| # taz.de -- Dresden liest Victor Klemperer: In Sprache verbunden | |
| > Zum 9. November fanden zwei Lesungen von Victor Klemperers „LTI“ statt. | |
| > Das Staatsschauspiel und die Freien Wähler widmeten sich der NS-Sprache. | |
| Bild: Stets auf der Suche nach dem rechten Anschluss: Kabarettist Uwe Steimle i… | |
| Dresden taz | Am Ende war nicht alles gut, und ein Ende kann es bei | |
| Betrachtungen der [1][Sprache sowohl als Herrschaftsinstrument als auch als | |
| Mittel zur Entlarvung ihres Missbrauchs] ohnehin nicht geben. Aber der | |
| Verlauf einer von den Freien Wählern im Dresdner Stadtrat veranstalteten | |
| Lesung aus [2][Victor Klemperers] Hauptwerk „LTI“, der Sprache des „Dritt… | |
| Reiches“, rechtfertigte nicht die sich überschlagenden Feuilletondebatten. | |
| Am 9. November dominierte im Saal des Dresdner Stadtmuseums tatsächlich die | |
| Ehrung der jüdischen Pogromopfer von 1938 und der Respekt vor der Geistes- | |
| und Sprachschärfe des jüdischen Philologen. Bei der anderen, sechs Wochen | |
| früher veröffentlichten, aber im Medienecho kaum beachteten „LTI“-Lesung | |
| des Staatsschauspiels gemeinsam mit der neuen jüdischen | |
| Besht-Yeshiva-Gemeinde in Dresden konnte man das voraussetzen. | |
| Beide Lesungen gingen auf ein Anschreiben von Kulturbürgermeisterin | |
| Annekatrin Klepsch (Linke) zurück, ob die Stadtratsfraktionen etwas zur | |
| Gestaltung des „Schicksaltags“ 9. November beitragen wollten. Clever und | |
| als Einzige reagierten nur die Freien Wähler und bekamen vom Kulturrathaus | |
| den Saal zugesprochen. Über Inhalte war nichts bekannt. | |
| Das Staatsschauspiel veröffentlichte seine Lesung Mitte September. In der | |
| letzten Oktoberwoche raunten plötzlich Literatenkreise: Die Freien Wähler | |
| wollen auch „LTI“ lesen, voran mit dem zum Rächer der frustrierten Ossis | |
| heruntergekommenen Kabarettisten Uwe Steimle! Das Kulturrathaus fühlte sich | |
| überrumpelt, Bürgermeisterin Klepsch hielt dagegen, der Reclam-Verlag | |
| wollte seine Zustimmung verweigern, besann sich anders. | |
| ## Verständigungsoptionen über Landesgrenzen hinweg | |
| Der Verdacht einer Instrumentalisierung lag nahe, hat sich doch sogar die | |
| Bundesvereinigung Freie Wähler von ihrem als besonders rechts geltenden | |
| Dresdner Ableger distanziert. Dessen [3][Exponentin, die Buchhändlerin | |
| Susanne Dagen], ist nicht nur für ihre Provokationen, sondern auch für enge | |
| Verbindungen zum [4][ultrarechten Verlag Antaios] bekannt. | |
| Und Steimle hatte in seiner an die DDR-Fernsehnachrichten „Aktuelle Kamera“ | |
| angelehnten Youtube-Sendung die Richtung vorgegeben: „Von der LTI zur | |
| Sprache des Grünen Reiches“. Doch solche fatalen Analogien zogen nicht. | |
| Lesende wie die frühere Grüne Antje Hermenau und Arnold Vaatz (CDU) machten | |
| nicht den Eindruck, sich vor einen Karren spannen zu lassen. | |
| Im Publikum saßen neben Steimle-Fans und ewig gekränkten Sachsen auch | |
| kundige Bürger, die über eine Benutzung Klemperers wachen wollten. Dessen | |
| unbestechlicher Humanismus war der Gewinner beider Lesungen. Und der | |
| moderate Ton ließ Verständigungsoptionen über Lagergrenzen hinweg | |
| aufkeimen. | |
| 10 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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