# taz.de -- Antisemitismus im Buchladen: Doch kein Safe Space bei „SheSaid“ | |
> Jüdinnen:Juden werden in intersektionalen Räumen unsichtbar gemacht. | |
> Das zeigt der Soli-Sale eines queer-feministischen Buchladens in | |
> Kreuzberg. | |
Bild: Eigentlich ein Buchladen für marginalisierte Gruppen | |
Die in intersektionalen Kontexten oft betonte Solidarität mit | |
marginalisierten Menschen fällt rar aus, wenn diese jüdisch sind. Alle | |
marginalisierten Stimmen einbeziehen, indem man verschiedene | |
Diskriminierungsformen aneinanderreiht? Jüdinnen:Juden fallen da oft | |
raus, denn sie lassen sich nicht so einfach in das binäre Schema von | |
Unterdrückter versus Unterdrücker, Schwarz versus Weiß pressen. | |
Folgt man dieser dichotomen Logik, werden Jüdinnen:Juden häufig unter | |
weiß und privilegiert verhandelt, der einzige jüdische Staat wird zum | |
einzigen Unterdrücker der Palästinenser:innen erklärt, die selbst | |
aufgrund ihrer Rassifizierung niemals als Täter existieren können. Der so | |
oft geforderte Kontext, unter anderem die jüdische Vertreibung aus dem | |
Mittleren Osten, der Holocaust und islamistische Terror gegen | |
Jüdinnen:Juden, wird weggelassen; Antisemitismus entweder gar nicht | |
thematisiert oder als Bagatelle verharmlost. Die Folge: selektive | |
Solidarität. | |
[1][Die Autor:innen Judith Coffey und Vivien Laumann bezeichneten ein | |
solches Verhalten in ihrem gleichnamigen Buch als Gojnormativität], also | |
die jüdische Perspektiven übergehende, nicht benannte, gojische | |
(nichtjüdische) Dominanz – auch in intersektionalen Kontexten. Einer der | |
vielen symptomatischen Vorfälle ausbleibender Solidarität ereignete sich | |
kürzlich im Vorfeld eines Bücherverkaufs im [2][queerfeministischen | |
Kreuzberger Buchladen SheSaid]. | |
Am 3. November veranstaltete der Laden einen „Soli-Sale“ angesichts der | |
Terrorattacken der Hamas auf Israel und dem daraus resultierenden Angriff | |
der israelischen Armee auf Gaza. Im Angebot: Bücher zum Thema | |
Nahostkonflikt, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus. Den Umsatz | |
wollte der Laden an KOP Berlin spenden, eine Organisation, die Opfer | |
rassistischer Polizeigewalt unterstützt. | |
## Autor:innen distanzieren sich | |
Zugleich positioniert sich KOP Berlin aber sehr einseitig zum | |
Nahostkonflikt auf palästinensischer Seite und mobilisierte gemeinsam mit | |
Gruppen wie „Palästina Spricht“, „Demokratisches Komitee Palästina“, | |
„Revolution“ und BDS zu einer Großdemonstration in Berlin unter dem Titel | |
„Free Palestine will not be cancelled“ am Samstag. Dort kam es zu 60 | |
Festnahmen durch die Polizei und zu Übergriffen auf zwei Journalist:innen. | |
Antisemitische Schilder und Parolen wurden von Beamten registriert. | |
Damit wollten die Autor:innen Laura Cazes, Nicholas Potter, Stefan | |
Lauer, nichts zu tun haben. Deren Sammelbände „Sicher sind wir nicht | |
geblieben“ und „Judenhass Underground“ sollten ursprünglich aber auch be… | |
Soli-Sale verkauft werden. Wie andere Autor:innen auch wurden sie | |
seitens SheSaid nicht über den „Soli-Sale“ informiert. | |
Nachdem die Ankündigung des Verkaufs durch SheSaidauf Instagram online | |
gegangen war, suchten mehrere Autor:innen unabhängig voneinander das | |
Gespräch mit SheSaid und schlugen vor, die Hälfte des Erlöses an „Ofek e. | |
V.“ zu spenden, eine Beratungsstelle für Betroffene von Antisemitismus. Der | |
Vorschlag wurde seitens SheSaid ohne Begründung abgelehnt und den | |
Autor:innen aber zugesichert, ihre Bücher nicht beim Sale zu verkaufen. | |
Der taz versicherte die Ladenbesitzerin Emilia von Senger, man würde die | |
Kritik an- und sehr ernst nehmen und wolle sich zeitnah darauf | |
zurückmelden. | |
SheSaid steht nicht das erste Mal in der Kritik. 2021 wurde Emilia von | |
Senger öffentlich dafür kritisiert, dass sie ihr Vermögen und die | |
Nazivergangenheit ihrer Familie nicht transparent gemacht hatte. Der aus | |
einer solchen Vergangenheit resultierenden Verantwortung scheint zumindest | |
in diesem Fall nicht nachgegangen zu werden. | |
## System einer Szene | |
Die Weigerung des SheSaid-Teams, an Ofek e.V. zu spenden, empfanden die | |
Autor:innen Laura Cazés, Nicholas Potter und Stefan Lauer als | |
schockierend. „Wie mit unseren Büchern umgegangen wurde, geht über | |
Tokenizing hinaus. Ich habe mich jedoch gefragt, ob wir überhaupt an die | |
Öffentlichkeit damit gehen sollen, da meine Ressourcen aktuell begrenzt | |
sind“, sagt Laura Cazés. Schließlich veröffentlichen die drei ein Statement | |
auf Instagram. Auch SheSaid teilte den Beitrag wortlos auf der eigenen | |
Instagram-Präsenz. Darunter sammelten sich antisemitische Kommentare. | |
Der Umgang mit Antisemitismus und jüdischen Autor:innen durch | |
SheSaidBooks mutet besonders mit Blick auf den Inhalt der aus dem Sale | |
genommenen Bücher perfide an. Denn die häufige Unsichtbarmachung jüdischer | |
und antisemitismuskritischer Perspektiven in intersektionalen Räumen wird | |
darin genauestens beschrieben und analysiert. | |
Der Vorfall ist jedoch kein Einzelfall. Er hat System in einer Szene, die | |
permanent auf dichotome, identitäre Kategorien zur Betonung des eigenen | |
Opferdaseins setzt. Und die dabei die Analyse von Ideologien und ihrer | |
intersektionalen Verschränkung, allem voran Antisemitismus und Islamismus, | |
sowie den Schutz der Opfer dieser Ideologien verweigert. | |
5 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-in-der-Kultur/!5832849 | |
[2] /Frauenbuchhandlung-in-Berlin/!5666653 | |
## AUTOREN | |
Anastasia Tikhomirova | |
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