| # taz.de -- Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Zum Abschluss über Liebe s… | |
| > Bevor die Messe schließt, hat unser Autor viel vor. Er ist bei der | |
| > Hot-List, fällt fast auf das Peng! Kollektiv rein und ist Gast einer | |
| > Sendung. | |
| Bild: Alles, was ein Buch braucht: Tisch auf der Frankfurter Buchmesse | |
| Es ist der letzte Messetag. | |
| Um mich herum drängen sich hastig Hunderte von Besucher:innen an den | |
| weißen Buchkabuffs. Und ich suche Mathilda. | |
| Seit die Messe am Freitag für den Publikumsverkehr geöffnet hat, sind wir | |
| zusammen unterwegs. Es ist ihre erste Buchmesse, die sie jemals besucht. | |
| Gleich schließen die Messehallen. | |
| Für mich war es auch die erste Buchmesse in Frankfurt, der erste Deutsche | |
| Buchpreis, die ersten Literaturempfänge und der Blick vor und hinter die | |
| Kulissen der Literaturwelt. Und genau jetzt beobachte ich noch einmal das | |
| Aufeinanderknallen der Vorstellungen des Publikums vom Literaturbetrieb an | |
| dessen Realität: | |
| Ein Verleger steht in seinem winzigen Stand, wird von einem Besucher gut 15 | |
| Minuten lang in ein Gespräch eingewickelt, soll über sein Verlagsprogramm | |
| und die Schwierigkeiten der kleinen Verlage reden, bis dann der Besucher | |
| fragt: “Und schenken Sie mir jetzt ein Buch?“ | |
| “Nein, ich bin doch hier, um zu verkaufen“ | |
| “Guter Punkt!“ | |
| ## Alles, was ein Buch braucht | |
| Daneben drängt sich eine Frau mit einem aufwendig gestalteten, selbst | |
| gedruckten Buch durch das Gedränge um den Stand eines großen | |
| Publikumsverlags, knallt das Ganze auf den Tisch und bewirbt das Manuskript | |
| als etwas “mit allem, was ein Buch braucht!“. “Da geht es um Action, | |
| Familie und Sex!“, raunt sie und erklärt einer Verlagsmitarbeiterin gerade, | |
| wie ihr Buch am besten vermarktet wird und wie das Cover aussehen könnte. | |
| Mit einem Feuer, das allein dadurch gelöscht wird, dass die Mitarbeiterin | |
| sagt: “Schreiben Sie uns lieber eine E-Mail.“ | |
| Keine Ahnung, ob das etwas bringt, aber ich habe jetzt keine Lust, meine | |
| gute Laune dadurch trüben zu lassen, denke ich und blättere durch mein | |
| Notizbuch. | |
| Da habe ich mir die Momente aufgeschrieben, die ich an diesem | |
| Messewochenende einfach nur schön fand: | |
| ## Die Literaturkritiksendung | |
| Am Freitag darf ich zum ersten Mal bei einer Literaturkritiksendung dabei | |
| sein. Und bin dafür zur Vorbereitung mit Mathilda durch Frankfurt spaziert, | |
| ich wollte unbedingt [1][das Adorno-Haus] sehen, und als wir davorstehen, | |
| sagt sie: “Sei später auf der Bühne einfach nicht so wie die weißen | |
| Literaturstudenten aus meinen Seminaren, die Buchkritiken mit Sätzen wie | |
| 'Wir müssen jetzt aufpassen …’ einleiten, als wären sie so Bertolt Brecht, | |
| der vor dem aufkommenden Faschismus warnt.“ | |
| Und daran habe ich mich gehalten und es lief super. | |
| Später dann Riesen-Gewusel an einem kleinen Stand des neuen Unternehmens | |
| “amazing books“. Ein Start-up, das in einer Pressemitteilung damit warb, | |
| mithilfe künstlicher Intelligenz Bücher zu erschaffen, die ganz auf eine | |
| Person zugeschnitten sind. Mithilfe vorhandener Bücher und Werke würden | |
| neue Bücher entstehen, angepasst an Lesegewohnheiten und Interesse der | |
| Kund:innen. Das Start-up verhandelte nach eigenen Angaben mit über 30 | |
| Verlagen, etliche Journalist:innen inklusive meiner, wollten wissen, | |
| was da abgeht. | |
| Und am Ende wird klar, dass das alles nur ein Riesen-Prank des [2][Peng! | |
| Kollektivs] war. | |
| ## Die Gewinner der Hot-List | |
| Später am Abend, eine Szene aus dem Literaturhaus Frankfurt. Dort findet | |
| die Verleihung der Hot-List-Gewinner statt, bei dem unabhängige Verlage | |
| geehrt werden. Durch die begeisterte Jury einstimmig entschieden, gewinnt | |
| dort “Leere Menge“ von Verónica Gerber Bicecci, aus dem mexikanischen | |
| Spanisch übersetzt von Birgit Weilguny, und “handverlesen“, die erste | |
| deutsche Anthologie über Gebärdensprachenlyrik, bekommt einen Zusatzpreis. | |
| Danach stehen Mathilda und ich an der Bar. Gerade will ich mich aufregen, | |
| als sie beim Rotweinbestellen von so einem alten Mann angetippt wird, der | |
| dann mich ansieht und der unsere Drinks bezahlt. | |
| “Der wollte ganz offensichtlich einfach nur …“, beginne ich gerade. Da | |
| schüttelt Mathilda den Kopf. “Der hat gleich gesagt, dass er uns beide | |
| einladen will.“ | |
| Als ich ihn fragend ansehe, sagt er: “Ich hab einfach richtig gute Laune!“ | |
| Dann stehen wir wie die Hälfte der Partybesucher einfach nur draußen vor | |
| dem Literaturhaus, rauchen, und irgendwann kommt mir die völlig begeisterte | |
| Autorin Annika Büsing mit einem Riesen-Rucksack entgegen, in dem gerade der | |
| Deutsche Jugendliteraturpreis liegt, und erzählt mir, wie sie jetzt am | |
| nächsten Tag eine Lesung hat und ganz viele Bücher mitbringen soll, ihr | |
| Verlag aber in diesem Jahr nicht die finanziellen Mittel aufbringen konnte, | |
| um selbst auf der Messe zu sein. | |
| “Also ist einer aus dem Verlag einfach in das Lager gelaufen und wird | |
| morgens um sechs Uhr mit einem Haufen Bücher nach Frankfurt fahren, um die | |
| hier auf der Messe zu verkaufen.“ | |
| Das war schön. | |
| ## Bevor die Hallen schließen | |
| Und bis eben saß ich auf einem Panel, um mit einer Klimaaktivistin und | |
| einem Philosophen darüber zu sprechen, wie die Zukunft gestaltet werden | |
| kann. Parallel wird gerade Salman Rushdie der Friedenspreis des Deutschen | |
| Buchhandels in der Paulskirche verliehen. | |
| Und hier auf der Bühne ging es irgendwie ganz schön harmonisch zu. | |
| Jedenfalls dafür, dass der Autor neben mir in seinem Buch darüber spricht, | |
| dass wir uns darauf besinnen sollten, schon mehrere Krisen durchstanden zu | |
| haben, und die Autorin gegenüber die Letzte Generation mitbegründet hat und | |
| aus völliger Ohnmacht angesichts der Klimakrise in einen Hungerstreik | |
| getreten ist. | |
| Dann ging es aber um Protestformen, Straßenblockaden, und irgendwann sagte | |
| ich dann: “Lasst uns über Liebe sprechen!“, und das haben wir auch gemacht, | |
| schließlich habe ich nachgezählt, wie oft das Wort in beiden Büchern | |
| vorkommt, und in dem der Aktivistin taucht es einmal und in dem des | |
| Philosophen gar nicht auf. Dabei geht es darin um das Prinzip “Zuversicht“. | |
| Kurzes Lächeln im Publikum. Die beiden Autor:innen treffen sich kurz auf | |
| einer Interessenebene, laufen dann im Diskurs aber wieder voll voneinander | |
| weg, tauschen aber am Ende ihre E-Mail-Adressen. | |
| Jetzt gibt eine Stimme durch, dass die Messeehallen schließen, und ich | |
| laufe zu Mathilda. | |
| Sie sieht mich fröhlich an. Mist, denke ich. Das hatte ich vergessen. | |
| Ich sollte ihr in all diesen Tagen ein Buch aussuchen. “Ich habe das voll | |
| vergessen, bei all dem was …“, stottere ich. | |
| “Das macht doch nichts!“, antwortet sie. “Dann gehen wir mal zusammen in | |
| einen Buchladen!“ | |
| Dann nimmt sie meine Hand und wir werden von dem Sog der Menschen nach | |
| draußen gezogen. “And the Story goes on“, steht dort an einer Wand. | |
| Ich verlasse die Messe. Und ich bin verzaubert. | |
| 23 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Aron Boks | |
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