# taz.de -- Wahlen in der Slowakei: Ein Fall für den Arzt | |
> Der 2018 geschasste Ex-Ministerpräsident Robert Fico ist zurück und gilt | |
> als Wahlfavorit. Er gilt vielen als ein prorussischer linker Orbán. | |
Bild: Robert Fico, früherer Regierungschef und Chef der linkspopulistischen Op… | |
Prag taz | Als Samstag früh um sieben die Wahllokale öffneten, war aus der | |
Slowakei ein Fall für den Arzt geworden: „Als Fachvereinigung der | |
Psychiater in der Slowakei fühlen wir das dringende Bedürfnis, uns zu den | |
kommenden Parlamentswahlen 2023 auszudrücken“, erklärt die „Slowakische | |
Gesellschaft für Psychiatrie in einem öffentlichen Appell an die „geehrten | |
Kollegen und geehrten Mitbürger“; überhaupt an die „bedeutendsten | |
menschlichen Werte: Wahrhaftigkeit, Offenheit, gesellschaftliche | |
Solidarität, Toleranz und Gewaltlosigkeit…“. Woran darbt die Slowakei? | |
Steckt sie in einer psychotischen Phase, in der Wahn und Wirklichkeit | |
ineinander aufgehen? Nur 15 Prozent der Slowaken betrachten die Slowakei | |
als eine funktionierende Demokratie, fand eine Umfrage des Central European | |
Digital Media Observatory. Stattdessen, so glauben 45 Prozent, die Wahlen | |
werden aus dem Ausland gelenkt, vornehmlich den USA oder der EU. | |
Einer Umfrage des slowakischen Think-Tanks Globsec vom März dieses Jahres | |
zufolge, machen 51 Prozent der Slowaken den Westen und die Ukraine für den | |
Ukrainekrieg verantwortlich. Neben dem Buhmann Westen steht das | |
Schreckgespenst illegale Migration: Auf der Balkanroute kamen in diesem | |
Jahr bislang schon mehr als doppelt soviel Migranten durch die Slowakei als | |
2022. Als die Kapazitäten im Sommer nicht ausreichten und einzelne | |
Notunterkünfte errichtet wurden, bekam der Wahlkampf sein heißes Thema. | |
Doch nicht der rechte Rand des Spektrums aus 25 Parteien, die sich in | |
diesen Wahlen um die 150 Sitze im slowakischen Nationalrat bemühen, hatte | |
das Thema bestimmt. Sondern Robert Fico. | |
Der 2018 geschasste Ex-Ministerpräsident ist zurück und gilt als | |
Wahlfavorit. Zum einen zehrt er aus dem Chaos, das die Regierungskoalition | |
aus Ein-Mann-Parteien ausmachte, die die Wahlen 2021 hervorgebracht hatte. | |
Persönliche Eitelkeiten und Mangel an Führungskompetenz wie Selbstreflexion | |
mündeten eineinhalb Jahre später in einer offenen Regierungskrise und dem | |
Ende der Koalition. | |
Dass diese vorgezogenen Wahlen bedingt sind durch die Unfähigkeit gewählter | |
Parteien und Hoffnungsträger, zu regieren, ist ein Geschenk für Fico, der | |
es immerhin schaffte, als Regierungschef mehrfach wiedergewählt zu werden. | |
Heute sei er aber ein anderer Mann, urteilt der Chefredakteur des | |
slowakischen Webportals Aktuality.sk. in seinem Buch „Fico- besessen von | |
Macht“. | |
Fico sei ein Machtmensch, angetrieben von Rachegelüsten. Der 59-Jährige | |
fühle sich, eigenen Worten nach, verraten von seinem politischen Ziehsohn | |
Petr Pellegrini (48). Als Kronprinz Ficos übernahm Pellegrini nach dessen | |
Rücktritt 2018 das Amt des Ministerpräsidenten, um 2020 seine eigene | |
Konkurrenzpartei zu Ficos Smer zu gründen: Hlas-sociálna demokracia | |
(Stimme-Sozialdemokratie) liegt mit 15 Prozent an dritter Stelle der | |
Wählerpräferenzen. | |
Als Mann mit Mission hat Fico seinen Wahlkampf auf Konspirationstheorien | |
gebaut, die fast die Hälfte der Slowaken kritiklos annehmen. Keine einzige | |
Munitionskugel werde er der Ukraine schicken, wenn er wieder | |
Ministerpräsident werde, rühmt sich Fico im Wahlkampf gerne öffentlich. | |
Gerne bedient er sich auch der Sprache Putins, zum Beispiel, wenn er die | |
Ukrainer als „Nazis und Faschisten“ beschimpft. | |
Präsidentin Zuzana Čaputová will sich die Kampfrhetorik Ficos nicht | |
gefallen lassen und hat ihn kurzerhand angezeigt. Mit besonderer Vorliebe | |
bezeichnet Fico die ehemalige Bürgerrechtsanwältin als „Agentin der USA“, | |
die ihre Anweisungen aus der US-Botschaft in Bratislava erhält oder | |
beschreibt sie als Marionette George Soroses. „Die Präsidentin sei nicht | |
verpflichtet, öffentlich eskalierendes Mobbing zu ertragen oder sich | |
beschuldigen zu lassen, gegen Verfassung und Gesetze zu verstoßen oder in | |
den Diensten einer anderen Macht zu stehen“, begründete Čaputovas Kanzlei | |
die rechtlichen Schritte. | |
„Wir appellieren an alle, Informationen gegenüber nicht naiv zu sein und | |
falsche oder irreführende Aussagen ohne Wahrheitsgehalt, die dem Zweck | |
dienen, suggestiv auf uns zu wirken, kritisch und rational zu betrachten“, | |
mahnen die slowakischen Psychiater in ihrem Aufruf. | |
Auch die slowakische Polizei will kritisches Denken in diesem Wahlkampf | |
fördern und versucht es mit Humor. Auf ihrer Facebook-Seite Hoaxy a podvody | |
(Hoax und Betrug) nimmt sie auf recht lustige Weise Fake-News auseinander, | |
die sich auf die Wahlen beziehen. Wie zum Beispiel die Traueranzeige für | |
Tomáš Hellebrandt. Der Kandidat der liberal-grünen Partei „Progressive | |
Slowakei“ sei Nebenwirkungen seiner Covid-Impfung erlegen und werde am 15. | |
September beerdigt, verbreitete sich im Netz. Da könne er leider nicht | |
kommen, da er anderswo auf Wahlveranstaltungen sei, reagierte Hellebrandt | |
gekonnt. Humor und Ironie haben sich im Kampf gegen Desinformation am | |
besten bewährt, meint auch David Puchovský, der hinter der | |
Facebook-Kampagne der slowakischen Polizei steht. | |
Wenn am Samstag Punkt 22 Uhr die Wahllokale schließen, ist jedenfalls | |
Zweierlei klar: um den Wahlsieg wird es ein Kopf-an-Kopf rennen geben | |
zwischen Fico/Smer und der Progressiven Slowakei (PS). Und es wird eine | |
Koalitionsregierung. Der PS wird ein niedriges Koalitionspotential | |
nachgesagt, weil sie dem klerikal-konservativen Wähler, dessen Einfluss in | |
Teilen des Landes stark ist, als progressives Schreckgespenst gilt. Für | |
viele junge Slowaken, die mit [1][Ficos prorussischer Rhetorik] und seiner | |
mafiösen Hofschranzenpolitik nichts anfangen können, ist sie ein | |
Hoffnungsträger. Doch wenn die Wahllokale schließen, beginnt für viele | |
Slowaken eine unruhige Nacht. Denn bis die Resultate am frühen | |
Sonntagmorgen stehen, kommt, auch in den Nachbarländern, die Angst, die vor | |
allem einen prorussischen Paradigmenwechsel fürchten, die Angst vor der | |
Hoffnung. | |
30 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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