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# taz.de -- Frauenbuchhandlung in Berlin: Frau hat was zu sagen
> In Neukölln will Emilia von Senger „She said“ eröffnen: Eine
> Buchhandlung, die nur Werke von weiblichen und queeren Autor*innen führt.
Bild: Emilia von Senger auf der Baustelle in den zukünftigen Räumen ihrer Buc…
Wenn Emilia von Senger beginnt, über Bücher zu reden, werden ihre
Erzählungen immer schneller. Man merkt ihr an, dass sie wohl stundenlang
über Bücher reden könnte. Ihre begeisterten Erzählungen wecken den Wunsch,
sofort in die nächste Buchhandlung zu stürmen, um sich ein Buch zu kaufen –
und zwar nicht irgendeines, sondern das einer Frau.
Ab September kann man das dann auch direkt bei von Senger tun. Sie eröffnet
am Kottbusser Damm in Neukölln eine [1][Buchhandlung], in der es
ausschließlich Werke von Autorinnen und queeren Autor*innen geben wird. „Es
geht um die Welt, in der wir leben und in was für einer Welt können wir
leben, in dem die Hälfte der Wahrnehmungen nicht als wichtig genug
angesehen werden“, sagt von Senger. Und dass sie Frauen einen Platz für
ihre Geschichten bieten und so helfen will, eine Gleichberechtigung
herzustellen, die es bisher nicht gibt.
Die Buchhandlung wird den Namen „She said“ tragen. Und diesen Namen hat sie
natürlich aus einem Buch. Im Vorwort der Anthologie [2][„Sagte sie“ (2018)]
stellte die Herausgeberin Lina Muzur die englische Redewendung „he said,
she said“ vor. Ein kurzer Satz, der den Moment beschreibt, wenn zwei
Personen eine gemeinsam erlebte Situation unterschiedliche auffassen und
schließlich auch unterschiedlich beschreiben: „Sagte er, sagte sie“. Der
Mann erzählt also seine Geschichte und die Frau eine andere.
Muzur schreibt: „Und weil es durchaus sein könnte, dass wir schon zu lange
und zu oft seiner Version der Geschichte zugehört und Glauben geschenkt
haben, soll in dieser Anthologie ausschließlich ihre Sicht der Dinge
erzählt werden: Sagte sie.“ Diese Aussage beeindruckte von Senger: „Das
sagt genau das aus, worum es in meiner Buchhandlung geht. Darum die
erzählende Perspektive von Frauen und queeren Autor*innen sichtbarer zu
machen. An diesem Ort findet ihr ihre Geschichten.“
## Auch Männer willkommen
Nur Bücher von Autorinnen und queeren Autor*innen anzubieten, klingt nach
einem neuen Konzept. Doch sogenannte Frauenbuchhandlungen waren in den 80er
Jahren in Deutschland weit verbreitet. Dort gab es Bücher, die in den
klassischen Buchhandlungen bisher keinen Platz fanden. Teilweise war es
Männern sogar verboten, die Geschäfte zu betreten, um den Frauen einen
Schutzraum zu bieten.
In der Buchhandlung von Emilia von Senger gibt es so ein Verbot nicht, ganz
im Gegenteil: „Ich wünsche mir, dass auch Männer bei mir Autor*innen
entdecken.“ Bei „She said“ soll der zwischenmenschliche Austausch im Fokus
stehen. Der Austausch von Sichtweisen und Erlebnissen: „Ich lege einen
Fokus auf die Gemeinschaftsbildung. Es soll ein Ort sein, an dem diskutiert
wird. Außerdem soll es ein Ort der Inspiration werden. Zum Beispiel wird
man bei mir Bücher von Autor*innen wiederentdecken, die in Vergessenheit
geraten sind.“
Von Senger versucht selbst, seit einigen Jahren vor allem Bücher von
Autorinnen zu lesen. Ausschlaggebend dafür war auch wieder ein Buch. Mit
Mitte 20 liest sie zum ersten Mal Sylvia Plath. „Es hat wirklich mein Leben
verändert, ohne sie wäre ich heute nicht hier.“ Und da habe sie sich
gefragt: „Wie kann es sein, dass ich so viel gelesen habe, aber noch nie so
etwas?“
In „Die Glasglocke“ schreibt Plath über das Leben einer jungen Frau in den
1960ern und die gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden.
Dank dieses Werks wird von Senger klar, wie wenige Autor*innen sie kennt.
Das lag wohl auch daran, dass Schulen oft der erste Ort sind, an dem junge
Menschen in Berührung mit älteren Romanen kommen und dort meist männliche
Autoren gelesen werden.
## Einfach anfangen
Diesen Kanon kann Emilia von Senger heutzutage nicht mehr nachvollziehen.
Während der Schulzeit war sie ein Fan von Max Frisch: „Er ist ein toller
Autor, aber was macht es mit jungen Menschen, wenn ihre einzigen
Identifikationsfiguren alte weiße Männer sind?“
Nach dem Werk von Sylvia Plath begann von Senger, stärker darauf zu achten,
von wem die Bücher verfasst wurden. Sie wollte nun genauso viele Bücher von
Frauen lesen, wie sie von Männern las. Zu Beginn gar nicht so einfach,
erklärt von Senger: „Ich kannte kaum Autor*innen und habe mich auch nicht
getraut, mich beraten zu lassen. Doch wenn man einmal anfängt, geht es bald
von alleine. Die eine Autor*in erwähnt die nächste und so weiter.“
Inzwischen lese sie mehr Bücher von Frauen als von Männern.
Aber sollte das überhaupt ein Anspruch sein? Sollte man darauf achten,
welches Geschlecht hinter dem Buch steckt? Von Senger sagt, sie treffe auch
auf Leute, die mit ihrem Konzept zunächst überhaupt nichts anfangen
könnten. Schließlich sei für viele Menschen doch nicht der Kopf hinter dem
Buch entscheidend, sondern die Qualität des Buches.
Darauf reagiert sie sehr geduldig: „Ich versuche ihnen dann ruhig zu
erklären, wie unser Verständnis von Qualität von dem geprägt ist, was wir
in unserem Leben vorgelebt bekommen haben. In dem wir mehr Frauen lesen,
verändert sich auch unsere Wahrnehmung von Qualität und möglichen Themen
für Literatur.“
## Immer ein Buch in der Hand
Vor allem mit Männern spricht sie über dieses Thema. „Dabei ist es für
Männer doch auch relevant, dass sie lange Zeit nicht lesend in die
Lebenswelten des anderen Geschlechts eingetaucht sind.“ Genau dieser
Wahrnehmung möchte von Senger in ihrer Buchhandlung viel Platz einräumen.
Dass sie einmal eine Buchhandlung eröffnen wird, stand für sie schon länger
fest. „Ich hatte als Kind immer ein Buch in der Hand“, erklärt sie. Doch
zunächst studiert sie Politikwissenschaften und arbeitet im
Bildungsbereich. Bis sie schließlich krank wird und für fünf Monate zu
ihrer Mutter zieht. Sie kann während dieser Zeit kaum das Haus verlassen.
Stattdessen greift sie zu Büchern – und öffnet sich ein virtuelles Fenster:
Instagram.
In dem sozialen Netzwerk rezensiert sie die Bücher, die sie liest, und
tauscht sich mit anderen Menschen darüber aus. Sie tritt einer großen
Community bei, von der sie bisher gar nichts wusste. „Ich war total naiv
und dachte, ich wäre die Erste mit dieser Idee“, erzählt von Senger
lachend.
In der „Bookstagram“-Community finden sich bisher über 39 Millionen
Beiträge. User*innen nutzen die Plattform, um sich Lesetipps zu holen,
über Bücher zu sprechen und sie zu rezensieren. Ein großer Leseclub, in den
von Senger quasi zufällig hineingestolpert ist.
## Was ist eine Traumbuchhandlung?
Als sie wieder gesund ist, beschließt sie, in einem Buchladen zu arbeiten.
Doch relativ schnell bemerkt sie, dass ihr das für die Zukunft nicht
reicht. Viel zu gerne möchte sie selbst etwas gestalten. Und obwohl mit der
Selbstständigkeit auch viele Herausforderungen auf sie zukommen, bereut sie
diese Entscheidung nicht: „Es ist ein Privileg, dass ich zurzeit diese
Visionen entwickeln kann, die dann auch irgendwann Realität werden.“ Durch
eine Erbschaft und angespartes Eigenkapital kann sie ihre Visionen
realisieren.
Zwar geht es mittlerweile auf ihrem Instagram-Account @emilia__antonina
etwas ruhiger zu, doch so manche Ideen ihrer Follower*innen bezieht sie
auch in das Projekt mit ein. Auf dem Kanal ihrer Buchhandlung @shesaidbooks
stellte sie vor ein paar Wochen die Frage: „Wie sieht eure
Traumbuchhandlung aus?“ Denn von Anfang an soll dieses Projekt ein
kollektives Projekt sein, in dem sich viele Menschen einbringen können und
es auch sollen.
Emilia von Senger selbst drückt es so aus: „Die Menschen sollen einen Ort
betreten, in dem sie das finden, was ihnen in der Literatur oft fehlt.“
Dieser Ort befindet sich dann ab September am Kottbusser Damm in
Berlin-Neukölln.
2 Mar 2020
## LINKS
[1] /Internationale-Buchlaeden-in-Berlin/!5553773&s=Buchl%C3%A4den+buchhandel/
[2] /Erzaehlband-zu-Sex-Macht-und-metoo/!5524821&s=Muzur/
## AUTOREN
Denise Klein
## TAGS
Buchhandel
Feminismus
Frauenförderung
deutsche Literatur
Russische Literatur
Buchhandel
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