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# taz.de -- Repression in Iran: Nutznießer des Gazakriegs
> Für Irans Führung ist der Krieg in Nahost innenpolitisch ein Segen.
> Während die Welt abgelenkt ist, greift das Regime hart gegen Kritiker
> durch.
Bild: Pro-Palästina-Protest in den Straßen Teherans am 18. Oktober 2023
Berlin taz | Drei Wochen lang lag Armita Garawand im Koma. Als die Ärzte
schließlich feststellten, [1][dass die 16-Jährige hirntot war], sahen sich
viele iranische Aktivisten und Beobachter endgültig bestätigt. Seit Monaten
hatten sie gewarnt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Irans
islamisches Sittensystem sein nächstes Opfer fordern würde.
Überraschend ist vielmehr die Stille, die auf die Nachricht vom Wochenende
folgte. Die Ähnlichkeiten mit dem Fall von Mahsa Amini, deren Tod
vergangenes Jahr massive Straßenproteste ausgelöste, sind frappierend:
Wieder erliegt ein Mädchen den Verletzungen, die ihm nach Angaben von
Menschenrechtsgruppen durch Sittenwächter zugefügt wurden; wieder wird das
Krankenhaus überwacht, wieder werden die Eltern unter Druck gesetzt, wird
eine Journalistin, die über den Fall berichtet, festgenommen.
Doch im Gegensatz zum letzten Jahr bleibt der Aufruhr aus. Kein Aufstand,
keine Straßenproteste, die das Regime in die Schranken weisen. Irans
Hardliner setzen damit ein Zeichen: Sie können weitermachen wie bisher.
Nach einem Jahr anhaltender Repression – über 500 Menschen kamen bei den
Protesten ums Leben, Tausende wurden verhaftet und gefoltert – liegt das
einerseits an der Zermürbung der Protestbewegung, andererseits spielt auch
die [2][Eskalation des Nahostkonflikts] eine Rolle.
Außenpolitisch stellen Israels Luftangriffe auf den Gazastreifen Irans
Führung vor ein Dilemma. Während die eigenen Anhänger Unterstützung für die
Palästinenser erwarten, könnte eine direkte Konfrontation mit Israel für
die Islamische Republik zum Desaster werden. Solange es jedoch beim
Säbelrasseln bleibt, ist das Blutvergießen in Gaza für Teheran ein Segen.
## Erschreckend realistische Propaganda
Als in Iran noch der Protest wütete, wurden die Machthaber nicht müde, die
Gefahr der „Syrienisierung“ Irans heraufzubeschwören: Chaos als einzige
Alternative zum herrschenden System, eine Prophezeiung, die
stabilitätssuchende Familienväter und Berufstätige von der Straße
fernhalten sollte.
Angesichts des Gazakriegs wirkt das Propagandaszenario nun erschreckend
realistisch. In den sozialen Medien ist die Angst, dass man in die
Eskalationsspirale mit hineingezogen wird, allgegenwärtig. Das Kalkül, dass
es auf den Straßen ruhig bleibt, solange die Angst größer ist als die Wut,
geht auf.
Vielleicht noch wichtiger für das Regime: Während der Konflikt in Gaza die
Weltöffentlichkeit in Atem hält, fallen Ereignisse, die sonst für
Schlagzeilen sorgen würden, unter den Tisch. Es dürfte kein Zufall sein,
dass Teheran ausgerechnet in den letzten Tagen zu einem Rundumschlag gegen
Regimegegner ausgeholt hat.
## Jahrelange Haft für Journalistinnen
Ein Beispiel ist das Urteil gegen die Journalistinnen Nilufar Hamedi und
Elahe Mohammadi, das am Sonntag verkündet wurde. Die Frauen, die sich seit
über einem Jahr in Untersuchungshaft befanden, wurden zu 13 beziehungsweise
12 Jahren Haft verurteilt. Beide hatten mit ihren Berichten maßgeblich dazu
beigetragen, dass die iranische und internationale Öffentlichkeit vom Tod
Aminis erfuhr. Sie haben nun zwanzig Tage Zeit, Berufung einzulegen. Sollte
das Urteil bestätigt werden, müssen die Journalistinnen mindestens 7
beziehungsweise 6 Jahre Haft absitzen.
Ebenfalls am Sonntag stellten die Ärzte Garawands Hirntod fest. Vor diesem
Hintergrund wirkte das Urteil gegen Hamedi und Mohammadi wie eine Warnung
an Berufskollegen, die über Garawands Fall kritisch berichten könnten. Für
die Organisation Committee to Protect Journalists (CPJ) ist das Urteil ein
„verzweifelter Versuch der iranischen Regierung, den Journalismus zu
kriminalisieren“.
Auch in anderen Bereichen hat das Regime seine Gangart verschärft. Ein Ort,
der den Machthabern schon lange ein Dorn im Auge ist, ist die ostiranische
Stadt Zahedan, die hauptsächlich von Belutschen, einer diskriminierten
Minderheit, bewohnt wird. Hier hat sich auch in den vergangenen Monaten der
Unmut gegen das Regime weiter in wöchentlichen Massenprotesten entladen.
Vor einem Jahr hatten Regimekräfte in der Stadt ein Blutbad angerichtet.
Etwa 100 Demonstranten starben an einem Tag, dennoch hielten die Proteste
an.
Dieses Mal ging man vorsichtiger vor, aber umso effektiver: Am vergangenen
Freitag stürmten ganze Bataillone schwer bewaffneter Sicherheitskräfte
einen friedlichen Protestzug, hunderte Menschen sollen verschleppt worden
sein, Videos zeigen zahlreiche Verletzte, darunter auch Kinder.
## Erinnerung an die Kettenmorde
Ein politisches Motiv vermuten viele auch hinter dem unaufgeklärten Mord,
der letzte Woche an dem iranischen Filmemacher Dariush Mehrjui und seiner
Frau begangen wurde. Mehrjui hatte letztes Jahr die Protestbewegung
unterstützt. Das erinnert viele an die sogenannten Kettenmorde, eine Serie
von Morden an kritischen Intellektuellen und Künstlern in den neunziger
Jahren. Damals war in Iran gerade ein Reformer zum Präsidenten gewählt
worden, es herrschte Aufbruchstimmung.
Heute haben die Hardliner die Reformer längst kaltgestellt. Doch auch heute
ist ihre Macht wieder bedroht – und sie sind wieder bereit, alles zu tun,
um sie zu verteidigen.
25 Oct 2023
## LINKS
[1] /16-jaehriges-Maedchen-in-Iran/!5967853
[2] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
## AUTOREN
Teseo La Marca
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