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# taz.de -- Schul-Lockdown in Hamburg: Kein Laptop? Bußgeld!
> Ein Schüler soll Bußgeld für Fehltage zahlen, an denen die Schulen
> bereits geschlossen waren. Fürs Onlinelernen hatte er nur ein Smartphone.
Bild: Kann Klassenzimmer, Lehrer, Mitschüler und die Tafel nicht ersetzen: ein…
Hamburg taz | „Business as usual“ scheint derzeit die Rechtsabteilung der
Hamburger Schulbehörde zu betreiben. So schrieb sie Anfang März Eltern
einen Brief zu einem „Bußgeldverfahren wegen Schulpflichtverletzung“. Sie
hätten eine Ordnungswidrigkeit begangen und es versäumt, für die Teilnahme
ihres Kindes am Unterricht zu sorgen. Sodann nennt die Behörde eine Liste
von Fehltagen, die bis in die dritte Januarwoche reicht. Bei einem Großteil
dieser Tage waren [1][die Schulen längst wegen des Lockdowns geschlossen].
Nun ist in Hamburg tatsächlich nur der Präsenzunterricht ausgesetzt. Das
heißt: Die Schule findet weiter statt, in den meisten Fällen per
Fernunterricht am Computer. Nur soll der betreffende Schüler nach
taz-Information weder Laptop noch Tablet besitzen, sondern nur ein
Smartphone, auf dem Lernprogramme wie Iserv schlecht laufen. Ein Leihgerät
der Schule bekam er nicht.
Hamburg hat zwar rund 62.000 Leihgeräte, doch ist das zu wenig bei über
200.000 Schülern. Weil das endlich erkannt wurde, dürfen seit einem
Behördenbrief vom 24. Februar die Schulen ihren Schülern eine
Bescheinigung ausstellen, mit der sie oder ihre Eltern – sofern sie
Sozialleistungen beziehen – beim Jobcenter 350 Euro für ein digitales
Endgerät beantragen können. Nur bezieht sich die Bußgeldandrohung im obigen
Fall, den wir aus Rücksicht auf das Kind anonymisieren, auf die Zeit davor.
Die taz fragte die Schulbehörde, wie oft es vorkam, dass seit Beginn des
Jahres 2021 Schulen bei der Rechtsabteilung einen Antrag auf Bußgeld wegen
Schulabsentismus stellten. Und wir fragten, wie oft die Behörde dann
tatsächlich so ein Bußgeld –das in der Regel bei 125 Euro beginnt – trotz
Lockdown verhängte.
## Über 800 Bußgelder im Jahr 2018
In der Antwort wich die Behörde aus. „Statistische Auswertungen“ dazu läg…
nicht vor. Sprecher Peter Albrecht erklärt, ein Bußgeld sei „immer nur
Ultima Ratio“ und stehe am Ende einer Kette von pädagogischen Maßnahmen.
Der „Distanzunterricht“ bestehe aus analogen und digitalen Teilen. Und mit
einem Webbrowser, der die Darstellung an die Bildschirmgröße anpasse, könne
man auch per Smartphone am Digitalunterricht teilnehmen.
Allerdings hat die Hamburger Schulbehörde solche Bußgelder, die bei
Nichtzahlung [2][sogar zu Arrest führen] können, schon in Nichtcoronazeiten
häufig verhängt, allein im Jahr 2018 an den Stadteilschulen 839-mal,
[3][wie eine Linken-Anfrage ergab]. Und in der aktuellen „[4][Handreichung
zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen]“ werden Schulen ermuntert, sie
sollten sich „nicht scheuen, die Unterstützung durch die Rechtsabteilung in
Anspruch zu nehmen“. Neben Bußgeld sei vom Gesetz her auch ein Zwangsgeld
oder zwangsweise Zuführung möglich. Der Einsatz dieser Instrumente könne
„jederzeit erfolgen“ und müsse „nicht unbedingt erst am Ende der
Eskalationsstufe stehen“.
Die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus sagt indes, ein Bußgeld
habe bei Schulabsentismus nichts mit klugem pädagogischen Handeln zu tun.
„Zu dieser restriktiven Maßnahme nun aber in Zeiten der Pandemie zu
greifen, zeugt davon, wie sehr die Bedürfnisse der jungen Menschen in
Wahrheit aus dem Blick geraten sind.“ Boeddinghaus will nun eine Anfrage
stellen, um zu erfahren, wie oft es im Lockdown Bußgeld gab.
„Absentismus ist gerade ein riesiges Problem“, sagt der Sozialarbeiter Yama
Waziri vom Verein „First Contact“. „Viele Schüler entwickeln einen ganz
anderen Rhythmus, sind nachts bis vier, fünf Uhr wach und schlafen bis
mittags.“ Gerade Kinder aus Unterkünften von Geflüchteten aber auch aus
anderen migrantischen Familien verlören den Anschluss und bräuchten
dringend Lernzeit. „Früher gab es sechs bis acht Stunden Schule am Tag. Das
können 90 Minuten Online-Unterricht nicht ersetzen.“
Wichtig sei deshalb aufsuchende Hilfe, sagt der Sozialarbeiter, der in
Quartieren wie Mümmelmannsberg arbeitet. Den Eltern Bußgeld anzudrohen,
ergebe keinen Sinn. „Viele Familien können keine 125 Euro bezahlen“, sagt
Waziri. „Sie sind nicht in der Lage, ihren Kindern den Zugang zum digitalen
Lernen zu ermöglichen und können das Problem gar nicht alleine lösen.“
19 Mar 2021
## LINKS
[1] /Laengerer-Lockdown-in-Hamburg/!5737047
[2] /Petition-gegen-das-Wegsperren/!5551206/
[3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/67631/schulabsentismus_in_…
[4] https://www.hamburg.de/contentblob/64418/0588f6f979ac80c3f84e5b77030cec53/d…
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Schule und Corona
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