# taz.de -- Humanitäre Lage in Gaza: Kaum Treibstoff und Hilfsgüter | |
> Im Küstenstreifen spitzt sich die Situation weiter zu, der internationale | |
> Druck auf Israels Regierung steigt. Wie reagiert sie? | |
Bild: Wohin mit den Verletzten? Krankenwagen in Gaza nach einem israelischen Lu… | |
JERUSALEM taz | Am Donnerstagabend, den 16. November, schreibt der Arzt | |
Ghassan Abu Sitta beim Onlinedienst X: „Nicht mehr in der Lage zu | |
operieren“. Die Al-Ahli-Al-Arabi-Klinik, das letzte noch funktionierende | |
Krankenhaus im Norden des Gazastreifens, diene nur noch als | |
„Erste-Hilfe-Station“. Hunderte Verwundete im Krankenhaus könnten an ihren | |
Verletzungen sterben, fürchtet Ghassan Abu Sitta. Der Palästinensische Rote | |
Halbmond meldet zeitgleich Angriffe der israelischen Armee auf das | |
Krankenhaus und Panzer nahe der Klinik, auf deren Gelände es bereits vor | |
einem Monat eine verheerende Explosion gegeben hatte. | |
„Wir tun, was wir können, aber wir sind nur noch vier Fachärzte und es | |
kommen täglich etwa 200 Verletzte in die Klinik“, [1][hatte Fadel Naim, | |
orthopädischer Chirurg und leitender Arzt der Klinik, in einer seiner | |
letzten Sprachnachrichten am Tag zuvor der taz gesagt.] Seitdem erreichen | |
Naim keine Whatsapp-Nachrichten mehr. Die Internet- und Telefonverbindungen | |
sind wegen des fehlenden Treibstoffs zusammengebrochen. Auch | |
palästinensische Journalisten können nur noch unter schwersten Bedingungen | |
arbeiten. | |
[2][Mindestens 37 sind laut des Komitees zum Schutz von Journalisten, einer | |
NGO mit Sitz in New York, seit Kriegsbeginn getötet worden.] Eine | |
Live-Kamera der Nachrichtenagentur AFP zeigte am Morgen des 17. November | |
dichten schwarzen Rauch über dem nördlichen Gazastreifen. Israels Armee | |
meldete die Einnahme einer Basis des Palästinensischen Islamischen | |
Dschihad. Der Arzt Fadel Naim hatte am Mittwoch dieser Woche, rund sechs | |
Wochen nach dem Hamas-Überfall auf Israel, gegenüber der taz dramatische | |
Zustände in der Klinik geschildert. „Ich arbeite seit 20 Jahren im | |
Ahli-Krankenhaus, aber ein solches Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie | |
erlebt.“ Es fehle an allem: Narkosemittel, Verbandszeug, Blutkonserven. | |
Hilfslieferungen habe das Krankenhaus bisher nicht erhalten. | |
Die Hilfsgüter für die Menschen in Gaza können laut dem UN-Hilfswerk für | |
Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) derzeit aus Mangel an Treibstoff nicht mehr | |
verteilt werden, daher gebe es momentan keine humanitären Lieferungen mehr | |
über den Rafah-Grenzübergang. Pro Tag braucht es laut | |
UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rund 200.000 Liter Treibstoff für | |
eine minimale Versorgung. Israel fürchtet, dieser könnte in den Händen der | |
Terrororganisation Hamas landen. Am 16. November durfte ein Tanklaster | |
24.000 Liter Treibstoff nach Gaza bringen, am Tag darauf genehmigte Israel | |
für humanitäre Zwecke die Einfuhr von Diesel mit zwei Tanklastern pro Tag | |
aus Ägypten in den Gazastreifen. | |
## Der Ruf nach einer Kampfpause wächst | |
Israels Führung wirft den extremistischen Gruppen in Gaza vor, | |
Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen als Schutzschilde für ihre | |
militärischen Einrichtungen zu missbrauchen. Die Hamas und die | |
Krankenhausleitungen bestreiten das. Israelische Soldaten durchkämmten | |
[3][ab dem 15. November das größte Krankenhaus Gazas, die Al-Shifa-Klinik.] | |
Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge befanden sich zu dem Zeitpunkt | |
noch immer mehr als 600 Patienten in der Klinik. | |
In Gebäuden neben dem Krankenhaus bargen Soldaten die Leichen zweier | |
Hamas-Geiseln: die 65-jährige Yehudit Weiss und die 19-jährige Noa | |
Marciano. Über die anderen rund 240 Entführten ist weiterhin kaum etwas | |
bekannt. In der Klinik selbst seien Waffen und Munition sowie der Eingang | |
zu einem Tunnelschacht entdeckt worden. Die Angaben der israelischen Armee | |
und der Hamas lassen sich häufig nicht überprüfen. Angesichts der | |
humanitären Lage wächst international der Ruf nach einer Kampfpause. | |
Seit Beginn des Krieges wurden dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium | |
zufolge mehr als 11.500 Menschen in Gaza getötet. [4][In seltener Einigkeit | |
erließ der UN-Sicherheitsrat am Abend des 15. November eine Resolution, die | |
mehrtägige humanitäre Feuerpausen im Gazastreifen forderte.] Die | |
Feuerpausen sollen Hilfe für die Zivilbevölkerung ermöglichen. Die USA als | |
Israels wichtigster Verbündeter machten nicht von ihrem Vetorecht Gebrauch. | |
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte die israelische Führung am | |
Donnerstag dieser Woche nach seinem Besuch im Kibbuz Be’eri, einem | |
zentralen Ort des Hamas-Massakers, sich nicht von „Wut aufzehren“ zu | |
lassen. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk sagte, die getöteten | |
Zivilisten in Gaza könnten nicht als „Kollateralschaden“ abgetan werden. | |
Rund drei Viertel der gut zwei Millionen Einwohner von Gaza sind seit | |
Kriegsbeginn vertrieben worden. | |
## Anzeichen für Ausweitung der Angriffe | |
Anfang der Woche wandte sich Thomas White, der Direktor des UN-Hilfswerks | |
für Palästina-Flüchtlinge, an die Presse und warnte vor einem Zusammenbruch | |
der humanitären Versorgung. In den Auffanglagern der UNO teilten sich im | |
Durchschnitt 125 Menschen eine Toilette und mehr als 700 eine Dusche. Nötig | |
seien 750 Lastwagen mit Hilfsgütern täglich. | |
Das Welternährungsprogramm (WFP) spricht davon, eine Versorgung mit | |
Lebensmitteln und Wasser sei praktisch nicht mehr gegeben. Während das | |
Abwassersystem in Gaza schon jetzt nicht mehr funktioniert, könnten die | |
beginnenden Winterregenfälle dem Küstenstreifen Überschwemmungen bringen. | |
Die WHO hat 44.000 Fälle von Durchfallerkrankungen registriert – in | |
früheren Jahren waren es um diese Jahreszeit 2.000. | |
Dass sich die israelische Führung des steigenden internationalen Drucks | |
bewusst ist, ließ Außenminister Eli Cohen Anfang der Woche durchblicken. | |
Sein Land habe noch zwei bis drei Wochen, um seine Militäroffensive | |
voranzutreiben, sagte er. Dass Israel sich an die UN-Resolution halten | |
wird, ist dennoch unwahrscheinlich. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan | |
bezeichnete sie umgehend als „realitätsfern“ und „bedeutungslos“. | |
Stattdessen gibt es Anzeichen für eine Ausweitung der Angriffe: In der | |
Nacht auf den 16. November warf Israels Luftwaffe über Chan Yunis im | |
südlichen Gazastreifen Flugblätter ab. Die Bewohner und die zehntausenden | |
Vertriebenen, die dort ausharren, wurden aufgefordert, ihre Häuser zu | |
verlassen und sich in „Schutzzonen“ zu begeben. | |
18 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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