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# taz.de -- Globaler Kampf gegen Plastikmüll: Jetzt wird's konkret
> In Nairobi gehen die UN-Verhandlungen über einen globalen Vertrag gegen
> Plastikmüll weiter. Die Einigung könnte schwierig werden.
Bild: Nur ein kleiner Bruchteil des Plastikmülls, der durch die Weltmeere schw…
Bei Seevögeln gibt es eine neue Krankheit. Sie heißt Plastikose: Der
Verdauungstrakt der Tiere ist vernarbt, weil gefressene Plastikpartikel
Entzündungen verursachen.
Mindestens 85 Prozent des Meeresmülls besteht aus Kunststoff, und 3,4
Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden durch Kunststoffprodukte
verursacht – rund 1,8 Milliarden Tonnen jährlich. Dabei werden die meisten
Emissionen bei der Produktion freigesetzt.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen [1][Unep] nennt diese und
zahlreiche weitere Belege, dass die Verschmutzung durch Kunststoff sich zu
einer globalen Krise ausgewachsen hat. Die dritte neben der Erderhitzung
und dem Artensterben.
[2][Plastikmüll schwappt in den Ozeanen herum] und reichert sich in Form
kleinster Partikel im Boden an – und er wird immer mehr. In den vergangenen
20 Jahren hat sich die jährliche weltweite Plastikproduktion verdoppelt,
auf 460 Millionen Tonnen im Jahr 2019.
Wenn die Menschheit so weitermacht, wird sie im Jahr 2060 rund 1,23
Milliarden Tonnen Plastik herstellen, also mehr als 1.200.000.000.000 Kilo
Tüten und Flaschen, Farben und Beschichtungen, Autositze, Pullover,
Fensterrahmen, Rohre und so weiter. Die Hälfte davon wird in Asien erzeugt,
die andere hauptsächlich in Europa und Nordamerika.
## Die entscheidende Runde
Um der Kunststoffflut und ihren Auswirkungen auf Menschen und Natur etwas
entgegenzusetzen, will Unep ein globales Abkommen über Plastikverschmutzung
vereinbaren. Am Montag startet in Nairobi die dritte von fünf
Verhandlungsrunden für das Abkommen, nächstes Jahr soll es fertig werden.
Für ihre Verhältnisse legen die UN damit ein enormes Tempo an den Tag.
Politiker, Unternehmen und Zivilgesellschaft messen der bevorstehenden
Verhandlungsrunde eine große Bedeutung zu, weil erstmals an einem konkreten
Textentwurf gearbeitet wird. Er sieht etwa Verbote und Maßnahmen vor, um
Einwegplastikprodukte, Mikroplastik in Kosmetika oder auch [3][Geisternetze
in der Fischerei] zu verbieten. Letztere sind verloren gegangene oder
entsorgte Fangnetze, die durchs Meer treiben und eine tödliche Falle für
Meeresbewohner darstellen.
„Dieses Abkommen allein wird zwar nicht die gesamte Verschmutzungskrise
durch Pestizide, Chemikalien und so weiter lösen“, sagt Florian Titze, der
bei der Naturschutzorganisation WWF für globale Umweltpolitik zuständig
ist, „es würde aber eine immense Lücke schließen, denn bei der
Plastikverschmutzung haben wir die planetaren Grenzen deutlich
überschritten.“
Zudem hänge die Klima- und Biodiversitätskrise mit der Verschmutzung
zusammen. „Wir müssen alle drei auf globaler Ebene lösen“, sagt Titze.
## Das Problem: der Konsum
Allen drei Krisen liegt ein Konsum zugrunde, der zu viele Ressourcen
verbraucht. Plastik ist dabei der Inbegriff des Wegwerfkonsums. Kurzlebige
Dinge machen 66 Prozent des Kunststoffverbrauchs aus – Beutel, Folien,
Shampoo- oder Colaflaschen, Kaffee- oder Eiscremebecher. Häufig werden sie
nur wenige Minuten benutzt und landen dann im Müll.
Die tatsächlichen Recyclingquoten sind gering, trotz aller
Absichtserklärungen. Nach UN-Angaben werden weltweit 46 Prozent der
Kunststoffabfälle auf Deponien gelagert, 22 Prozent falsch entsorgt, 17
Prozent werden verbrannt und nur 15 Prozent zum Recyceln gesammelt, wobei
am Ende weniger als 9 Prozent tatsächlich recycelt werden. Die UN gehen
davon aus, dass die globalen Recyclingraten auch künftig niedrig bleiben
und bis 2060 auf nur 17 Prozent steigen werden.
Längst hat die Kunststoffindustrie ihr Imageproblem erkannt und versucht,
sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. „Das Plastikabkommen ist
wichtig“, sagt Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands
Plastics Europe. Er betont, die Staatengemeinschaft müsse vor allem auf die
Kreislaufwirtschaft setzen.
„Zwei Maßnahmen sind dringend notwendig“, sagt Bühler, „ein globales
Deponieverbot von Kunststoffabfällen und eine Pflicht zum Recycling.“ Die
Branche habe in den vergangenen Jahren enorme technische Fortschritte
gemacht, sowohl was die Kreislauffähigkeit von Kunststoffen als auch
alternative Rohstoffquellen betreffe. Rezyklate, also wiederverwertete
Kunststoffe, sowie Biomasse und Kohlendioxid bildeten eine nachhaltige
Rohstoffbasis, die die Kunststoffproduktion unabhängig vom Erdöl
ermöglichen werde.
„Dieser Fortschritt bildet sich in den Verhandlungen zum Abkommen nicht
ab“, kritisiert Bühler. Dabei sei das Abkommen ein guter Rahmen, um
Standards zu schaffen. „Wenn wir es schaffen, das Wachstum der
Kunststoffbranche unabhängig von Erdöl zu generieren und das Plastiksystem
innerhalb der planetaren Grenzen zu führen, dann sind Verbote überflüssig.“
Die Umweltaktivistin Meike Schützek hat mit ihrem Verein Ocean.Now als
[4][Teil des Bündnisses Break Free From Plastic] an der zweiten
Verhandlungsrunde des Plastikabkommens im Frühjahr in Paris
teilgenommen. Den Fokus der Industrie auf das Stichwort Kreislaufwirtschaft
hat sie dort schon wahrgenommen. „Mehrweg spielte überhaupt keine Rolle“,
kritisiert Schützek. „Die Unternehmenslobby torpedierte alle Versuche, die
Produktionsmengen von Plastik insgesamt zu senken.“
Wichtige Mitstreiter hat die Industrie in den Erdöl fördernden Staaten, vor
allem in Saudi-Arabien. „Das Land sieht, dass in der Energieversorgung
weltweit die Erneuerbaren auf dem Vormarsch sind, und versucht, sich
Absatzmärkte für sein Öl zu sichern“, sagt Schützek. „Saudi-Arabien set…
voll auf Plastik.“
## Befürworter und Gegner
Obwohl der Vertragsentwurf in Teilen vielversprechend sei, seien die
Verhandlungen kein Selbstläufer, sagt deshalb auch Florian Titze vom WWF.
„Wir müssen unbedingt vermeiden, dass sie in Nairobi zum Stillstand kommen
und die Staaten ohne deutlichen Fortschritt im Text in die nächste
Verhandlungsrunde gehen.“
Die Europäische und die Afrikanische Union wollten jeweils als
einheitlicher Akteur auftreten, sagt Titze, der die Verhandlungen vor Ort
verfolgen wird. „Es fällt beiden allerdings manchmal schwer, eine starke
gemeinsame Position festzulegen.“ Während in der EU Deutschland sowie die
skandinavischen Staaten auf einen wirksamen Vertragstext hinarbeiteten,
ständen in Afrika Ruanda und der Senegal hinter einem progressiven Text.
Für ein eher schwaches Abkommen stehen neben den Öl produzierenden Länder
etwa auch Südafrika oder Ägypten. [5][Verhandelt wird in Nairobi eine
Woche], bis zum nächsten Sonntag. Die nächste Runde startet dann im April
kommenden Jahres im kanadischen Ottawa.
11 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.unep.org/
[2] /Forschung-zu-Plastik-im-Meer/!5950456
[3] /Bergung-von-Fischereimuell/!5962074
[4] https://www.breakfreefromplastic.org/
[5] https://www.unep.org/inc-plastic-pollution/session-3
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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