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# taz.de -- Rücktritt der EKD-Chefin Kurschus: Erst die Kirche, zuletzt die Pe…
> Es gleicht einem Beben in der Evangelischen Kirche: Die Ratsvorsitzende
> Kurschus tritt zurück – um Glaubwürdigkeit für ihr Amt zu wahren.
Bild: Annette Kurschus: Ihr letzter Tag als EKD-Ratsvorsitzende
Berlin taz | Bei [1][ihrem Amtsantritt 2021] hatte sie die Aufklärung von
Fällen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche zu ihrer
„Chefinnensache“ erklärt. Jetzt ist die Ratsvorsitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) Annette Kurschus selbst in der Causa unter
Druck geraten. Am Montagvormittag trat sie von ihrem Amt als
Ratsvorsitzende sowie von ihrem Amt als Präses der Evangelischen Kirche in
Westfalen zurück. „Ich bin sehr traurig, aber ich gehe getrost und
aufrecht“, sagte Kurschus in Bielefeld. In der Sache sei sie mit sich im
Reinen.
Was genau geschehen ist vor rund drei Jahrzehnten im Kirchenkreis
Siegen-Wittgenstein, ist derzeit noch völlig diffus. Doch die Vorwürfe, die
im Raum stehen, wiegen schwer. Im Kern geht es um Verdachtsfälle gegen
einen Mitarbeiter aus Kurschus’ damaligem Kirchenkreis, der junge Männer
sexuell bedrängt haben soll. Kurschus, so der Vorwurf, sei nicht
transparent mit dem Fall umgegangen, unklar ist, wann sie davon erfuhr
Kurschus war lange mit der Familie befreundet, wie sie am Montag sagte,
doch habe sie nie in einem Dienstverhältnis zu dem Mann gestanden. „Auch
nicht zu meiner Zeit als Pfarrerin und Superintendentin im Kirchenkreis
Siegen“. Sie habe damals allein die Homosexualität und die eheliche Untreue
des Beschuldigten wahrgenommen. Sie sagte aber auch: „Ich wünschte, ich
wäre vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, geschult und sensibel für
Verhaltensmuster gewesen, die mich heute alarmieren würden.“
## Druck stieg über das Wochenende
Berichtet hatte zuerst die Siegener Zeitung, in der sich Betroffene
geäußert hatten. Die Siegener Staatsanwaltschaft ermittelt in mehreren
Verdachtsfällen gegen den ehemaligen Kirchenmitarbeiter. Ob ein
strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, ist nach bisherigem
Ermittlungsstand laut Staatsanwaltschaft unklar, die Taten könnten zudem
bereits verjährt sein.
Kurschus hatte bei der Synode in Ulm in der vergangenen Woche Andeutungen
zurückgewiesen, sie habe von dem Verhalten des Mannes gewusst und es
vertuscht. Doch über das Wochenende wurde der Druck auf die Ratsvorsitzende
größer. Das Beteiligungsforum von Betroffenen sexualisierter Gewalt in der
evangelischen Kirche hatte sich zuletzt distanziert von Kurschus.
„Die aktuelle Berichterstattung stellt die Glaubwürdigkeit von Frau
Kurschus in Frage“, teilten Vertreter:innen am vergangenen Donnerstag
mit. Der Sprecher des Forums, Detlev Zander, sagte: „Frau Kurschus ist für
die Betroffenen nicht mehr tragbar.“ Nun hat Kurschus die Reißleine
gezogen. „Statt um die Betroffenen und deren Schutz geht es seit Tagen
ausschließlich um meine Person“, sagte sie am Montag. „Das muss endlich
aufhören.“ Den in der Öffentlichkeit geschürten Konflikt zwischen Opfern
sexualisierter Gewalt und ihr als Amtsträgerin wolle sie auf keinen Fall
austragen. Denn das gefährde Erfolge in der Aufarbeitung und Bekämpfung
sexualisierter Gewalt.
## Leitung bestand nicht nur aus Kurschus
Die Entscheidung Kurschus’ habe ihren vollen Respekt, sagte Kerstin Claus,
unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen
Kindesmissbrauchs, der taz. Klar sei, der öffentliche Druck habe Kurschus’
Glaubwürdigkeit beim Thema Aufarbeitung geschadet. Sie hätte sich
gewünscht, so Claus, dass Kurschus ihre Entscheidungsgründe, die zum
Rücktritt führten, umfassender erklärt hätte. „[2][Das große Schweigen in
der Kirche] und anderen Institutionen führt dazu, dass Betroffene erneut in
der Verantwortung sind, mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu
gehen“, kritisierte Claus.
Schadensbegrenzung allein reiche nicht aus, so Claus. Bereits bei der
Synode in der vergangenen Woche in Ulm hätte die nun zurückgetretene
EKD-Ratsvorsitzende konsequenter kommunizieren müssen. „Dass diese Fehler
noch immer gemacht werden, erstaunt mich“, sagte Claus. Die Kirchenleitung
bestehe aber nicht nur aus der Ratsvorsitzenden. Es sei auffällig, dass
sich niemand vor dem Rücktritt öffentlich in die Debatte eingeschaltet
habe. Auch auf taz-Anfrage an mehrere Personen in kirchlichen
Verantwortungspositionen wollte sich niemand äußern.
Der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock,
bezeichnete Kurschus’ Rücktrittserklärung dagegen als „beeindruckend“ u…
„aufrichtig“. „Sie hat agiert, wie es in der Politik behauptet, aber selt…
eingelöst wird: Erst das Große, dann das Amt, dann die Person“, sagte
Dabrock der taz. Er kennt Kurschus seit vielen Jahren. „Sicherlich ist in
der Kommunikation manches nicht gut gelaufen. Aber es gab auch Personen,
die wollten ihr wohl nicht mehr vertrauen.“
Ob der Rücktritt mit Machtstrukturen in der Leitungsebene zu tun hat oder
mit Äußerungen Kurschus’ zu unangenehmen Themen innerhalb der evangelischen
Kirche, lässt sich nicht genau herleiten. Allerdings hatte sich die
Ex-Ratsvorsitzende etwa sehr eindeutig zum Thema [3][Aufarbeitung von
Antisemitismus] in den christlichen Kirchen geäußert – unmittelbar nach dem
brutalen Angriff der Terrormiliz Hamas auf Israel und dem erstarkenden
Antisemitismus auch in Deutschland. Zudem hat sie eine klare Haltung zur
Aufnahme von Migrant:innen in Deutschland und kritisierte den Kurs der
Bundesregierung.
## Gemeinsame Erklärung Mitte Dezember
„Sie ist in ihre Rolle als EKD-Ratsvorsitzende zunehmend reingewachsen“,
sagt Dabrock. Als Konsequenz aus ihrem Rücktritt kündigte auch der Jurist
Michael Bertrams seinen Rückzug aus der Kirchenleitung an. Kurschus sei
„einem nicht gerechtfertigten Vertrauensentzug, verbunden mit einer
erschreckenden Lieblosigkeit und Kälte an der Spitze der EKD zum Opfer
gefallen“, zitiert der Kölner Stadt-Anzeiger ihn.
Die stellvertretende Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs übernimmt
kommissarisch das Amt. Mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der
evangelischen Kirche wird sie sich in Kürze öffentlich beschäftigen müssen.
Seit 2019 arbeitet die Evangelische Kirche an einer „Gemeinsamen Erklärung“
zu unabhängigen Strukturen der Aufarbeitung, um Aufklärung und Hilfen für
Betroffene zu schaffen. Diese Erklärung wird am 13. Dezember von der
Missbrauchsbeauftragten Claus, der EKD und der Diakonie unterzeichnet. Eine
solche Erklärung gibt es bereits mit der katholischen Kirche. Mit der
evangelischen Kirche bisher nicht.
20 Nov 2023
## LINKS
[1] /Evangelische-Kirche-in-Deutschland/!5814505
[2] /Sexualisierte-Gewalt-in-der-Kirche/!5811639
[3] /Judensau-Relief-in-Wittenberg/!5891390
## AUTOREN
Tanja Tricarico
## TAGS
Evangelische Kirche
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