# taz.de -- Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Literaturdinner, wenn Krieg… | |
> Slavoj Žižek sorgt mit seiner Rede bei der Eröffnungsfeier für Aufregung | |
> – und Gesprächsstoff. Wichtig ist aber trotzdem, wie man angezogen ist. | |
Bild: Bin ich underdressed? Buchteln zum Nachtisch | |
Dienstag, 17 Uhr. Gerade wird die Buchmesse feierlich eröffnet, und erst | |
vorm Eingang lese ich das extrem Kleingedruckte auf meinem Presseticket. | |
Das reicht wohl ohne Anmeldung heute nicht aus. | |
„Aber ich schreibe hier das Online-Tagebuch!“, sage ich. | |
Ich komme nicht rein. | |
Egal, denke ich und gehe zu meinem eigentlichen Highlight des Tages: Dinner | |
vom Verlag Klett-Cotta im Literaturhaus Frankfurt. | |
Leute, die früher hier waren, prophezeiten für solche Messe-Events: | |
angenehmen Gossip und Glamour. Die Adresse „Schöne Aussicht“ klingt | |
passend, zudem war die [1][Verlagsautorin Anne Rabe] Nominierte für den | |
Buchpreis und zwei Kolleg:innen sind auch da. | |
## Aufregung um Žižek | |
Gleich zu Beginn findet auf dem Balkon ein schnelles Gespräch darüber | |
statt, was vorhin auf der Eröffnungsfeier der Messe abging. | |
[2][Ehrengastland ist ja dieses Jahr Slowenien,] und darum war der | |
Philosoph Slavoj Žižek als Redner eingeladen. Nachdem sich alle | |
Vorredner:innen mit Israel solidarisierten, nutzt der wohl den Moment, | |
um sich für die am Gazastreifen lebenden Palästinenser:innen | |
einzusetzen. Klar, die Terrorangriffe seien furchtbar, aber Israels Rolle | |
wäre nicht positiv im Nahostkonflikt – dann Riesen-Aufregung vor Ort. | |
„Aber ich war auch nicht dabei“, sagt dann einer der zwei Männer, und beide | |
schauen mich an. Mist, denke ich. | |
Später werde ich das nacharbeiten: Bei der Rede gibt es mehrere | |
Zwischenrufe, viele verlassen den Saal, Relativierungsvorwürfe, Protest | |
Žižeks und Messedirektor Boos macht klar, dass Žižeks Worte im Sinne des | |
freien Wortes bestehen müssten. | |
Jetzt am Abend sagt jemand: „Aber normalerweise sind diese Eröffnungen mega | |
fad!“ | |
Das dachte ich auch! | |
Zeit reinzugehen. | |
## Kronleuchter und Crémant | |
Das Literaturhaus Frankfurt sieht von innen aus, wie man sich klischeehaft | |
die gesamte Literaturwelt vorstellt. Riesige Kronleuchter, lange weiß | |
bedeckte Tafeln und an einer Wand steht ein riesiges Goethezitat: „Das | |
Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.“ | |
Ich bekomme schneller einen Crémant, als ich meine Jacke ausziehen kann, | |
stecke mein blau-goldenes Hemd in die Hose mit ebenso goldenem Gürtel. Ich | |
werde von einem Mann mit dickrandiger Brille gemustert. | |
„Na, Sie haben sich wohl reingesneakt?“, fragt er und grinst. | |
Ich lächele höflich und gehe zu meinem Sitzplatz neben Miko, der nicht | |
wirklich so heißt. | |
## Die Reden | |
Dann klirrt ein Glas. Der Verleger steht auf, wendet sich an Anne Rabe und | |
trägt ihr einen Auszug seiner eigentlich für diesen Abend angedachten Rede | |
vor. | |
„Liebe Anne, niemand hat den Buchpreis so sehr verdient wie du!“, sagt er | |
liebevoll. Applaus. | |
Später spricht der englische Historiker und Autor [3][Simon Sebag | |
Montefiore,] dessen 1536-seitiges Buch „Die Welt. Eine Familiengeschichte | |
der Menschheit“ bald offiziell bei Klett-Cotta erscheint und jetzt schon | |
hier auf den Tischen steht. Er redet so rhythmisch wie ein | |
Spoken-Word-Artist und vermischt Dankesworte mit Einblicken in seine | |
jüngste Arbeit und die an seinen historischen Mammutprojekten über die | |
Romanows, Stalin und Jerusalem. | |
„Einmal bin ich nachts um drei Uhr im Bett hochgeschreckt und meine Frau | |
fragt mich, was los ist und ich sage: ‚Ich hab‘ Jesus Christus vergessen!'�… | |
Super Typ, super Stimmung im Saal, dann gibt es Essen. | |
Die Kellner bringen kleine Tassen mit Maronenschaumsuppe. | |
Miko zeigt mir, mit welchem Löffel ich anfangen soll, als wären wir in | |
„Titanic“. Das ist mein erstes Literaturpartydinner, keine Ahnung was mich | |
hier erwartet. | |
Neben mir ein aufgeregtes Gespräch. | |
„Da müsste man doch hin!“, sagt jemand. | |
Ich trinke schnell meinen Crémant aus. | |
„Wohin?“, frage ich. | |
„Na, nach Israel!“ | |
Richtig. | |
## Draußen rauchen | |
Wir gehen rauchen. Dort steht erneut der Mann mit der Brille von eben. | |
„Bekommen Sie auch was zu essen?“, fragt er und mustert wieder mein Outfit. | |
„Oder dürfen Sie nur als Zaungast dabei sein?“ | |
Aber irgendwie lächelt er dabei immer so fröhlich, dass ich locker bleibe. | |
Jedenfalls steht auf meinem Tisch der zweite Gang: Gebratene | |
Entenbrust/Jus/Rotkohl/Kartoffelknödel. | |
„Bin ich underdressed oder so?“, frage ich Miko dann doch beim Essen. | |
„Nein, du siehst super aus“, sagt er und ich ziehe meine Jacke aus. | |
## Buchteln zum Dessert | |
Beim Rauchen laufe ich an einem Diskussionshalbkreis vorbei. | |
„Diese Absage geht gar nicht!“ | |
„Aber die Autorin wird doch geehrt!“ | |
„Ja, aber nicht hier, und man weiß auch nicht, wann“ | |
„Aber könnt ihr das nicht ein bisschen verstehen?“ | |
Das Dessert kommt: Buchteln gefüllt mit Vanilliecrème und Pflaumenkompott. | |
Und ich google, was überhaupt abgeht: Die palästinensische Autorin Adania | |
Shibli soll nicht wie vorgesehen auf der Frankfurter Buchmesse für ihren | |
Roman „Eine Nebensache“ geehrt werden. Angesichts des Hamas-Angriffs auf | |
Israel wird die Verleihung auf unbestimmte Zeit verschoben werden. | |
Der Kellner kommt. „Noch Espresso, noch ein Wein?“ | |
Ich gehe nach draußen, da läuft noch immer der Diskurs über Shibli. | |
„Da schreibt eine Schriftstellerin vor vielen Jahren ein Buch und soll | |
dafür geehrt werden“, sagt jemand. „Das kann nicht einfach wegen der | |
plötzlichen Lage abgesagt werden!“ | |
„Es ist auch nicht die beste Lösung“, entgegnet ein anderer. „Aber es ge… | |
um den Zeitpunkt und …“ Ein Typ aus der Runde dreht sich zu mir. | |
„Was sagen Sie denn?“, fragt er. | |
Und ich stottere, dass ich mich belesen muss, und gehe schnell wieder rein. | |
Dort höre ich immer wieder höchstens den Anflug von Gossip nach dem | |
Buchpreis, ansonsten Gespräche über Lesungen und kommende Partys. | |
## Lieber kein Gin Tonic | |
Dann im nächsten Moment wieder Diskussionen über Palästina, Israel und die | |
Frage nach welchen Gesprächen zu welchem Zeitpunkt. Und als ich irgendwann | |
an der Bar einen Gin Tonic bestellen will, interveniert der Kellner. „Den | |
müsstest du selbst zahlen und das willst du doch nicht!“ | |
Ich bekomme ein kleines Bier. | |
Am Mittwoch dann mein erster Messetag, denke ich. Und abends eine Party, | |
irgendein Empfang. Es gibt viel zu besprechen. | |
Also austrinken, Nachrichten gucken, Ibuprofen bereithalten und schnell ins | |
Bett. Bis Morgen! | |
Aron Boks, 1997 geboren, lebt als Autor in Berlin. Er schreibt für diverse | |
Zeitungen und Magazine. Zuletzt erschien das Buch „Nackt in der DDR“ über | |
seinen Urgroßonkel, den Maler Willi Sitte (Verlag HarperCollins). Das | |
Messetagebuch wird finanziert von der taz Panterstiftung. | |
18 Oct 2023 | |
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