| # taz.de -- Verpackungsverordnung der Kommission: EU setzt auf Mehrweg | |
| > Europa hat ein Problem mit Verpackungsmüll und es wird immer größer. Die | |
| > EU-Kommission will diesen Trend stoppen, aber die Pläne sind umstritten. | |
| Bild: Folie ohne Ende: Unnötige Einwegverpackungen von Obst und Gemüse sollen… | |
| Berlin taz | Mini-Shampooflaschen in Hotels, in Plastik eingeschweißtes | |
| Obst und Gemüse im Supermarktregal, Einweg-Transportverpackungen für | |
| Waschmaschinen auf ihrem Weg zum Händler oder Kunden – solche Dinge sollen | |
| künftig verboten sein. | |
| Die EU-Kommission hat dazu eine neue Verpackungsverordnung entworfen. Sie | |
| will unnötige Kartons und Verpackungen vermeiden, mehr Mehrweg statt | |
| Einweg, zudem das Recycling ausbauen. Nachdem vor zwei Jahren [1][bereits | |
| Einweg-Plastikprodukte wie Teller, Besteck, Trinkhalme verbannt wurden], | |
| geht es nun nicht allein um Kunststoffe. Das trifft viele in der | |
| Wirtschaft, Einzel- und Onlinehändler, Lebensmittel- und andere Konzerne. | |
| In Frage steht: Was ist eigentlich machbar, was sinnvoll? | |
| Am Problem zweifelt derweil kaum jemand. Verpackungen sind schnell | |
| weggeschmissen. In der EU machen sie 36 Prozent der kommunalen festen | |
| Abfälle aus. Ein- oder zweimal die Haare gewaschen, landet das | |
| Shampoo-Fläschchen schon in der Tonne. Die Bestellungen im Internet haben | |
| über die Jahre zugenommen, an Karton, Pappe, Folie wird da selten gespart. | |
| Und mit einer alternden Gesellschaft wie in Deutschland werden Haushalte | |
| kleiner, verkaufte Portionsgrößen auch. | |
| Insgesamt wirft jede und jeder in Europa im Schnitt rund 180 Kilo | |
| Verpackungen in den Müll – pro Jahr. Spitzenreiter ist Deutschland. | |
| Bürgerinnen und Bürger hierzulande kommen auf 226 Kilogramm. Der | |
| Ressourcenverbrauch: enorm. 50 Prozent des Papiers und 40 Prozent aller | |
| Kunststoffe, die in der EU verwendet werden, sind für Verpackungen. Tendenz | |
| steigend. Die Brüsseler Kommission prophezeit, dass im Jahr 2030 schon 209 | |
| Kilo Verpackungsmüll pro Kopf anfallen würden – wenn sich nichts ändert. | |
| ## Verbieten oder wiederverwenden | |
| Die EU-Kommission will dabei nicht einfach zuschauen, sondern den Berg von | |
| Verpackungsabfällen verkleinern, die Menge im Vergleich zu 2018 bis 2030 um | |
| 5, bis 2035 um 10 und bis 2040 um 15 Prozent mindern. Dazu will sie manche | |
| Verpackungen ganz verbieten. Die Miniatur-Arten in Hotels etwa, zu denen | |
| auch die Marmeladendöschen auf dem Frühstückstisch gehören. Auch die | |
| überdimensionierten im Versandhandel, Leerräume sollen auf 40 Prozent | |
| beschränkt werden. Oder unnötige Einwegverpackungen von Obst und Gemüse. | |
| Andere Verpackungen sollen öfter verwendet werden können, 2030 etwa 20 | |
| Prozent derer, die für Getränke zum Mitnehmen gedacht sind, 10 Prozent | |
| derer für Speisen. 2040 sollen es 80 beziehungsweise 40 Prozent sein. Das | |
| ist in den Restaurants, Cafés und Supermärkten in Deutschland schon | |
| einigermaßen eingeübt, [2][sie müssen seit 2023 für Essen und Getränke zum | |
| Mitnehmen immer auch die Mehrweg-Alternative haben]. Mehrweg soll sich aber | |
| nicht nur darauf beschränken. | |
| Auch 90 Prozent der Verpackungen großer Haushaltsgeräte sollen ab 2030 | |
| wieder verwendbar sein. So beginnt der grundsätzliche Streit über Einweg | |
| versus Mehrweg jetzt auch in einem Bereich, der lange davon ausgenommen | |
| war. | |
| Denn: Bisher werden etwa Kühlschränke oder Waschmaschinen vor allem mit | |
| Kartons und Kunststoffbändern vor Schäden beim Transport von der Fabrik zum | |
| Händler oder Kunden geschützt. Für den Karton gibt es dann keine weitere | |
| Verwendung. Er landet in der Recyclingtonne. Kisten, die sich öfter nutzen | |
| lassen, sind noch selten. | |
| ## Industrie: Mehrweg nicht immer besser | |
| Mehrweg sei „keineswegs immer die bessere Wahl“, erklärt der Vorsitzende | |
| des Verbandes der Wellpappen-Industrie, Steffen Würth, der auch | |
| Geschäftsführer von Straub-Verpackungen im baden-württembergischen | |
| Bräunlingen ist. Die Firma hat sich auf Transportverpackungen aus Wellpappe | |
| spezialisiert. Er beruft sich auf eine Studie, die die Gesellschaft für | |
| Verpackungsmarktforschung (GVM) im Auftrag des Verbandes gemacht hat. | |
| Demnach drohten, so Würth, „elf Prozent mehr Kunststoffverbrauch, 200 | |
| Prozent mehr Transportkilometer, 80 Prozent mehr Lagerfläche und um bis zu | |
| 400 Prozent höhere Kosten für Packmittel.“ Die Kisten für Mehrweg, die in | |
| der Regel aus Plastik sind, müssten gereinigt und wieder ausgeliefert | |
| werden. Das werde oft ausgeblendet. Derweil würden die Einwegverpackungen | |
| optimiert, habe ein Quadratmeter Wellpappe 2017 im Schnitt noch 515 Gramm | |
| gewogen, seien es mittlerweile nur noch 504 Gramm. | |
| Doch sollen ab 2030 auch 10 Prozent aller Sendungen im Onlinehandel in | |
| einem Mehrweg-System verschickt werden, ab 2040 dann 50 Prozent. Die | |
| EU-Kommission gibt dieser Branche für die Umstellung damit mehr Zeit, am | |
| Prinzip Mehrweg statt Einweg führt für sie aber offenbar kein Weg vorbei. | |
| Ist das falsch? | |
| Till Zimmermann vom Hamburger Umweltberatungsinstitut Ökopol hat die | |
| Unternehmen Otto und Tchibo bereits vor einigen Jahren wissenschaftlich | |
| begleitet, als diese Mehrweg-Versandtaschen des finnischen Anbieters Repack | |
| testeten. Das habe sich als aufwendiger erwiesen als gedacht, sagt er. | |
| Tchibo mache derzeit aber einen neuen Mehrweg-Probelauf. Auch der | |
| Logistikkonzern DHL suche nach Lösungen. | |
| ## Fokus liegt auf den Transportwegen | |
| Zimmermann meint: „Erst vor Kurzem hat Günther Jauch auch die | |
| Einweg-Plastikflaschen aus Recyclingmaterial von Lidl als ökologisch | |
| angepriesen. Dabei wird immer unterschätzt, dass auch die bestehenden | |
| Mehrwegsysteme noch besser werden können.“ Den Ausschlag gäben immer die | |
| Transportwege. „Fährt ein Lkw eine einzelne Mehrwegkiste hin und her, um | |
| sie zu säubern und zu verteilen, ist das natürlich nicht effizient. Das | |
| lässt sich logistisch aber anders lösen, allemal wenn Mehrweg üblicher | |
| wird.“ | |
| Aber: Geht es nach der EU-Kommission, sollen ab 2030 alle Verpackungen | |
| recycelbar sein. Und schon heute sind Kartons, Pappen, | |
| Wasser-Plastikflaschen zu großen Teilen aus recyceltem Material. Ändert das | |
| nichts? Ines Oehme, die beim Umweltbundesamt das Fachgebiet „Kunststoffe | |
| und Verpackungen“ leitet, sagt es so: „Abfälle gar nicht entstehen zu | |
| lassen, also nicht so viele Materialien zu nutzen, ist immer das Beste. Am | |
| zweitbesten ist es, die Dinge mehrfach zu nutzen. Danach kommt erst das | |
| Recycling. Das Wegwerfen steht ganz am Schluss.“ | |
| Das sei die Abfallhierarchie – vermeiden, wiederverwenden, recyceln – und | |
| der Kern deutscher und europäischer Gesetzgebung. Es gebe keinen Grund, | |
| daran zu rütteln. Auch wenn sie zum Beispiel strengere Mehrwegvorgaben etwa | |
| für Getränke will, die bisher hinter dem Status quo in Deutschland | |
| zurückbleiben, sagt sie: „Wir begrüßen den Vorschlag der EU.“ | |
| Der Entwurf mit seinen 65 Paragrafen muss nun mit dem Parlament und dem Rat | |
| der Mitgliedsländer abgestimmt werden. Geht alles nach Plan, soll die | |
| Verordnung Mitte 2024 in Kraft treten. | |
| 8 Aug 2023 | |
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| [1] /Verstoesse-gegen-Mehrwegpflicht/!5911169 | |
| [2] /Lebensmittel-zum-Mitnehmen/!5921514 | |
| ## AUTOREN | |
| Hanna Gersmann | |
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