# taz.de -- Volksinitiative „Bildung ohne Zwang“: Zwangloser Vokabeln lernen | |
> In Hamburg sammeln Eltern für eine Volksinitiative Unterschriften. Sie | |
> will das Lernen zu Hause und alternative Bildungsangebote ermöglichen. | |
Bild: Gibt es nach Corona in Deutschland kaum: Homeschooling | |
HAMBURG taz | In Hamburg gibt es gleich zwei Volksinitiativen, die sich | |
gegen Druck in der Schule wenden. Schon seit Juni sammelt die Elterngruppe | |
„G9 Hamburg“ Unterschriften für [1][die Abschaffung des Turbo-Abiturs an | |
Gymnasien] (taz berichtete). Bisher kaum beachtet, startete am 31. August | |
mit „[2][Zukunft lernen – Bildung ohne Zwang]“ eine zweite Volksinitiativ… | |
die dafür streitet, Kindern „alternative Lernwege zu öffnen“. | |
Die Initiative, die mit Ulrike Dockhorn und Gerd Kotoll von zwei Eltern | |
getragen wird, die bereits 2015 mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ | |
erfolgreich für mehr Ressourcen an Schulen kämpften, fasst ein heißes Eisen | |
an. Die Bürgerschaft soll, so heißt es in der Vorlage, Schüler auf Antrag | |
anstelle von „Schulanwesenheitspflicht“ alternative Bildungsangebote | |
genehmigen, „auch in Form von digitalem Fernunterricht“. | |
Das Homeschooling, das zu Pandemiezeiten einige Monate lang ganz normal | |
war, gilt in Deutschland sonst als No-Go, weil die Schulpflicht als | |
wichtige Errungenschaft gilt. | |
Ferner fordert die Initiative für eine „freie Bildungswahl“, dass Schüler | |
an staatlich anerkannten Privatschulen „finanziell und im Hinblick auf die | |
Erlangung von Abschlüssen“ gleichgestellt werden. Dort soll kein Schulgeld | |
mehr nötig sein und Abgänger sollen nicht mehr externe Prüfungen ablegen | |
müssen. Bis Ende Februar braucht die Volksinitiative 10.000 Unterschriften | |
von in Hamburg Wahlberechtigten, dann muss sich die Bürgerschaft damit | |
befassen. | |
## Kind soll Bildungsumfeld frei wählen, findet die Initiative | |
Man wolle „die Bedürfnisse der Lernenden“ ins Zentrum stellen, sagt Vater | |
Dirk Bleese, die dritte Vertrauensperson. Bildung gehöre „vom Kind her | |
gedacht“. Das setze die freie Wahl des Bildungsumfelds und „Abschaffung von | |
Zwang“ voraus. | |
Dazu muss man wissen: Hamburg hat seit 2005 mit dem „Schulzwang“ im | |
Schulgesetz und einer speziellen Handreichung sehr strenge Regeln zur | |
Schulanwesenheit. Zum Katalog gehören Bußgelder, Zwangsgelder, die | |
zwangsweise Zuführung eines Kindes zur Schule und sogar Jugendarrest und | |
Erzwingungshaft für Eltern. | |
Laut einer Linken-Anfrage ist Schulabsentismus ein größeres Problem, die | |
Schulbehörde verhängte demnach allein 2022 rund 1.500 Bußgelder, | |
vergangenes Schuljahr saßen Stand März 27 Schüler wegen Schulverweigerung | |
im Jugendarrest. | |
Auch darauf zielt die Initiative, die auf ihrer Homepage anonymisierte | |
Leidensberichte von Eltern aufführt. Denn trotz Anwesenheitszwang bringe | |
das System Schüler hervor, die nicht ausreichend lesen können, und | |
produziere soziale Ungerechtigkeit und Schulabbrecher. Versagensdruck, | |
Mobbing und Schulangst seien „regelmäßige Begleiter im schulischen Alltag�… | |
## Erklärung aus dem September wurde von Medien ignoriert | |
Die Initiative spricht von „Zwangsmaßnahmen wie Psychiatrisierung, | |
Herausnahme aus der Familie, Bußgelder und Beugehaft“. Diese förderten | |
weder die Bildung, noch verhinderten sie die gesellschaftliche Spaltung | |
oder häusliche Gewalt. Die Frage, ob ein Jahr mehr oder weniger Zeit am | |
Gymnasium sinnvoll ist, ziele am Kern des Problems vorbei, sagt Ulrike | |
Dockhorn. Es gehe darum, „wirkliches Lernen“ zu ermöglichen. | |
Ihre Presseerklärung vom 12. September wurde bisher von den Medien | |
ignoriert. Und die Schulbehörde sah sich in dieser Woche nicht in der Lage, | |
Stellung zu nehmen, ebenso die Grünen, wegen der Ferien. Die SPD-Fraktion | |
hat eine Haltung: Eine Lockerung der Schulanwesenheitspflicht sei „nicht | |
zielführend“, so ein Sprecher. | |
Die Pandemie habe die Bedeutung eines gemeinsamen Schulbesuchs | |
verdeutlicht. „Aufgabe von Schule ist nicht reine Wissensvermittlung. | |
Vielmehr finden dort wichtige Entwicklungsschritte der psychosozialen Reife | |
statt, die in alternativen Lehrangeboten nicht in adäquatem Maße | |
unterstützt werden können.“ Jugendarrest werde nur äußerst selten genutzt. | |
Die [3][Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus] hatte zu dem Thema | |
2018 eine Veranstaltung im Rathaus durchgeführt und sagt, sie sympathisiere | |
mit dem Anliegen, könne aber die Volksinitiative „nicht pauschal | |
unterstützen“. Die Linke hatte 2019 in einem alternativen | |
Schulgesetzentwurf den „Schulzwang“-Paragrafen gestrichen. | |
## Anliegen eigne sich nicht für Volksinitiative, sagt Boeddinghaus | |
„Wir brauchen Pädagogik statt Rohrstock“, sagt Boeddinghaus. Es sei | |
unzumutbar, Schulschwänzer in den Knast zu stecken. Gleichwohl setze sich | |
ihre Partei für die Verbesserung der staatlichen Schulen ein und nicht der | |
privaten. Das ganze Anliegen gehöre in Ruhe diskutiert, eigne sich aber | |
nicht für eine Volksinitiative. | |
Das Thema spreche vielen Menschen aus dem Herzen, vor allem Eltern, deren | |
Kinder nicht ins Schulsystem passten, sagt Sven Quiring vom Hamburger | |
Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Doch auch | |
er verweist auf die Coronazeit, die bei Schülern aus bildungsfernen | |
Familien zu weniger Lernfortschritten führte. „Wir sind dafür, die | |
Schulanwesenheitspflicht aufrechtzuerhalten“, sagt er. Gleichwohl spannend | |
sei, „dass Eltern sagen: Wir wollen über das Schulsystem reden“. | |
Dockhorn sagt, sie wollten nicht die Schulpflicht für alle abschaffen. Es | |
ginge darum, für die Schüler, für die die Schule schädlich ist, eine Option | |
zu schaffen. „In den Niederlanden nutzen 0,8 Prozent das Homeschooling. Ich | |
denke nicht, dass wir in Hamburg völlig andere Zahlen hätten.“ | |
Es gebe in vielen Familien Kinder mit Kopf- und Bauchschmerzen und | |
Konflikte ums Vokabellernen. Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung | |
glaubten 75 Prozent der Eltern nicht, dass ihre Kinder in der Schule | |
„lernen, was sie später zum Leben brauchen.“ Sie wünsche, dass sich mehr | |
Menschen darüber Gedanken machten, und „nicht im diffusen Unbehagen | |
einrichten“. | |
19 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Volksinitiative-in-Hamburg/!5937629 | |
[2] https://www.zukunft-lernen.hamburg/ | |
[3] /Linken-Politikerin-ueber-Schulpflicht/!5536268 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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