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# taz.de -- Christliches Jugendtreffen in Rom: „Kritik wird eher stumm gemach…
> Neue Geistliche Gemeinschaften feiern ein Comeback, trotz eklatanter
> Missbrauchsfälle. Die Theologin Hildegund Keul warnt vor „Freudenzwang“.
Bild: Spiritualität ist eine gefährliche Größe, sagt Hildegund Keul. Hier e…
taz: Frau Keul, am [1][katholischen Weltjugendtag], der kürzlich in
Lissabon stattfand, waren die sogenannten Neuen Geistlichen Gemeinschaften
(NGG) sehr präsent, ab Freitag treffen sich viele dieser Gruppen zu einer
[2][„Versammlung des Volkes Gottes“] mit Papst Franziskus in Rom. Erleben
die NGG gerade eine Renaissance?
Hildegund Keul: Die charismatische Bewegung ist zwar nicht mehr so stark
wie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Damals hat sie sich mit großem
Enthusiasmus auf die Fahnen geschrieben: Wir retten die Kirche. Der
Weltjugendtag war schon immer geprägt von NGG, auch wegen Papst Johannes
Paul II, der sie legitimierte und sehr förderte. Meine Befürchtung ist,
dass einige deutsche Bistümer neu auf sie setzen, obwohl die NGG in
Frankreich wegen Missbrauch und Vertuschungsgewalt furchtbar gescheitert
sind. Man setzt auf die gescheiterten Rezepte und will die alte
Begeisterung neu wecken ohne hinzugucken: Was ist das Problem an dieser
Begeisterung?
Was ist denn das Problem?
Es gibt eine wissenschaftliche Kriteriologie dafür, wann eine Gemeinschaft
quasi gefährdet ist für spirituellen Missbrauch und anschließend unter
Umständen auch für sexuellen Missbrauch. Ich fand das anfangs überraschend,
aber ein wichtigeres Kriterium ist: Die Gemeinschaft strahlt Freude aus.
Dieser Überschwang und Enthusiasmus: Wir schaffen das jetzt, wir wuppen
das, wir kriegen das hin. Ich nenne das „Freudenzwang“. Also man muss sich
immer freuen, die Menschen in der geistlichen Gemeinschaft sind in der
Eigenlogik schlichtweg erwählt und das soll man denen auch ansehen.
Wozu sind sie erwählt?
Problematisch ist das Elitäre: Wir sind besser als die Anderen. Ich nenne
das „spirituelles Othering“. Die Anderen werden dann zu „Weltmenschen“,
während man sich selbst für die richtigen, radikalen, ernsthaften Christen
hält. Das ist gefährlich. Nach außen entsteht eine Isolation und nach innen
Konkurrenz. Wer richtig dazugehören will, muss immer mehr Opfer bringen, um
dem Erwählungsglauben gerecht zu werden. Sehr viel arbeiten, sehr viel Geld
spenden, sexuelle Übergriffe ertragen – Sex, Macht, Geld. Menschen werden
extrem opferbereit, wenn es um ihre Erwählung geht. Den Kern des Problems
sehe ich darin, dass die charismatische Bewegung überhaupt nicht sieht,
dass Spiritualität selbst eine gefährliche Größe ist.
Spiritualität soll eine gefährliche Größe sein?
Spiritualität kann auch ganz grandios sein. Spiritualität kann Menschen die
Intensität von Leben erschließen. Sie kann Menschen wirklich helfen, mit
ihren Verwundungen zu leben und Schicksalsschläge besser durchzustehen.
Spiritualität kann aber auch sehr destruktiv sein. Und diese Gefahr, die
muss man einfach kennen und anerkennen. Man muss sehen, dass es eine Gefahr
ist, und mit der muss man rechnen. Und zwar auch die [3][Gefahr der eigenen
Spiritualität, nicht nur die der anderen].
Die „Versammlung des Volkes Gottes“ in Rom wird von der Taizé-Gemeinschaft
organisiert. Einige würden sagen, Taizé gehört gar nicht zu den NGG im
engeren Sinn …
Taizé ist keine klassische NGG, gehört aber zur charismatischen Bewegung.
Da die jungen Menschen meist nicht vor Ort bleiben, sondern in ihre
Gemeinden zurückgehen, haben sie ein etwas anderes Konzept. Sie
praktizieren eine große Offenheit und leben ökumenisch orientiert. Ich
persönlich finde auch einige Lieder von Taizé großartig. Trotzdem lauert
auch hier die Gefahr, die spirituelle Begeisterung auslöst. Auch in Taizé
gibt es Fälle sexueller Gewalt. Ein Gefahrenfeld sind neben der
Schwesterngemeinschaft die Freiwilligen, die vor Ort mitarbeiten, die sich
eine besondere Gottesnähe erhoffen und ihrem Leben einen neuen Sinn geben
wollen. Die leuchtenden Augen sind auch ein Charakteristikum von Taizé.
Aber haben Taizé und die NGG nicht Fortschritte gemacht, seitdem die Gewalt
in den eigenen Reihen bekannt wurde?
Wenn ich das richtig sehe, dann sind die Präventionsmaßnahmen oft interne
Schulungen mit problematischen Konzepten wie „gesunde Spiritualität“. Die
meisten Gemeinschaften beschreiben auf ihren Webseiten nicht, dass ihre
eigene Spiritualität unter Umständen eine Gefahr für Menschen sein kann.
Und ich glaube, das ist der Erkenntnisfortschritt, den die eigentlich
machen müssen. Und solange sie sich dem verweigern, bleibt es
problematisch. Eine der Gemeinschaften schreibt auf ihrer Webseite: Das
Reich Gottes ist bei uns gegenwärtig. Das ist doch irre, mit diesem
Anspruch aufzutreten: Wer hier Kritik übt, ist von vornherein falsch – denn
schließlich ist hier das Reich Gottes gegenwärtig.
Wie wird die Zukunft der kirchlichen Jugendarbeit aussehen?
Ich hoffe, dass die Bistümer nicht einfach auf die charismatische Bewegung
setzen und sagen: die sollen das jetzt mal richten. Das ist leider eine
Tendenz. Kürzlich habe ich von Firmvorbereitungen gehört, bei denen nichts
mehr läuft ohne die charismatische Bewegung. Die FOCUS-Missionare, die ich
persönlich für hoch problematisch halte, greifen auf die Hochschulpastoral
zu und sind bereits in Düsseldorf und Passau verortet. In Frankreich
spricht man vom „Sturz der Sterne“, weil so viele Gründer von NGG als
Missbrauchstäter und Vertuscher enttarnt wurden. [4][In Frankreich ist die
Aufarbeitung 10 Jahre weiter] als in Deutschland. Wenn man diesen „Sturz
der Sterne“ ernstnehmen würde, könnte man sich in Deutschland viel
ersparen.
29 Sep 2023
## LINKS
[1] https://katholisch.de/artikel/46988-nach-weltjugendtag-braucht-es-konzepte-…
[2] https://together2023.net/de/home-german/
[3] /Psychologe-ueber-Missbrauch-in-der-Kirche/!5934472
[4] /Katholische-Kirche-Frankreich/!5806258
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
## TAGS
Katholische Kirche
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