# taz.de -- Reform der katholischen Kirche: Der feste Glaube an Veränderung | |
> Seit drei Jahren arbeitet der Synodale Weg, eine Versammlung von | |
> Katholik:innen, an einer Reform der Kirche. Wie weit werden sie kommen? | |
MÜNSTER, RÜDESHEIM, BERLIN taz | Mara Klein tritt in die Pedale, düst an | |
Backsteinvillen und Baustellen vorbei über das Unigelände in Münster. Es | |
ist Herbst, an diesem Montagmorgen leuchten die gelben Blätter in einer | |
müden Sonne. Klein, 27 Jahre, Topfschnitt, tätowiert, springt ab, schließt | |
das Rad fix an und eilt ins Büro: Viel zu tun! | |
An der Tür des grauen Zweckbaus steht Institut für Christliche | |
Sozialwissenschaften, hier schreibt Klein an einer Doktorarbeit, die Uhr | |
der Projektförderung tickt. Und im E-Mail-Postfach wartet außerdem der | |
Satzungsentwurf des Synodalen Ausschusses. Um den durchzuarbeiten, bleiben | |
nur noch ein paar Tage. | |
In der Wissenschaft, wie auch im Reformausschuss der katholischen Kirche, | |
geht es für Mara Klein um Anerkennung. Um die von queeren Menschen in der | |
Kirche, um die persönliche Anerkennung als Katholik:in, auch wenn Klein | |
sich nicht in den Kategorien Mann und Frau verorten möchte. „Man sollte den | |
Konservativen jetzt nicht die Zeit lassen, aufzuatmen und zurückfallen ins | |
Alte“, sagt Klein. | |
Mit „jetzt“ meint Klein eine Reformbewegung innerhalb der deutschen | |
katholischen Kirche, den sogenannten Synodalen Weg. Am Freitag und Samstag | |
konstituiert sich der Synodale Ausschuss in Essen. Es geht um die Rolle von | |
Frauen und die Zukunft des Priesteramts, um die kirchliche Sexuallehre, um | |
Machtstrukturen. Vor allem geht es um dauerhafte Mitbestimmung durch einen | |
Synodalen Rat, den der Ausschuss einsetzen soll. Synode kommt aus dem | |
Altgriechischen und bedeutet „Versammlung“. | |
Etwa 230 Katholik:innen, darunter alle 69 deutschen Bischöfe, viele | |
Ordensleute und Ehrenamtliche, die wie Mara Klein von katholischen | |
Verbänden delegiert wurden, sitzen seit 2020 in diesem Prozess in | |
verschiedenen Arbeitsgruppen zusammen. Ausgangspunkt war die Frage, wie | |
systemische, sexualisierte Gewalt in der Kirche verhindert werden kann. Die | |
Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Organisation der Lai:innen, das | |
Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK), finanzierten den Prozess. | |
Immerhin ein Viertel der Bevölkerung, etwa 21 Millionen Menschen, gehören | |
der katholischen Kirche hierzulande noch an. Viele stehen ihr gleichgültig | |
gegenüber. Einige bringen sich mit sehr viel Einsatz ein. | |
So wie Mara Klein. Klein kämpft für den Reformprozess, auch gegen | |
konservative Beharrungskräfte: Sie stellen die gleichberechtigte | |
Mitbestimmung von Lai:innen als „protestantisch“ infrage, von | |
„häretischen Positionen“ sprach kürzlich der ehemalige Regensburger Bisch… | |
und Kardinal Gerhard Müller, eine umstrittene, aber einflussreiche Stimme | |
im Vatikan. Was auf dem Synodalen Weg in Deutschland passiert, findet | |
mittlerweile in der ganzen katholischen Welt Beachtung. | |
Bei der vierten Vollversammlung der Synodal:innen 2022 in Frankfurt – | |
die wichtige Reformvorhaben beschließen sollte – kam es zum Eklat, als eine | |
größere Gruppe von konservativen Bischöfen eine entscheidende | |
Beschlussvorlage zur Anerkennung von queeren Lebensweisen durch die geheime | |
Abstimmung fallen ließ. Vier Theologinnen legten vor der fünften | |
Vollversammlung im März unter Protest ihr Mandat nieder. Immer wieder | |
sprechen Beobachter:innen vom Scheitern des ganzen Prozesses. | |
Den [1][Synodalen Ausschuss], der sich nun am Wochenende in Essen trifft | |
und der die 2020 begonnene Mitbestimmung verstetigen soll, versuchte ein | |
Grüppchen konservativer Bischöfe komplett zu verhindern. In der | |
Bischofskonferenz konnten sie im Juni die notwendigen Gelder blockieren – | |
denn deren Satzung verlangt Einstimmigkeit. Sie schrieben nach Rom. Und | |
bekamen die Antwort, die sie wollten: Der Vatikan verbot den dritten und | |
finalen Schritt des Reformwegs, den der Ausschuss erreichen soll: die | |
Einsetzung eines dauerhaften Synodalen Rats. | |
Dennoch treffen sich Mara Klein und rund 70 andere Synodal:innen in | |
Essen, weil sie die Idee eines ständigen Beirats nicht aufgeben wollen – | |
allen Ansagen aus Rom zum Trotz. Bis auf vier unterstützen alle 27 | |
Diözesanbischöfe, das sind die Leiter der deutschen Bistümer, die | |
Versammlung. | |
Was treibt Mara Klein an, trotz aller Widerstände in der Kirche und in | |
diesem Prozess zu bleiben? Kritik kommt ja nicht nur von | |
Traditionalist:innen, sondern auch von Progressiven, die den | |
Synodal:innen wiederum vorwerfen, den Bischöfen nur als reformatorisches | |
Feigenblatt zu dienen. | |
Klein gehört nicht nur einer geschlechtlichen und sexuellen Minderheit an, | |
sondern als Kind des Erzgebirges auch der winzigen katholischen Diaspora in | |
Sachsen. Zwölf Kilometer waren es damals zur Kirche, ein weiter Weg für | |
Teenager. Der Pfarrer sperrte die Tür auf, gab ab und zu ein bisschen Geld, | |
ließ das Grüppchen, zu dem Klein gehörte, ansonsten einfach machen. Es ging | |
ums Zusammensein, Theologisches interessierte die Jugendlichen wenig. Dass | |
Mara Klein sich als queer erkannte, auch nicht. „War kein Problem“, sagt | |
Klein. Und die Familie? „Extrem tolerant.“ Das eigentliche Potenzial des | |
Christentums, so erfährt es der junge Mensch damals, „besteht im | |
Angenommensein“. | |
Dann kommt das Studium, Englisch und katholische Theologie auf Lehramt. Wie | |
in allen Berufen der katholischen „Verkündigung“ darf auch bei | |
Religionsleher:innen der Ortsbischof mitreden. So sehen es die | |
Staatskirchenverträge vor. Nicht nur inhaltliche Positionen, auch die | |
persönliche Lebensführung spielte lange eine Rolle für die Erteilung der | |
„Missio canonica“. Wenn jemand queer war oder geschieden, konnte die | |
bischöfliche Beauftragung bis vor Kurzem verweigert oder wieder entzogen | |
werden. | |
Für Klein war das ein Grund, nicht in den Schuldienst zu gehen. Hier, an | |
der Uni Münster, ist der Freiraum ein wenig größer. Doch auch bei | |
Promotionen an den theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten haben | |
die Bischöfe ein Veto. Klein strebt aus diesem Grund den Doktor der | |
Philosophie an, nicht den Doktor der Theologie: „Ich bin mir sicher, dass | |
ich mit meinem Thema keine Zukunft in der akademischen Theologie habe.“ | |
„Prekäre Anerkennung: Das ‚dritte Geschlecht‘ in sozialethischer | |
Perspektive“, so heißt Kleins Projekt. Solche Fragestellungen haben in der | |
Vergangenheit manchen Forschenden die theologische Karriere gekostet. Klein | |
überlegt, nach der Promotion in die Erwachsenbildung zu gehen. | |
Seit dem 1. Januar gilt in den meisten katholischen Bistümern Deutschlands | |
ein neues Arbeitsrecht. Aus manchen höchstpersönlichen Angelegenheiten | |
ihrer Mitarbeitenden, etwa einer Geschlechtsangleichung oder einer zweiten | |
Heirat, will sich ein Großteil der Bischöfe jetzt heraushalten. Es war ein | |
ganz konkreter Erfolg des Synodalen Wegs, aber auch der [2][queeren | |
Protestaktion Out in Church], an der sich Klein beteiligt hat. | |
Doch Klein konstatiert nach drei Jahren Reformprozess auch: „Umfassende und | |
ausreichende Reformen? Nein, da sind wir zum Teil gescheitert.“ Wenn Klein | |
schweigt und nachdenkt, hört man im Hintergrund einen Vorschlaghammer | |
wummern, von der Baustelle gegenüber. „Eine kleine Minderheit“, sagt Klein | |
mit Blick auf antireformatorische Kräfte, „die keine Ahnung hat und sich | |
nicht am Diskurs beteiligt, kann den Weg versperren. Das Problem ist | |
Machtmissbrauch.“ | |
Zwei Drittel aller 69 deutschen Bischöfe mussten laut der Satzung des | |
Synodalen Wegs den in den Arbeitsgruppen erstellten Beschlussvorlagen | |
zustimmen. Die Mehrheit der 27 Diözesanbischöfe ist zurückhaltend, was | |
dieses Machtmittel angeht. Es waren die konservativen unter ihren 42 | |
Helfern, die sogenannten Weihbischöfe, die mit der Sperrminorität die | |
offizielle Anerkennung von queeren Lebensweisen seitens der katholischen | |
Kirche verhinderten. | |
Es war dieses Papier, das 2022 in Frankfurt spektakulär scheiterte, Mara | |
Klein hatte daran mitgearbeitet, wie auch der Aachener Bischof Helmut | |
Dieser. Nach der Abstimmung sagte der: „Ich weiß nicht, wie ich all den | |
Enttäuschten noch gegenübertreten kann als Bischof. (…) Können wir so ins | |
21. Jahrhundert mit einer säkularen, liberalen Gesellschaft gehen? Ich weiß | |
nicht, wie ich so als Kirche über Sexualität reden kann.“ | |
Beim Synodalen Ausschuss am Wochenende sind die unberechenbaren | |
Weihbischöfe nicht mehr dabei. Doch auch unter den 27 Diözesanbischöfen | |
gibt es vier, die den Synodalen Prozess aufzuhalten versuchen. Neben dem | |
berüchtigten Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki ist da Gregor Maria | |
Hanke aus Eichstätt. Hanke ist dafür bekannt, dass er als Abt sein früheres | |
Kloster zur vorbildlichen Öko-Abtei umgebaut hat. Der Dritte im Bunde ist | |
Stephan Oster, Ex-Journalist mit Oxford-Abschluss. Und dann ist da noch | |
Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, der erst vor Kurzem für | |
Schlagzeilen sorgte, als er auf einer Demo gegen Schwangerschaftsabbrüche | |
neben Rechtsextremen fotografiert wurde. Voderholzer gilt als Rädelsführer | |
der Traditionalisten. | |
Hoch über dem Tal des Rheins und dem Städtchen Rüdesheim liegt die | |
Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard. Eine wuchtige Burg aus dunklen | |
Steinen, inmitten der südhessischen Weinberge. Die Trauben sind längst | |
geerntet, es regnet. Im Tor steht Philippa Rath, 68 Jahre alt, Kopftuch, | |
eisblaue Augen. | |
## Was nicht sein darf | |
„Der Bischof von Regensburg saß mit mir in der Arbeitsgruppe zu Frauen“, | |
erzählt Rath bei einem doppelten Espresso, tief in den Eingeweiden der | |
riesigen Abtei. „Er hat beim Synodalen Weg immer gesagt, die Berufung sei | |
zunächst eine subjektive Angelegenheit, die objektiv geprüft werden müsse.“ | |
Dem stimmt Rath zu, auch wer ins Kloster eintrete, werde von den anderen | |
Schwestern eine Zeit lang geprüft. „Das Problem ist aber doch, dass die | |
Kirche sich weigert, die Berufungen der Frauen, die Priesterinnen oder | |
Diakoninnen werden möchten, überhaupt nur zu prüfen.“ Weil nicht sein kann, | |
was nicht sein dürfe. | |
„Ich bewundere Mara Klein“, sagt Philippa Rath. Sie selbst habe über den | |
Synodalen Weg viel dazugelernt, sei der queeren Gemeinschaft gegenüber | |
offen. Die Ordensfrau gendert beim Sprechen. Doch Rath hat als Synodalin | |
einen eigenen Fokus. „Mehr als die Hälfte aller Katholiken sind Frauen, sie | |
leisten die meiste Arbeit in der Kirche, haben aber kaum bis keinen Anteil | |
an der Entscheidungsgewalt und der Verantwortung. Das ist der eigentliche | |
Skandal.“ Philippa Rath sagt: „Ich wundere mich oft, wie viele Frauen noch | |
dabei sind, trotz allem.“ | |
Schon 2020 hatte Philippa Rath bei der Eröffnung des Synodalen Weges im | |
Frankfurter Dom gesagt: „Ich schäme mich zuweilen für meine Kirche.“ Seit | |
1.500 Jahren würden Frauen in Ordensgemeinschaften ihre Leitungskompetenz | |
beweisen, es sei Zeit, dies in der ganzen Kirche zu ermöglichen. Mit 36 | |
anderen Schwestern im Alter von 33 bis 94 lebt Rath hier in Sankt | |
Hildegard. Lange war sie für die Finanzen zuständig, heute ist sie | |
Webmasterin des Klosters. | |
Die Benediktinerin spricht von zwei Berufungen. Der zum Ordensleben und | |
einer späten Berufung zur Frauenrechtlerin. In den 80er Jahren besuchte | |
Rath, die damals noch Mechthild genannt wurde, Frauenchiemsee, eines der | |
ältesten Frauenklöster im deutschsprachigen Raum. Die junge Journalistin | |
wollte lediglich eine Reportage schreiben, das Klosterleben fesselte sie | |
dann mehr als gedacht. Hier am Rhein fand die gebürtige Düsseldorferin | |
schließlich ihren Platz, ihre „stabilitas loci“, wie es die Benediktregel | |
nennt. | |
Zur Aktivistin wurde Rath durch Frauen, die für eine Auszeit nach Sankt | |
Hildegard kommen. Oft würden diese Frauen im kirchlichen Dienst arbeiten | |
und von der Zurückweisung berichten, die sie von Priestern erlebten, von | |
der „Lebenswunde“, die der Ausschluss aus Führungsämtern bedeute. Ist auch | |
Rath selbst eine verhinderte Priesterin? „Nein, für mich war das nie Thema, | |
obwohl mein Patenonkel ein sehr überzeugender Priester war.“ | |
2019 gründete Philippa Rath das Catholic Womens Council mit, 2020 folgte | |
sie dem Ruf der Deutschen Ordensobernkonferenz in den Synodalen Prozess. | |
„Die Kirche bewegt sich für viele viel zu langsam, aber wir | |
Benediktiner:innen haben als ältester Orden einen sehr langen Atem.“ | |
Wie zum Beweis deutet sie um sich, auf die jahrhundertealten Räume. | |
Über das Rheintal senkt sich langsam Dunkelheit, Nebel steigt auf. In | |
Rüdesheim stellen die Leute Kerzen in Kürbisse, die Stadt hat eine alte | |
Villa zum Gruselhaus umdekoriert: Halloween überlagert auch hier das | |
katholische Allerheiligenfest. Philippa Rath ist überzeugt, dass sie die | |
Weihe von Frauen zu Priesterinnen und Diakoninnen noch erleben wird. Auch | |
auf den Synodalen Ausschuss am Wochenende blickt sie zuversichtlich: „Das | |
ZDK und die DBK haben sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und haben der | |
Lobby, die das Ganze immer wieder desavouieren wollte, die Stirn geboten.“ | |
Dennoch hofft Rath, das auch Rudolf Voderholzer und die anderen | |
traditionalistischen Bischöfe kommen. „Ich würde mir wünschen, dass wir im | |
Gespräch bleiben, auch wenn ich inhaltlich ganz anderer Meinung bin.“ Mit | |
dem Synodalen Rat gehe es jetzt auch darum, die Umsetzung der 14 bereits | |
gefassten Reformbeschlüsse zu evaluieren: „Papier ist geduldig und darf | |
nicht nur in den Schubladen liegen.“ | |
356 Seiten hat die sogenannte MHG-Studie, das Papier, mit dem der Synodale | |
Prozess 2020 begann. Ab 2010 sorgte unter anderen der frühere | |
Jesuitenschüler Matthias Katsch dafür, dass mehr und mehr [3][Fälle | |
sexualisierter Gewalt im Raum der deutschen Kirche] ans Licht kamen. 2018 | |
lag mit der MHG-Studie, benannt nach den Universitäten in Mannheim, | |
Heidelberg und Gießen, dann erstmals eine umfassende wissenschaftliche | |
Untersuchung über das Ausmaß des Missbrauchs vor. | |
Der Bericht legte nahe: Sexualisierte Gewalt wird vom exklusiven und | |
hierarchischen System der Kirche begünstigt, von männerbündischen Macht- | |
und Schweigekartellen. Die Oberhirten standen vor dem Scherbenhaufen ihres | |
eigenen Handels und sahen sich genötigt, gemeinsam mit dem Zentralkomitee | |
der deutschen Katholiken den Synodalen Weg einzuschlagen. Das Gebot der | |
Stunde schien zu sein: mehr Demokratie wagen. Die Betroffenen | |
sexualisierter Gewalt selbst aber blieben zunächst außen vor. | |
Das dürfe, wenn es denn in Zukunft mit dem Synodalen Rat tatsächlich ein | |
dauerhaftes Mitbestimmungsgremium geben sollte, nicht mehr passieren, sagt | |
Johannes Norpoth. Er ist einer der prominentesten Vertreter der | |
Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche. Norpoth sitzt auf unförmigen | |
Möbeln in der Lobby eines Berliner Hotels, scherzt und lacht. Im | |
Hintergrund klimpert die übliche Klaviermusik. Es amüsiert Norpoth, dass | |
er, ein „tiefschwarzer“ CDU-Wähler, mit der linken taz spricht. Der | |
57-Jährige mag es, dass ihn sein Ehrenamt im Betroffenenbeirat der | |
Deutschen Bischofskonferenz „mit allen möglichen Leuten“ zusammenbringt. | |
Auch mit Vertreter:innen der Bundespolitik. Eigentlich ist Norpoth in | |
der Hauptstadt, um mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des | |
sexuellen Kindesmissbrauchs zu sprechen. Vor einer Woche war er auf | |
Einladung des katholischen Hilfswerks Missio in Rom, um sich am Rande der | |
Weltsynode der Bischöfe mit Aktivist:innen aus aller Welt über | |
Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt auszutauschen. Der | |
Unternehmensberater schwärmt von Italien. | |
Norpoth ist Lobbyist im Ehrenamt geworden, weil er als Kind Ungeheuerliches | |
erlebte, wie er erzählt. Das Schreckliche sei dabei aber immer schon | |
vermengt gewesen mit schönen Erfahrungen. Als „Hochphase der kirchlichen | |
Jugendarbeit im Essener Norden“, erinnert Norpoth, ein studierter | |
Soziologe, die 70er Jahre. Er beschreibt eine bis dahin kaum bekannte neue | |
Form der Eigenverantwortung und Mitbestimmung. Ähnlich dem, was Mara Klein | |
im Erzgebirge ebenfalls erlebt hat. Doch der damalige Kaplan in Norpoths | |
Essener Heimatgemeinde soll sexualisierte Verbrechen begangen haben, das | |
werfen ihm Norpoth und andere Schutzbefohlene vor. | |
„Auch meine Liebe zu Italien und zu Rom stammt von ‚meinem‘ Täter“, sa… | |
Norpoth heute im Rückblick. „Das muss ich akzeptieren. Im Gegenzug muss die | |
Gesellschaft akzeptieren, dass diese Persönlichkeiten desaströse | |
Charakterzüge hatten, die Menschen vernichtet und Seelen getötet haben.“ | |
Es hat lange gedauert, bis Johannes Norpoth „sprechfähig“ wurde, wie er | |
sagt. Bis er „ent-emotionalisieren“ konnte, so nennt er es. 30 Jahre lang | |
sei er vor dem Erlebten weggelaufen. Doch 2010, er hörte Berichte über | |
Missbrauch in der Kirche, habe ihn die eigene Geschichte eingeholt. „Ich | |
habe völlig dekompensiert. Und war nur noch sehr bedingt arbeitsfähig.“ | |
Norpoth gibt seinen Job beim katholischen Kolping-Verband Münster auf, geht | |
in Therapie, setzt nach und nach seine Familie ins Bild. Auch seine Frau | |
hat Norpoth im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit kennengelernt. | |
## Strafrechtlich sind die Taten verjährt | |
Strafrechtlich sind die Taten, die Norpoth dem Kaplan vorwirft, verjährt. | |
Norpoth will aber zumindest erreichen, dass der Mann kirchenrechtlich | |
verurteilt wird. 2014 sagt Norpoth vor fünf Kirchenmännern aus, eine | |
Zumutung. „Der damalige Offizial des Erzbistums Köln hat meinen Fall nach | |
Rom gemeldet. Er urteilte, dass mein Fall nicht plausibel sei, weil ich so | |
neutral über die Tat berichten konnte.“ | |
Haben sich diese Verfahren seitdem verbessert? „Ich glaube, dass es | |
Offiziale gibt, die viel gelernt haben. Aber mindestens genauso viele, die | |
nicht dazugelernt haben. Wir hören auch immer wieder, dass es Fälle gibt | |
von retraumatisierenden Umgangsweisen“, weiß Norpoth. | |
Zehn Jahre lang hält er sich von kirchlichen Ehrenämtern fern, er sagt, er | |
habe „Luft“ gebraucht, um das wieder zu ertragen.“ Als die Deutsche | |
Bischofskonferenz 2020 einen Betroffenenbeirat ausschreibt, bewirbt er | |
sich. Doch warum, nach diesen Erfahrungen? „Eine gewisse Schizophrenie muss | |
man mitbringen“, sagt Johannes Norpoth. Er sagt auch: „Dieser Laden | |
reagiert nur auf Druck. Und der Druck kommt stärker an, wenn Sie drinnen | |
sind.Ich fahre nicht zu einer Bischofskonferenz, um vor der Tür zu | |
protestieren. Wenn ich fahre, will ich Teil der Beratungen sein.“ | |
Beim Synodalen Prozess hatten die Betroffenen zunächst nur einen Gaststatus | |
mit Rederecht. „Aus Angst davor, dass die Delegierten die Schilderungen von | |
Betroffenen hören müssen.“ Doch eine Gruppe von Synodal:innen wirkte | |
darauf hin, dass sich das mittlerweile geändert hat. | |
Gehen manche Diskussionen im Synodalen Prozess nicht weit weg vom | |
ursprünglichen Ziel, Missbrauch zu verhindern? | |
Nicht für Johannes Norpoth. Der Umgang mit Frauen und queeren Menschen, der | |
Zölibat und die idealisierte Rolle des Priesters: „Das sind alles | |
Bausteine, die sexualisierte Gewalt in der Kirche auch heute noch | |
ermöglichen. Dadurch bekommen die Diskussionen heute noch mehr Relevanz, | |
als sie schon in meiner Jugendzeit hatten.“ | |
Norpoths Eindruck von der Weltsynode in Rom ist, dass die Themen des | |
Synodalen Prozesses weltweit drängen. „Das Verbot aus dem Vatikan wird | |
bröckeln, wenn nicht sogar aufgehoben werden“, sagt Norpoth. Und die | |
Verweigerer in Deutschland? | |
„Das Bistum Regensburg ist, was Schnelligkeit und Fürsorge und Begleitung | |
für die Opfer von Missbrauch angeht, vorbildlich“, sagt Norpoth. Das habe | |
er Bischof Voderholzer auch schon einmal gesagt. Der Dissens bestehe darin, | |
dass Voderholzer von Einzelfällen spreche und die systemischen Ursachen von | |
sexualisierter Gewalt bestreite. „Das ist auch der Grund, warum er sich so | |
gegen den Synodalen Prozess stellt.“ | |
Norpoth hofft dennoch, dass Voderholzer und auch die Bischöfe Oster, Hanke | |
und Woelki nach Essen kommen werden. „Die sind genauso katholisch wie ich.“ | |
Der Betroffenenvertreter will eine „harte, faire und wertschätzende | |
Auseinandersetzung“. Bischof Oster hat mittlerweile schon abgesagt, von den | |
anderen dreien ist noch nichts bekannt. | |
Johannes Norpoth, Philippa Rath, Mara Klein, sie alle werden nach Essen | |
fahren. Damit die Diskriminierung aufhört. Damit der Missbrauch aufhört. | |
Und doch, so der Eindruck, gibt es da noch etwas, das diese Menschen | |
antreibt. Von „Gottesbegegnung“, spricht Mara Klein. „Berufung“ nennt es | |
Philippa Rath. „Der liebe Gott hat mir meine Sprachfähigkeit | |
wiedergegeben“, sagt Johannes Norpoth. Er sagt es nur halb im Scherz. | |
10 Nov 2023 | |
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Stefan Hunglinger | |
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