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# taz.de -- Biologe über Plastikverschmutzung: „Am Ende sind alle Meere verm…
> Mikro- und Nanoplastik sind noch gefährlicher für Mensch und Umwelt als
> die sichtbaren Kunststoffberge. Aber wer kann und muss die Probleme
> lösen?
Bild: Meeresschildkröten ernähren sich von Quallen, Krebsen, Seegurken, die o…
taz: Herr Lehner, Sie sind eben im Pazifikland Samoa angekommen, um mit
Ihrem Team Plastikproben im Meer einzusammeln. Rechnen Sie damit, diesen
gigantischen Plastikmüllteppich zu finden, von dem man immer wieder liest?
Roman Lehner: Wir erwarten, dass wir auf dieser Expedition nicht viel
sichtbares Plastik einsammeln. Wir sind auf der Suche nach dem
Kleinstmikroplastik – also unter 0,3 Millimeter. Denn darüber gibt es
eigentlich noch gar keine wissenschaftlichen Daten. Wir wissen jedoch,
[1][dass dieses Kleinstplastik größere Folgen für die Nahrungskette haben
kann], weil viel mehr Lebewesen diese winzigen Teile aufnehmen können. Wir
nehmen Proben, die bis zu 50 Mikrometer klein sind, also 0,05 Millimeter
und somit mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar. Dieser pazifische
Plastikmüllteppich, von dem Sie sprechen – der ist eine Legende. Es gibt
zwar verschiedentlich starke Anhäufungen von Plastikmüll in den Meeren.
Aber man muss sich dabei nicht eine einzige riesige Plastikansammlung
vorstellen, die wie ein Teppich auf der Oberfläche schwimmt.
Weshalb genau ist Mikroplastik gefährlich?
Weil diese kleinen Teile nicht nur von größeren Tieren wie etwa
Schildkröten, Fischen oder Walen aufgenommen werden können, wie das bei
sichtbarem Müll der Fall ist, sondern von viel mehr Meerestieren. Und dann
können sie sich in der Nahrungskette akkumulieren. Wenn Mikroplastik von
Plankton aufgenommen wird, kommt es auch in kleine Fische oder Krill – und
wird so in der Nahrungskette nach oben transportiert und weiter
angesammelt, wenn die kleinen Fische von größeren und diese von noch
größeren Fischen gegessen werden. Plankton wird aber auch direkt von den
größten Tieren konsumiert, etwa vom Blauwal oder dem Walhai, das zeigt die
ganze Relevanz innerhalb der marinen Nahrungskette! Übrigens können
Plastikteile kleinster Größe auch von einzelnen Zellen aufgenommen werden.
Dann wird es – wissenschaftlich ausgedrückt – besonders interessant in
Bezug auf die menschliche Gesundheit. Ein Mikroplastikstück, wie wir es bis
jetzt kennen – kleiner als 5 Millimeter, nur ein paar Mikrometer groß –,
wird einfach durch den menschlichen Körper hindurchgehen. Es wird nicht von
ihm aufgenommen, weil es noch zu groß ist. Wenn wir aber von fünf
Mikrometer, also 0,005 Millimetern und noch kleiner reden, sind wir beim
[2][Nanoplastik. Und das kann auch von einer menschlichen oder tierischen
Zelle aufgenommen werden] und sich dann auch bei uns im Gewebe
akkumulieren.
Ist der Pazifik besonders stark von Plastikvermüllung betroffen?
Pazifik, Atlantik und Indischer Ozean sind durch die globalen
Meeresströmungen miteinander verbunden, was dazu führt, dass das Plastik
vom Pazifik in den Atlantik und umgekehrt transportiert werden kann. Es
gibt sicher gewisse Unterschiede, aber am Ende sind sie einfach alle sehr
stark vermüllt. Allerdings ist das [3][Mittelmeer – also in Europa
eigentlich unser Hausmeer – das am stärksten verschmutzte Meer]. Wir haben
dort die höchsten Zahlen an Mikroplastik im globalen Vergleich überhaupt.
Woher kommt diese extreme Belastung des Mittelmeers?
Hauptgrund ist, dass es nur zwei Zu- und Abflüsse gibt – die Straße von
Gibraltar und den Suezkanal. Das sind zwei relativ schmale Meerengen. Zudem
haben wir die sehr komplexe Geografie des Mittelmeers. Denken wir nur an
all die vielen kleinen Inseln, die es im Mittelmeer gibt, etwa in
Griechenland, und Italien. Die führen zu einem Strömungsmuster, bei dem
sich Plastik stark kumuliert und eigentlich gar nicht mehr aus dem
Mittelmeer hinaus kann. Zudem gibt es viele Flüsse, die Plastik vom Land
ins Mittelmeer transportieren. Und wir haben eine extrem hohe Anzahl von
Touristen, jährlich über 300 Millionen Menschen, die ihren Urlaub am
Mittelmeer verbringen. Sie konsumieren Produkte, welche oft in
Einwegplastik verpackt sind und – wenn nicht sauber entwertet – oft im Meer
enden.
Wenn Sie das Problem der Plastikverschmutzung mit anderen Problemen
vergleichen müssten, etwa Klimaerwärmung, Artenverlust, wo steht dann das
Plastik?
Die Plastikverschmutzung gehört [4][neben der Klimaerwärmung zu den
momentan global größten Umweltproblemen]. Wir müssen uns beiden stellen,
nicht zuletzt, weil sie mit einander verbunden sind. Bei der
Plastikproduktion entstehen CO2 und andere Treibhausgase, die zur
Klimaerwärmung beitragen.
Welches der beiden Probleme ist schlimmer?
Ich denke mal, die Klimaerwärmung, denn wir sehen die Folgen bereits. Beim
Plastik, da geht es wahrscheinlich noch ein paar Jahre, bis wir einen
direkten Effekt auf uns Menschen darstellen können. Wir haben zwar eine
unglaublich große Menge Plastikmüll, der nicht nur in Gewässern, sondern
auch am Land irgendwo in der Umwelt gelandet ist, und von vielen Organismen
aufgenommen wurde. Trotzdem sind die Konzentrationen oftmals immer noch zu
klein, um Folgen zeigen zu können.
Welche Rolle spielen wirtschaftliche Interessen bei der Regulierung von
Plastikmüll, allen voran die von Konzernen wie Coca-Cola, die enorme Mengen
an Plastik produzieren?
Große Unternehmen wie Coca-Cola sind sich des Problems bewusst. Ich finde
es ein bisschen einfach, wenn man mit dem Finger auf sie zeigt und sie für
das Problem verantwortlich macht. Unter dem Strich ist es der Endkonsument,
der nicht richtig mit dem Produkt umgeht. Klar, wenn alle diese großen
Firmen umstellen würden, würde dies eine markante Veränderung bewirken.
Aber das ist nicht so einfach. Man kann gewisse Plastikprodukte nicht
einfach von heute auf morgen ersetzen. Das funktioniert schon rein
wirtschaftlich nicht. Die Plastikwirtschaft ist global ein sehr großer
Wirtschaftszweig, der komplex vernetzt ist. Ich persönlich finde es sehr
positiv zu sehen, dass so ziemlich alle großen Unternehmen bereit sind,
etwas zu unternehmen, und dass sie versuchen, entweder neue Materialien
einzusetzen oder Recycling zu fördern. Sie wissen, dass es nicht nur um die
Zukunft unseres Planeten geht und der Umwelt, sondern auch um die Zukunft
der Firma.
Sind solche Maßnahmen aber nicht einfach nur Greenwashing – die Firmen
sagen, sie tun etwas, aber in Wirklichkeit sperren sie sich gegen
einzuklagende Regeln?
Ja, es ist ein zweischneidiges Schwert. Oftmals rutscht das Ganze in den
Bereich Greenwashing. Die Unternehmen produzieren weiter Plastik und haben
daneben Programme für Alternativen, um eine saubere Weste zeigen zu können.
Das ist schon so, aber am Ende geht es darum, dass man überhaupt etwas
machen und Initiative zeigen muss. Ich finde es eigentlich viel wichtiger,
dass die ganzen Aktivisten, die sich über das Plastikproblem aufregen, den
Kontakt suchen zu diesen Firmen, um gemeinsam an möglichen Lösungsansätzen
zu arbeiten. Beim Plastikproblem ist jeder Schritt in Richtung Zukunft ein
guter Schritt. Es gibt effiziente Lösungen und weniger effiziente. Man darf
nicht vergessen: Es ist ein relativ komplexes Problem, nicht nur ein
wirtschaftliches, auch ein kulturelles.
Wieso ist der Umgang mit Plastik auch ein kulturelles Problem?
Man muss das Problem in jedem Land oder auf jedem Kontinent ein bisschen
anders angehen. In Indonesien muss man die Dorfältesten überzeugen, dass
„Plastic littering“ etwas Schlechtes für die Natur ist, um die ganze
Bevölkerung zu erreichen. In Europa muss man durch Information und Bildung
einen kulturellen und sozialen Wechsel bewirken. Aber immer gilt: Die
Bevölkerung muss realisieren und umschalten und sagen: Okay, wir versuchen
jetzt, auf Plastik zu verzichten.
Welche Rolle kann ein Abkommen spielen, wie es für die UN-Konferenz in
Nairobi geplant ist?
Es wird sich zeigen, wie effizient dieses Abkommen sein wird. Aber es ist
sicher ein guter und wichtiger Schritt. Schlussendlich müssen wir uns
einfach vermehrt überlegen, wie man Produkte, die in der Umwelt Schaden
anrichten, besser ersetzen kann. Vor 1950 gab es kein Plastik, und der
Mensch hat trotzdem gut funktioniert und konnte seine Produkte verpacken.
Die [5][Alternativen existieren also schon lange, und es gibt mittlerweile
noch viel, viel mehr]. Man müsste diese Alternativen viel mehr fördern.
Aber Plastik ist von der Produktionsseite her einfach viel zu billig. Jede
Alternative ist immer zu teuer. Das macht es dann schwierig, sie zu
initiieren und zu etablieren. Hier müsste man auf Regierungsebene zusammen
mit der Wirtschaft Regeln ausarbeiten, damit solche Alternativen zu Plastik
eine Chance haben, im Markt zu überleben.
15 Nov 2023
## LINKS
[1] /Bergung-von-Fischereimuell/!5962074
[2] /Bericht-ueber-Plastik-aus-Babyflaschen/!5720301
[3] /Plastikmuellkonferenz-in-Nairobi/!5969465
[4] /Kampf-gegen-die-Klimakrise/!5969415
[5] /Verpackungsverordnung-der-Kommission/!5949185
## AUTOREN
Urs Wälterlin
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Schwerpunkt Klimawandel
Plastik
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