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# taz.de -- Reform der katholischen Kirche: Der feste Glaube an Veränderung
> Seit drei Jahren arbeitet der Synodale Weg, eine Versammlung von
> Katholik:innen, an einer Reform der Kirche. Wie weit werden sie kommen?
Münster, Rüdesheim, Berlin taz | Mara Klein tritt in die Pedale, düst an
Backsteinvillen und Baustellen vorbei über das Unigelände in Münster. Es
ist Herbst, an diesem Montagmorgen leuchten die gelben Blätter in einer
müden Sonne. Klein, 27 Jahre, Topfschnitt, tätowiert, springt ab, schließt
das Rad fix an und eilt ins Büro: Viel zu tun!
An der Tür des grauen Zweckbaus steht Institut für Christliche
Sozialwissenschaften, hier schreibt Klein an einer Doktorarbeit, die Uhr
der Projektförderung tickt. Und im E-Mail-Postfach wartet außerdem der
Satzungsentwurf des Synodalen Ausschusses. Um den durchzuarbeiten, bleiben
nur noch ein paar Tage.
In der Wissenschaft, wie auch im Reformausschuss der katholischen Kirche,
geht es für Mara Klein um Anerkennung. Um die von queeren Menschen in der
Kirche, um die persönliche Anerkennung als Katholik:in, auch wenn Klein
sich nicht in den Kategorien Mann und Frau verorten möchte. „Man sollte den
Konservativen jetzt nicht die Zeit lassen, aufzuatmen und zurückfallen ins
Alte“, sagt Klein.
Mit „jetzt“ meint Klein eine Reformbewegung innerhalb der deutschen
katholischen Kirche, den sogenannten Synodalen Weg. Am Freitag und Samstag
konstituiert sich der Synodale Ausschuss in Essen. Es geht um die Rolle von
Frauen und die Zukunft des Priesteramts, um die kirchliche Sexuallehre, um
Machtstrukturen. Vor allem geht es um dauerhafte Mitbestimmung durch einen
Synodalen Rat, den der Ausschuss einsetzen soll. Synode kommt aus dem
Altgriechischen und bedeutet „Versammlung“.
Etwa 230 Katholik:innen, darunter alle 69 deutschen Bischöfe, viele
Ordensleute und Ehrenamtliche, die wie Mara Klein von katholischen
Verbänden delegiert wurden, sitzen seit 2020 in diesem Prozess in
verschiedenen Arbeitsgruppen zusammen. Ausgangspunkt war die Frage, wie
systemische, sexualisierte Gewalt in der Kirche verhindert werden kann. Die
Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Organisation der Lai:innen, das
Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK), finanzierten den Prozess.
Immerhin ein Viertel der Bevölkerung, etwa 21 Millionen Menschen, gehören
der katholischen Kirche hierzulande noch an. Viele stehen ihr gleichgültig
gegenüber. Einige bringen sich mit sehr viel Einsatz ein.
So wie Mara Klein. Klein kämpft für den Reformprozess, auch gegen
konservative Beharrungskräfte: Sie stellen die gleichberechtigte
Mitbestimmung von Lai:innen als „protestantisch“ infrage, von
„häretischen Positionen“ sprach kürzlich der ehemalige Regensburger Bisch…
und Kardinal Gerhard Müller, eine umstrittene, aber einflussreiche Stimme
im Vatikan. Was auf dem Synodalen Weg in Deutschland passiert, findet
mittlerweile in der ganzen katholischen Welt Beachtung.
Bei der vierten Vollversammlung der Synodal:innen 2022 in Frankfurt –
die wichtige Reformvorhaben beschließen sollte – kam es zum Eklat, als eine
größere Gruppe von konservativen Bischöfen eine entscheidende
Beschlussvorlage zur Anerkennung von queeren Lebensweisen durch die geheime
Abstimmung fallen ließ. Vier Theologinnen legten vor der fünften
Vollversammlung im März unter Protest ihr Mandat nieder. Immer wieder
sprechen Beobachter:innen vom Scheitern des ganzen Prozesses.
Den [1][Synodalen Ausschuss], der sich nun am Wochenende in Essen trifft
und der die 2020 begonnene Mitbestimmung verstetigen soll, versuchte ein
Grüppchen konservativer Bischöfe komplett zu verhindern. In der
Bischofskonferenz konnten sie im Juni die notwendigen Gelder blockieren –
denn deren Satzung verlangt Einstimmigkeit. Sie schrieben nach Rom. Und
bekamen die Antwort, die sie wollten: Der Vatikan verbot den dritten und
finalen Schritt des Reformwegs, den der Ausschuss erreichen soll: die
Einsetzung eines dauerhaften Synodalen Rats.
Dennoch treffen sich Mara Klein und rund 70 andere Synodal:innen in
Essen, weil sie die Idee eines ständigen Beirats nicht aufgeben wollen –
allen Ansagen aus Rom zum Trotz. Bis auf vier unterstützen alle 27
Diözesanbischöfe, das sind die Leiter der deutschen Bistümer, die
Versammlung.
Was treibt Mara Klein an, trotz aller Widerstände in der Kirche und in
diesem Prozess zu bleiben? Kritik kommt ja nicht nur von
Traditionalist:innen, sondern auch von Progressiven, die den
Synodal:innen wiederum vorwerfen, den Bischöfen nur als reformatorisches
Feigenblatt zu dienen.
Klein gehört nicht nur einer geschlechtlichen und sexuellen Minderheit an,
sondern als Kind des Erzgebirges auch der winzigen katholischen Diaspora in
Sachsen. Zwölf Kilometer waren es damals zur Kirche, ein weiter Weg für
Teenager. Der Pfarrer sperrte die Tür auf, gab ab und zu ein bisschen Geld,
ließ das Grüppchen, zu dem Klein gehörte, ansonsten einfach machen. Es ging
ums Zusammensein, Theologisches interessierte die Jugendlichen wenig. Dass
Mara Klein sich als queer erkannte, auch nicht. „War kein Problem“, sagt
Klein. Und die Familie? „Extrem tolerant.“ Das eigentliche Potenzial des
Christentums, so erfährt es der junge Mensch damals, „besteht im
Angenommensein“.
Dann kommt das Studium, Englisch und katholische Theologie auf Lehramt. Wie
in allen Berufen der katholischen „Verkündigung“ darf auch bei
Religionsleher:innen der Ortsbischof mitreden. So sehen es die
Staatskirchenverträge vor. Nicht nur inhaltliche Positionen, auch die
persönliche Lebensführung spielte lange eine Rolle für die Erteilung der
„Missio canonica“. Wenn jemand queer war oder geschieden, konnte die
bischöfliche Beauftragung bis vor Kurzem verweigert oder wieder entzogen
werden.
Für Klein war das ein Grund, nicht in den Schuldienst zu gehen. Hier, an
der Uni Münster, ist der Freiraum ein wenig größer. Doch auch bei
Promotionen an den theologischen Fakultäten staatlicher Universitäten haben
die Bischöfe ein Veto. Klein strebt aus diesem Grund den Doktor der
Philosophie an, nicht den Doktor der Theologie: „Ich bin mir sicher, dass
ich mit meinem Thema keine Zukunft in der akademischen Theologie habe.“
„Prekäre Anerkennung: Das ‚dritte Geschlecht‘ in sozialethischer
Perspektive“, so heißt Kleins Projekt. Solche Fragestellungen haben in der
Vergangenheit manchen Forschenden die theologische Karriere gekostet. Klein
überlegt, nach der Promotion in die Erwachsenbildung zu gehen.
Seit dem 1. Januar gilt in den meisten katholischen Bistümern Deutschlands
ein neues Arbeitsrecht. Aus manchen höchstpersönlichen Angelegenheiten
ihrer Mitarbeitenden, etwa einer Geschlechtsangleichung oder einer zweiten
Heirat, will sich ein Großteil der Bischöfe jetzt heraushalten. Es war ein
ganz konkreter Erfolg des Synodalen Wegs, aber auch der [2][queeren
Protestaktion Out in Church], an der sich Klein beteiligt hat.
Doch Klein konstatiert nach drei Jahren Reformprozess auch: „Umfassende und
ausreichende Reformen? Nein, da sind wir zum Teil gescheitert.“ Wenn Klein
schweigt und nachdenkt, hört man im Hintergrund einen Vorschlaghammer
wummern, von der Baustelle gegenüber. „Eine kleine Minderheit“, sagt Klein
mit Blick auf antireformatorische Kräfte, „die keine Ahnung hat und sich
nicht am Diskurs beteiligt, kann den Weg versperren. Das Problem ist
Machtmissbrauch.“
Zwei Drittel aller 69 deutschen Bischöfe mussten laut der Satzung des
Synodalen Wegs den in den Arbeitsgruppen erstellten Beschlussvorlagen
zustimmen. Die Mehrheit der 27 Diözesanbischöfe ist zurückhaltend, was
dieses Machtmittel angeht. Es waren die konservativen unter ihren 42
Helfern, die sogenannten Weihbischöfe, die mit der Sperrminorität die
offizielle Anerkennung von queeren Lebensweisen seitens der katholischen
Kirche verhinderten.
Es war dieses Papier, das 2022 in Frankfurt spektakulär scheiterte, Mara
Klein hatte daran mitgearbeitet, wie auch der Aachener Bischof Helmut
Dieser. Nach der Abstimmung sagte der: „Ich weiß nicht, wie ich all den
Enttäuschten noch gegenübertreten kann als Bischof. (…) Können wir so ins
21. Jahrhundert mit einer säkularen, liberalen Gesellschaft gehen? Ich weiß
nicht, wie ich so als Kirche über Sexualität reden kann.“
Beim Synodalen Ausschuss am Wochenende sind die unberechenbaren
Weihbischöfe nicht mehr dabei. Doch auch unter den 27 Diözesanbischöfen
gibt es vier, die den Synodalen Prozess aufzuhalten versuchen. Neben dem
berüchtigten Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki ist da Gregor Maria
Hanke aus Eichstätt. Hanke ist dafür bekannt, dass er als Abt sein früheres
Kloster zur vorbildlichen Öko-Abtei umgebaut hat. Der Dritte im Bunde ist
Stephan Oster, Ex-Journalist mit Oxford-Abschluss. Und dann ist da noch
Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg, der erst vor Kurzem für
Schlagzeilen sorgte, als er auf einer Demo gegen Schwangerschaftsabbrüche
neben Rechtsextremen fotografiert wurde. Voderholzer gilt als Rädelsführer
der Traditionalisten.
Hoch über dem Tal des Rheins und dem Städtchen Rüdesheim liegt die
Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard. Eine wuchtige Burg aus dunklen
Steinen, inmitten der südhessischen Weinberge. Die Trauben sind längst
geerntet, es regnet. Im Tor steht Philippa Rath, 68 Jahre alt, Kopftuch,
eisblaue Augen.
## Was nicht sein darf
„Der Bischof von Regensburg saß mit mir in der Arbeitsgruppe zu Frauen“,
erzählt Rath bei einem doppelten Espresso, tief in den Eingeweiden der
riesigen Abtei. „Er hat beim Synodalen Weg immer gesagt, die Berufung sei
zunächst eine subjektive Angelegenheit, die objektiv geprüft werden müsse.“
Dem stimmt Rath zu, auch wer ins Kloster eintrete, werde von den anderen
Schwestern eine Zeit lang geprüft. „Das Problem ist aber doch, dass die
Kirche sich weigert, die Berufungen der Frauen, die Priesterinnen oder
Diakoninnen werden möchten, überhaupt nur zu prüfen.“ Weil nicht sein kann,
was nicht sein dürfe.
„Ich bewundere Mara Klein“, sagt Philippa Rath. Sie selbst habe über den
Synodalen Weg viel dazugelernt, sei der queeren Gemeinschaft gegenüber
offen. Die Ordensfrau gendert beim Sprechen. Doch Rath hat als Synodalin
einen eigenen Fokus. „Mehr als die Hälfte aller Katholiken sind Frauen, sie
leisten die meiste Arbeit in der Kirche, haben aber kaum bis keinen Anteil
an der Entscheidungsgewalt und der Verantwortung. Das ist der eigentliche
Skandal.“ Philippa Rath sagt: „Ich wundere mich oft, wie viele Frauen noch
dabei sind, trotz allem.“
Schon 2020 hatte Philippa Rath bei der Eröffnung des Synodalen Weges im
Frankfurter Dom gesagt: „Ich schäme mich zuweilen für meine Kirche.“ Seit
1.500 Jahren würden Frauen in Ordensgemeinschaften ihre Leitungskompetenz
beweisen, es sei Zeit, dies in der ganzen Kirche zu ermöglichen. Mit 36
anderen Schwestern im Alter von 33 bis 94 lebt Rath hier in Sankt
Hildegard. Lange war sie für die Finanzen zuständig, heute ist sie
Webmasterin des Klosters.
Die Benediktinerin spricht von zwei Berufungen. Der zum Ordensleben und
einer späten Berufung zur Frauenrechtlerin. In den 80er Jahren besuchte
Rath, die damals noch Mechthild genannt wurde, Frauenchiemsee, eines der
ältesten Frauenklöster im deutschsprachigen Raum. Die junge Journalistin
wollte lediglich eine Reportage schreiben, das Klosterleben fesselte sie
dann mehr als gedacht. Hier am Rhein fand die gebürtige Düsseldorferin
schließlich ihren Platz, ihre „stabilitas loci“, wie es die Benediktregel
nennt.
Zur Aktivistin wurde Rath durch Frauen, die für eine Auszeit nach Sankt
Hildegard kommen. Oft würden diese Frauen im kirchlichen Dienst arbeiten
und von der Zurückweisung berichten, die sie von Priestern erlebten, von
der „Lebenswunde“, die der Ausschluss aus Führungsämtern bedeute. Ist auch
Rath selbst eine verhinderte Priesterin? „Nein, für mich war das nie Thema,
obwohl mein Patenonkel ein sehr überzeugender Priester war.“
2019 gründete Philippa Rath das Catholic Womens Council mit, 2020 folgte
sie dem Ruf der Deutschen Ordensobernkonferenz in den Synodalen Prozess.
„Die Kirche bewegt sich für viele viel zu langsam, aber wir
Benediktiner:innen haben als ältester Orden einen sehr langen Atem.“
Wie zum Beweis deutet sie um sich, auf die jahrhundertealten Räume.
Über das Rheintal senkt sich langsam Dunkelheit, Nebel steigt auf. In
Rüdesheim stellen die Leute Kerzen in Kürbisse, die Stadt hat eine alte
Villa zum Gruselhaus umdekoriert: Halloween überlagert auch hier das
katholische Allerheiligenfest. Philippa Rath ist überzeugt, dass sie die
Weihe von Frauen zu Priesterinnen und Diakoninnen noch erleben wird. Auch
auf den Synodalen Ausschuss am Wochenende blickt sie zuversichtlich: „Das
ZDK und die DBK haben sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und haben der
Lobby, die das Ganze immer wieder desavouieren wollte, die Stirn geboten.“
Dennoch hofft Rath, das auch Rudolf Voderholzer und die anderen
traditionalistischen Bischöfe kommen. „Ich würde mir wünschen, dass wir im
Gespräch bleiben, auch wenn ich inhaltlich ganz anderer Meinung bin.“ Mit
dem Synodalen Rat gehe es jetzt auch darum, die Umsetzung der 14 bereits
gefassten Reformbeschlüsse zu evaluieren: „Papier ist geduldig und darf
nicht nur in den Schubladen liegen.“
356 Seiten hat die sogenannte MHG-Studie, das Papier, mit dem der Synodale
Prozess 2020 begann. Ab 2010 sorgte unter anderen der frühere
Jesuitenschüler Matthias Katsch dafür, dass mehr und mehr [3][Fälle
sexualisierter Gewalt im Raum der deutschen Kirche] ans Licht kamen. 2018
lag mit der MHG-Studie, benannt nach den Universitäten in Mannheim,
Heidelberg und Gießen, dann erstmals eine umfassende wissenschaftliche
Untersuchung über das Ausmaß des Missbrauchs vor.
Der Bericht legte nahe: Sexualisierte Gewalt wird vom exklusiven und
hierarchischen System der Kirche begünstigt, von männerbündischen Macht-
und Schweigekartellen. Die Oberhirten standen vor dem Scherbenhaufen ihres
eigenen Handels und sahen sich genötigt, gemeinsam mit dem Zentralkomitee
der deutschen Katholiken den Synodalen Weg einzuschlagen. Das Gebot der
Stunde schien zu sein: mehr Demokratie wagen. Die Betroffenen
sexualisierter Gewalt selbst aber blieben zunächst außen vor.
Das dürfe, wenn es denn in Zukunft mit dem Synodalen Rat tatsächlich ein
dauerhaftes Mitbestimmungsgremium geben sollte, nicht mehr passieren, sagt
Johannes Norpoth. Er ist einer der prominentesten Vertreter der
Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche. Norpoth sitzt auf unförmigen
Möbeln in der Lobby eines Berliner Hotels, scherzt und lacht. Im
Hintergrund klimpert die übliche Klaviermusik. Es amüsiert Norpoth, dass
er, ein „tiefschwarzer“ CDU-Wähler, mit der linken taz spricht. Der
57-Jährige mag es, dass ihn sein Ehrenamt im Betroffenenbeirat der
Deutschen Bischofskonferenz „mit allen möglichen Leuten“ zusammenbringt.
Auch mit Vertreter:innen der Bundespolitik. Eigentlich ist Norpoth in
der Hauptstadt, um mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des
sexuellen Kindesmissbrauchs zu sprechen. Vor einer Woche war er auf
Einladung des katholischen Hilfswerks Missio in Rom, um sich am Rande der
Weltsynode der Bischöfe mit Aktivist:innen aus aller Welt über
Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt auszutauschen. Der
Unternehmensberater schwärmt von Italien.
Norpoth ist Lobbyist im Ehrenamt geworden, weil er als Kind Ungeheuerliches
erlebte, wie er erzählt. Das Schreckliche sei dabei aber immer schon
vermengt gewesen mit schönen Erfahrungen. Als „Hochphase der kirchlichen
Jugendarbeit im Essener Norden“, erinnert Norpoth, ein studierter
Soziologe, die 70er Jahre. Er beschreibt eine bis dahin kaum bekannte neue
Form der Eigenverantwortung und Mitbestimmung. Ähnlich dem, was Mara Klein
im Erzgebirge ebenfalls erlebt hat. Doch der damalige Kaplan in Norpoths
Essener Heimatgemeinde soll sexualisierte Verbrechen begangen haben, das
werfen ihm Norpoth und andere Schutzbefohlene vor.
„Auch meine Liebe zu Italien und zu Rom stammt von ‚meinem‘ Täter“, sa…
Norpoth heute im Rückblick. „Das muss ich akzeptieren. Im Gegenzug muss die
Gesellschaft akzeptieren, dass diese Persönlichkeiten desaströse
Charakterzüge hatten, die Menschen vernichtet und Seelen getötet haben.“
Es hat lange gedauert, bis Johannes Norpoth „sprechfähig“ wurde, wie er
sagt. Bis er „ent-emotionalisieren“ konnte, so nennt er es. 30 Jahre lang
sei er vor dem Erlebten weggelaufen. Doch 2010, er hörte Berichte über
Missbrauch in der Kirche, habe ihn die eigene Geschichte eingeholt. „Ich
habe völlig dekompensiert. Und war nur noch sehr bedingt arbeitsfähig.“
Norpoth gibt seinen Job beim katholischen Kolping-Verband Münster auf, geht
in Therapie, setzt nach und nach seine Familie ins Bild. Auch seine Frau
hat Norpoth im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit kennengelernt.
## Strafrechtlich sind die Taten verjährt
Strafrechtlich sind die Taten, die Norpoth dem Kaplan vorwirft, verjährt.
Norpoth will aber zumindest erreichen, dass der Mann kirchenrechtlich
verurteilt wird. 2014 sagt Norpoth vor fünf Kirchenmännern aus, eine
Zumutung. „Der damalige Offizial des Erzbistums Köln hat meinen Fall nach
Rom gemeldet. Er urteilte, dass mein Fall nicht plausibel sei, weil ich so
neutral über die Tat berichten konnte.“
Haben sich diese Verfahren seitdem verbessert? „Ich glaube, dass es
Offiziale gibt, die viel gelernt haben. Aber mindestens genauso viele, die
nicht dazugelernt haben. Wir hören auch immer wieder, dass es Fälle gibt
von retraumatisierenden Umgangsweisen“, weiß Norpoth.
Zehn Jahre lang hält er sich von kirchlichen Ehrenämtern fern, er sagt, er
habe „Luft“ gebraucht, um das wieder zu ertragen.“ Als die Deutsche
Bischofskonferenz 2020 einen Betroffenenbeirat ausschreibt, bewirbt er
sich. Doch warum, nach diesen Erfahrungen? „Eine gewisse Schizophrenie muss
man mitbringen“, sagt Johannes Norpoth. Er sagt auch: „Dieser Laden
reagiert nur auf Druck. Und der Druck kommt stärker an, wenn Sie drinnen
sind.Ich fahre nicht zu einer Bischofskonferenz, um vor der Tür zu
protestieren. Wenn ich fahre, will ich Teil der Beratungen sein.“
Beim Synodalen Prozess hatten die Betroffenen zunächst nur einen Gaststatus
mit Rederecht. „Aus Angst davor, dass die Delegierten die Schilderungen von
Betroffenen hören müssen.“ Doch eine Gruppe von Synodal:innen wirkte
darauf hin, dass sich das mittlerweile geändert hat.
Gehen manche Diskussionen im Synodalen Prozess nicht weit weg vom
ursprünglichen Ziel, Missbrauch zu verhindern?
Nicht für Johannes Norpoth. Der Umgang mit Frauen und queeren Menschen, der
Zölibat und die idealisierte Rolle des Priesters: „Das sind alles
Bausteine, die sexualisierte Gewalt in der Kirche auch heute noch
ermöglichen. Dadurch bekommen die Diskussionen heute noch mehr Relevanz,
als sie schon in meiner Jugendzeit hatten.“
Norpoths Eindruck von der Weltsynode in Rom ist, dass die Themen des
Synodalen Prozesses weltweit drängen. „Das Verbot aus dem Vatikan wird
bröckeln, wenn nicht sogar aufgehoben werden“, sagt Norpoth. Und die
Verweigerer in Deutschland?
„Das Bistum Regensburg ist, was Schnelligkeit und Fürsorge und Begleitung
für die Opfer von Missbrauch angeht, vorbildlich“, sagt Norpoth. Das habe
er Bischof Voderholzer auch schon einmal gesagt. Der Dissens bestehe darin,
dass Voderholzer von Einzelfällen spreche und die systemischen Ursachen von
sexualisierter Gewalt bestreite. „Das ist auch der Grund, warum er sich so
gegen den Synodalen Prozess stellt.“
Norpoth hofft dennoch, dass Voderholzer und auch die Bischöfe Oster, Hanke
und Woelki nach Essen kommen werden. „Die sind genauso katholisch wie ich.“
Der Betroffenenvertreter will eine „harte, faire und wertschätzende
Auseinandersetzung“. Bischof Oster hat mittlerweile schon abgesagt, von den
anderen dreien ist noch nichts bekannt.
Johannes Norpoth, Philippa Rath, Mara Klein, sie alle werden nach Essen
fahren. Damit die Diskriminierung aufhört. Damit der Missbrauch aufhört.
Und doch, so der Eindruck, gibt es da noch etwas, das diese Menschen
antreibt. Von „Gottesbegegnung“, spricht Mara Klein. „Berufung“ nennt es
Philippa Rath. „Der liebe Gott hat mir meine Sprachfähigkeit
wiedergegeben“, sagt Johannes Norpoth. Er sagt es nur halb im Scherz.
10 Nov 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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