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# taz.de -- Verschmutztes Mittelmeer: In den Abfluss, aus dem Sinn?
> Ständig fließen Chemikalien ins Abwasser – und von dort aus auch ins
> Meer. Wie stark das Mittelmeer betroffen ist und welche Lösungen es gibt.
Bild: Eine verlorene Atemmaske schwimmt im Meer vor der Aquitaine, Frankreich
Mittelmeer, Katamaran „Waka“ taz | Der Wasserfilter in der Hand des
Regenmantel tragenden Kapitäns ist graubraun verdreckt. Dieser
unterarmgroße Filterfaserkolben reinigt das Trinkwasser an Bord der „Waka“
von Fäkalien-, Öl- und Sedimentresten. Das entsalzte Meerwasser schmeckt
frisch. Die Aufbereitungsanlage ist im kleinen Badezimmer des Katamarans
eingebaut, schräg gegenüber vom Waschbecken. Beides trennt ein blickdichter
Vorhang. Daneben hängt ein Feuerlöscher. Draußen quälen sich mittägliche
Sonnenstrahlen durch die quellenden Regenwolken. Die weiße Bootslackierung
spiegelt sie bis ins Bad hinein – als wollten sie daran erinnern, das
Eincremen nicht zu vergessen.
In den Details dieser Erzählung versteckt sich eine Gefahr. Denn
Regenjacken, Vorhang, Feuerlöscher, Bootslackierung und Sonnencreme können
etwas gemeinsam haben: Persistente, also langlebige Substanzen, die als
Brandverzögerer, Schmutz- und Wasserabweiser und Weichmacher in
Plastikprodukten wirken. [1][Ralf Ebinghaus, Leiter des Instituts für
Umweltchemie des Küstenraums am Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht
erklärt ihre Beliebtheit so]: „Wer möchte nicht eine wasserdichte,
schmutzabweisende, aber gleichzeitig atmungsaktive Outdoor-Jacke haben?“ Im
Material ist Persistenz, also Langlebigkeit, wünschenswert, damit der Regen
nicht durch die Jacke und der Kaffee nicht durch den Becher weicht. Aber
Persistenz in der Umwelt ist lästig und gefährlich.
Die einzelnen Elemente des Periodensystems verbinden sich unendlich
vielfältig miteinander. Für bestimmte Funktionen erfinden Menschen
langlebige Verbindungen. Mit der Zeit waschen sich diese aus und fließen –
ungeklärt oder geklärt – in Flüsse und von dort ins Meer. Laut der großen
Studiensammlung [2][World Ocean Review] stammen 80 Prozent aller
Schadstoffeinträge aus Landquellen wie aus Kläranlagen und der
Landwirtschaft. Den Rest verursachen zum Beispiel die Schifffahrt oder die
Fischerei.
Die schädlichen Stoffe verhalten sich unterschiedlich. Einige lassen sich
nicht gern vom Boden oder Sedimenten zurückhalten, sie treiben im Wasser.
Das heißt, sie sind mobil. Außerdem sind manche für Mensch oder Tier
krebserregend, also toxisch. Sie heißen abgekürzt PMT (englisch für
langlebig, mobil, toxisch) oder vPvM (englisch für sehr langlebig und sehr
mobil).
## Am Ende auf dem Restaurantteller
Andere Substanzen sind weniger mobil. Sie verteilen sich vor allem über die
Luft, aber können auch im Wasser landen und sich dort über die Nahrung oder
die Haut in Gewebe und Organen von Tieren ablagern. Diese Stoffe heißen
POPs (englisch für langlebige, organische Schadstoffe). Einige POPs werden
allerdings auch als PMT oder vPvM klassifiziert, die Kategorien überlappen
sich. Sie sind komplexe Verbindungen zwischen Kohlenstoff und meist Chlor,
Brom oder Fluor, welche unter anderem als Insektizid oder als
Wärmeträgerflüssigkeiten in Maschinen eingesetzt werden. Je mehr ein Tier
am Ende der Nahrungskette steht, desto stärker sammeln sich diese
Substanzen in seinem Körper an. Und landen danach möglicherweise auf einem
Restaurantteller.
Oder die Tiere stranden, zum Beispiel an den italienischen Küsten des
Pelagos-Schutzgebietes. Die direkte Todesursache der Großen Tümmler in der
Region ist laut einer Studie zwar nicht, dass sich Bootslackierungen aus-
oder Sonnencremes abwaschen. Sondern Parasitenbefall, eine Schiffskollision
oder Verletzungen und Krankheit dadurch, als Beifang gefischt worden zu
sein. Die Konsequenzen sind langfristig. Einige Stoffe beeinflussen das
Immunsystem oder die Fortpflanzung negativ.
Auch die untersuchten Delfinkörper sind stark belastet, beispielsweise mit
[3][Abbauprodukten des Insektizids DDT]. Weitere Verbindungen, die weltweit
verboten sind, sind polychlorierte Biphenyle ([4][PCB]). Das sind giftige
Chlorverbindungen, die zum Beispiel bis in die 80er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts als Weichmacher in Lacken verwendet wurden.
Alle 21 untersuchten Großen Tümmler weisen laut der Studie mehr als den
Schwellenwert für PCB-bedingte gesundheitliche Schäden von 17 Milligramm
pro Kilo Körperfett auf. Noch heute kann die Industrie PCB als Nebenprodukt
entstehen lassen und freisetzen. Die Funde stellten „die Ausweisung des
Walschutzgebiets und damit eines Gebiets, das zu ihrem Schutz geschaffen
wurde, in Frage“, schreiben die Forscher*innen in ihrer Studie aus dem
vergangenen April.
## Weibliche Delfine mit weniger Schadstoffen
Verschiedene Untersuchungen greifen den Aspekt auf, dass das Gewebe
weiblicher Delfine meist weniger Schadstoffe enthält, weil sie diese
während der Schwangerschaft oder durch das Säugen an ihren Nachwuchs
übertragen. Männliche Artgenossen hingegen häufen ein Leben lang
Schadstoffe im Körper an.
In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2023 analysieren Forscher*innen
gestrandete Meeressäuger an Spaniens Mittelmeerküste. Sie äußern wenig
Zuversicht: Die „ständige Entwicklung neuer Chemikalien“ mache „wenig
Hoffnung auf eine kurz- und mittelfristige Beseitigung der chemischen
Verschmutzung als Risiko für die Meeresfauna.“
Laut dem von Expert*innen zusammengetragenen [5][Ersten
Sachstandsbericht für den Mittelmeerraum] von 2020 werden „neu auftretende
Schadstoffe im gesamten Mittelmeerbecken weit verbreitet und durch den
zunehmenden Zufluss unbehandelter Abwässer noch weiter verstärkt.“ Auch auf
Menschen wirken die langlebigen, organischen Schadstoffe. Die WHO zählt –
je nach Stoff – unter anderem ein erhöhtes Krebsrisiko, neurologische oder
genetische Schäden auf.
Zahlreiche internationale Abkommen und Konventionen geben zwar vor, wer was
wie wo abladen darf oder vermeiden muss – gegen die Verschmutzung und für
den Naturschutz. Es gibt immer wieder neue Empfehlungen, welche langlebigen
Verschmutzer als nächstes verboten werden sollen. Diese können die über 180
Mitgliedsstaaten des Stockholmer Übereinkommens vorschlagen. Die Konvention
gilt in den meisten Ländern seit 2004 und listet mittlerweile fast 30
Schadstoffe. Diese sollen damit aus dem Verkehr gezogen, in Produktion und
Verwendung eingeschränkt oder als Nebenprodukt in der Industrie vermieden
werden.
## Schlechtes wird durch fast genauso Schlechtes ersetzt
Dennoch verschmutzen weiterhin viele Altlasten die Welt, also vor Monaten,
Jahren und Jahrzehnten freigesetzte Schadstoffe. Und mit ihnen auch die
Ersatzstoffe für bereits verbotene Substanzen. „Wenn wir einen mobilen und
persistenten Stoff durch einen anderen ersetzen, führt das wahrscheinlich
zu ‚regrettable substitution‘. Also dass wir etwas Schlechtes mit etwas
fast genauso Schlechtem ersetzen, das auch noch weniger wissenschaftlich
untersucht ist“, sagt Sarah Hale, Projektleiterin von ZeroPM. Dieses
Projekt soll durch „Prävention, Priorisierung und Beseitigung“ schädlicher
Substanzen einen Teil zur „Zero Pollution“-Strategie des Green Deal der
EU-Kommission beitragen.
Ralf Ebinghaus vom Institut für Umweltchemie äußert einen weiteren Aspekt,
der mit dem Klimawandel zusammenhängt: Das Schmelzen der Polkappen setze im
Eis eingeschlossene, daher unveränderte Schadstoffe vielfach frei. Diese
würden erst dann anfangen, sich abzubauen – und das dauert lange.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 produzieren und verwenden diverse
Akteur*innen weltweit mehr als 350.000 Chemikalien und -Mischungen. Mehr
Durchblick dabei schaffen will das Team des EU-Forschungsprojekts ZeroPM.
Sie hantieren mit einer bestimmten Gruppe von Chemikalien, den [6][per- und
polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS)]. Unter anderem die Textil- und
Papierverpackungsindustrie setzen sie ein. Wahrscheinlich weilen sie durch
ihre dichthaltende, wasser- und fettabweisende Funktion auch im
Feuerlöscher auf dem Segelkatamaran. Sie reichern sich im Nahrungsnetz an
und schädigen die Gesundheit – unterschiedliche Geschlechter in anderen
Maßen.
Unter anderem durch schlechtes Müllmanagement und den Alltag von
Einheimischen und Tourist*innen verschmutzen PFAS das Grundwasser, wie
zum Beispiel in Rastatt in Baden-Württemberg. In einer Kläranlage testet
ZeroPM mit den dortigen Stadtwerken verschiedene Filter- und Ad- und
Desorptionstechniken, um die PFAS loszuwerden. Eine weitere Anlage
installiert ZeroPM am Mittelmeer, im griechischen Mytilini auf Lesbos.
Damit wollen sie die Grundwasser- und Meeresverschmutzung lokal aufhalten.
Aber: Technische Beseitigungsmethoden seien nicht immer wirksam. „Am
nachhaltigsten ist, den Schadstoff gar nicht erst zu produzieren oder zu
emittieren“, betont ZeroPM-Projektleiter Hans Peter Arp. „Wenn Substanzen
im Meer akkumulieren, ist es zu spät. Daher sind Eliminierungsmethoden die
letzte Wahl und der Prävention immer unterlegen.“
Dieser Text entstand im Rahmen eines [7][Recherchestipendiums der Okeanos
Stiftung für das Meer.]
7 Mar 2024
## LINKS
[1] https://www.eskp.de/fileadmin/eskp/downloads/broschuere_berichte/Interview-…
[2] https://worldoceanreview.com/de/
[3] https://www.umweltbundesamt.de/THEMEN/CHEMIKALIEN/PERSISTENTE-ORGANISCHE-SC…
[4] /Chemikalienkonferenz-endet-mit-Abkommen/!5960973
[5] https://www.medecc.org/wp-content/uploads/2020/11/MedECC_MAR1_SPM_GER.pdf
[6] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikatione…
[7] https://okeanos-stiftung.org/recherchestipendium/
## AUTOREN
Luisa Gohlke
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