich er [11][in einer TV-Ansprache] Israels Kampf gegen
die Palästinenser mit dem alttestamentarischen Krieg zwischen dem Volk
Israel und dem Stamm der Amalek, ein „Krieg von Generation zu Generation“,
wie es [12][im 2. Buch Mose] heißt. „Erinnere dich daran, was Amalek dir
angetan hat“, sagte Netanjahu.
Entsetzte Kommentatoren verwiesen auf den göttlichen Vernichtungsbefehl an
Israels König Saul [13][im 1. Buch Samuel]: „Darum zieh jetzt in den Kampf
und schlag Amalek! Weihe alles, was ihm gehört, dem Untergang! Schone es
nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und
Schafe, Kamele und Esel!“ Am Ende spricht Gott: „Ich will die Erinnerung an
Amalek unter dem Himmel austilgen.“
Das einflussreiche US-Monatsmagazin [14][Commentary], das sich als Magazin
„für konservatives jüdisches Denken“ und als „Flagschiff des
Neokonservatismus“ bezeichnet, [15][titelt seine Novemberausgabe] „Dann kam
Amalek und kämpfte mit Israel“.
Das Amalek-Gedankengut rückt zwangsläufig den Holocaust in den Hintergrund.
Murrays TV-Interview hat in den USA der jüdische Bestsellerautor und
Trump-Fan Shmuel Reichman als „das beste, was ich je gesehen habe“
gepriesen. „Die Nazis, so fundamental böse, wie sie waren“, [16][schrieb
Reichman], „glaubten, dass sie ein notwendiges Übel für das letztendlich
Gute vollbrachten.“ Weil die Nazis ihre eigenen Taten eigentlich ablehnten,
„wurden sie kreativ und nutzten Gaskammern, Massenerschießungen (in den
Hinterkopf, um direkten Gesichtskontakt zu vermeiden) und andere passive
Formen der Massenvernichtung.“
Die Hamas hingegen sei „die Verkörperung eines Bösen, wie wir es noch nie
gesehen haben“.
## Marine Le Pen gegen Antisemitismus?
Solche Nazi-Apologetik bleibt eine Ausnahme, aber sie baut Brücken. Dass
Rechtsextremisten gern an die jüdische Weltverschwörung glauben, ist kein
Widerspruch zu Israel-Solidarität, im Gegenteil erhebt diese antisemitische
Verschwörungstheorie Israel erst recht zum herausragenden Akteur mit einer
historischen Mission. Israel erledigt die Drecksarbeit im Nahen Osten, die
extreme Rechte in Europa.
Wohin das führen kann, ist in Frankreich zu erleben, wo es eine alte
Tradition jüdischen Rechtsextremismus gibt – zuletzt bei der
Präsidentschaftskandidatur des mit Douglas Murray vergleichbaren
[17][algerischstämmigen jüdischen Publizisten Eric Zemmour].
Am vergangenen Samstag rief Frankreichs Regierung [18][zu Großkundgebungen
gegen Antisemitismus] auf. Anders als bei solchen Anlässen üblich blieb
Präsident Emmanuel Macron fern. Star in Paris war die
Rechtsextremistenführerin Marine Le Pen, deren „Rassemblement National“
sich flugs zum „einzigen Bollwerk gegen Antisemitismus“ erklärte.
Am gleichen Tag gingen i[19][n Lyon vermummte Rechtsextremisten mit
Eisenstangen gegen eine Gaza-Veranstaltung] in einem kirchlichen Raum vor,
und i[20][n London marschierten wütende Rechtsnationale gegen eine
Palästina-Großkundgebung], die die Polizei zu ihrer Empörung nicht verboten
hatte. Es bedarf nicht allzu viel Fantasie, um sich Ähnliches auch in
Deutschland vorzustellen. Douglas Murray liefert die intellektuelle
Grundlage.
16 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=LoWViuG5VYs
[2] https://www.watson.ch/international/deutschland/213028138-holocaust-relativ…
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Douglas_Murray_(author)#References
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/The_Strange_Death_of_Europe
[5] https://www.spectator.co.uk/article/boris-johnson-s-award-winning-entry-in-…
[6] http://web.archive.org/web/20080201133647/http:/www.socialaffairsunit.org.u…
[7] https://www.youtube.com/watch?v=JOw9QLSxOfg
[8] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/M-O/manuskripte-habeck-ueber-isr…
[9] https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/nov/13/germany-jewish-critic…
[10] https://www.spectator.co.uk/article/britain-must-stand-up-against-those-wh…
[11] https://www.youtube.com/watch?v=zVQDDUhViXI
[12] https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/ex17.html
[13] https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/1sam15.html
[14] https://www.commentary.org/
[15] https://www.commentary.org/wp-content/uploads/2023/10/November_2023_Cover.…
[16] https://twitter.com/ReichmanShmuel/status/1722754621557350845
[17] /Praesidentschaftswahlen-in-Frankreich/!5817072
[18] /Demonstration-gegen-Antisemitismus/!5972369
[19] https://de.euronews.com/2023/11/12/rechtsextreme-sturmen-palastina-konfere…
[20] /Pro-Palaestina-Demo-in-London/!5972293
## AUTOREN
Dominic Johnson
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