# taz.de -- Annalena Baerbock und Julian Assange: Unbefriedigende elf Seiten | |
> Im Wahlkampf setzte sich die Grüne Baerbock für Julian Assange ein. Als | |
> Außenministerin tut sie zu wenig für den inhaftierten Journalisten. | |
Bild: Kundgebung für die Freilassung von Julian Assange, London, Juni 2023 | |
„Gezielte Irreführungen“, hat [1][Hannah Arendt] einmal festgestellt, | |
würden wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte „als legitime | |
Mittel zur Erreichung politischer Zwecke kennen“. Ob | |
[2][Bundesaußenministerin Annalena Baerbock] Arendts 1972 erschienen | |
Aufsatz „Die Lüge in der Politik“ kennt? Unklar. Ihre Äußerungen zu dem | |
[3][von der US-Regierung verfolgten australischen Journalisten Julian | |
Asssange] machen sie dennoch zu einem Paradebeispiel für die Reflektionen | |
von Arendt. | |
Als grüne Kanzlerkandidatin forderte Baerbock im September 2021 „die | |
sofortige Freilassung von Julian Assange“. Doch als Außenministerin | |
ignorierte sie monatelang Anfragen zu dem seit über vier Jahren in London | |
inhaftierten Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Ein bis dahin | |
ungekanntes Vorgehen eines Bundesministeriums. Der taz liegt jetzt die | |
Antwort eines von Baerbocks Staatssekretären auf eine Kleine Anfrage der | |
Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen vor. Sie zeigt, dass Baerbock wenig tut, | |
um Assange im Kampf um die Freiheit zu unterstützen. | |
Stella Assange, Anwältin und Frau des seit 2012 von der US-Regierung | |
verfolgten Verlegers, besuchte im April 2023 das taz.lab in Berlin. Dabei | |
wollte sie auch Baerbock treffen, aber so kam es nicht. Stattdessen empfing | |
eine Beauftragte im Auswärtigen Amt die Juristin – unter der Bedingung, | |
dass das Treffen geheim gehalten werden müsse. Dass es auch anders geht, | |
zeigte die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth. Die Grüne ließ sich | |
von Stella Assange über die Lage des prominenten politischen Häftlings | |
informieren und erklärte kurz darauf [4][in einem taz-Interview]: „Eine | |
Freilassung von Assange wäre ein gutes und wichtiges Signal für die | |
Pressefreiheit.“ | |
Baerbocks Staatssekretär Thomas Bagger antwortete jetzt auf die Kleine | |
Anfrage von Dağdelen, konkret auf die Frage nach Maßnahmen der | |
Bundesregierung, die Bundesregierung habe „keinen Zweifel daran, dass die | |
britische Justiz rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und die | |
Menschenrechte achtet“. Ansonsten äußere man sich zu den Inhalten | |
vertraulicher Gespräche mit anderen Regierungen „grundsätzlich nicht“. | |
## Keine Erkenntnisse | |
Die 11 Seiten lange Antwort auf 28 Fragen ist kaum befriedigend. Dağdelen | |
wollte wissen, ob die Bundesregierung Kenntnis darüber habe, ob die CIA | |
geplant habe, Assange zu entführen oder zu ermorden, wie Yahoo-News | |
gestützt auf die Aussagen ehemaliger Mitglieder der Trump-Regierung | |
behauptet hat. Die Antwort: Dazu lägen „keine Erkenntnisse im Sinne der | |
Fragestellung vor“. | |
In der Antwort auf die Frage, ob die Bundesregierung Kenntnisse habe, ob | |
Assange eine faires Verfahren in den USA erwartet, heißt es, es bestünde | |
„aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass dazu, an der Rechtsstaatlichkeit | |
und Unabhängigkeit der Justiz in den USA zu zweifeln“. Und das obwohl die | |
US-Anklage gegen Assange, nach der ihm wegen Spionage eine Höchststrafe von | |
175 Jahren Haft droht, sich auf einen kriminellen Kronzeugen stützt, dem | |
das FBI dafür Straffreiheit zugesichert hat. | |
Sevim Dağdelen regt sich gegenüber der taz vor allem darüber auf, dass die | |
Bundesregierung den Beschluss des Petitionsausschusses und des Plenums des | |
Bundestags, sie solle sich gegenüber Großbritannien und den USA für die | |
Freilassung von Julian Assange einsetzen, vollständig ignoriere. Dağdelen | |
ärgert sich über Baerbocks Schweigen zu „Washingtons fortgesetztem Angriff | |
auf die Pressefreiheit“. | |
Die Unterstützer von Assange können sich vielleicht damit beruhigen, dass | |
die deutsche Regierung in diesem Fall keine entscheidende Rolle spielt. | |
Deutlich größeren Einfluss hat Australien, dessen Premierminister Anthony | |
Albanese gerade den US-Präsidenten Joe Biden in Washington besucht hat. Die | |
beiden Länder sind eng miteinander verbunden und bilden zusammen mit | |
Großbritannien, Kanada und Neuseeland die Geheimdienstallianz „Five Eyes“. | |
Der Labour-Politiker Albanese fordert schon seit 2022, dass der | |
australische Staatsbürger Assange freigelassen wird. „Enough is enough“, | |
sagt er immer wieder; ob er bei Biden etwas für Assange erreicht hat, ist | |
noch nicht klar. | |
30 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Hannah-Arendt/!t5043159 | |
[2] /Annalena-Baerbock/!t5469290 | |
[3] /Julian-Assange/!t5008572 | |
[4] /Claudia-Roth-ueber-Julian-Assange/!5928591 | |
## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
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