| # taz.de -- Kinder und mobile Endgeräte: Absetzbewegung gegen die Eltern | |
| > Komische Zeiten: Die Eltern hängen wegen der Weltlage am Handy, während | |
| > die Kinder plötzlich wieder backen. Aber keine Bücher sind auch keine | |
| > Option. | |
| Bild: Yoda Figur, sauber im Regal platziert | |
| Spätestens, als wir am Morgen entdeckten, dass sich der fast Zwölfjährige | |
| nachts in die Küche geschlichen hatte, um sich vom Küchentisch das iPad zu | |
| holen, um im Bett zu zocken, woraufhin er morgens mit dunklen Ringen unter | |
| den Augen herumsaß – also spätestens da beschlossen wir: Das muss | |
| aufhören. | |
| Was hatten wir nicht alles versucht: Bildschirmzeiten eingerichtet, | |
| tägliche Mediennutzungszeiten festgelegt und gerätefreie Stunden ausgerufen | |
| – die wir freilich selbst dauernd unterliefen, weil ja ohne Handy nichts | |
| mehr geht. Also hieß es: Die Dinger kommen weg. Die 14-Jährige, deren | |
| Medienkonsum auch aus dem Ruder gelaufen war, darf morgens und abends ein | |
| paar Nachrichten beantworten, ansonsten liegen jetzt zwei Handys und zwei | |
| Tablets gut verwahrt an sicheren Orten. | |
| Und, ganz ehrlich, am liebsten hätte ich mich manchmal dem Medienverzicht | |
| angeschlossen [1][in dieser grauenhaften Nachrichtenwoche]. Aber ich gehöre | |
| nicht zu den Leuten, die beschließen können, dass es sie nichts angeht, | |
| wenn in Israel Menschen aus ihren Häusern geschleppt oder in der Wüste | |
| massakriert werden. Wie kann es mich auch nichts angehen, dass Menschen, | |
| die ich kenne und mag, vor Entsetzen gelähmt auf ihr Handy starren, weil | |
| sie wen kennen, der auf dem Musikfestival war. Oder weil ihre | |
| Schwiegereltern in Gaza eingesperrt sind. | |
| Öfter als sonst fragte ich mich diese Woche, wie man die viel gepriesene | |
| „Distanz“ wahren soll – und die Tatkraft aufbringen, jedem neuen | |
| niederschmetternden Nachrichtentag wieder mit Berichten, Analysen und | |
| Kommentaren zu begegnen. Das Mental-Health-Institut Dart Center Europe | |
| beobachtet sich häufende Fälle von Burn-outs und Depressionen in der | |
| Medienbranche. | |
| ## Apokalypse | |
| Auch ich habe mich gefragt, wie gut es dem Kollegen vom Tagesspiegel geht, | |
| der einen apokalyptischen Kommentar darüber geschrieben hat, dass Iran und | |
| Russland planvoll Gewalt säen und von [2][Butscha] bis Aschkelon, von | |
| Alexandria bis Pristina Tote produzieren – um „den Westen zu | |
| destabilisieren“. Alles hat ein finsteres System, das klingt schon etwas | |
| besorgniserregend. Dass der Kommentator recht haben könnte, das ist für | |
| meinen kleinen Seelenhaushalt schlicht zu viel. | |
| Jedenfalls führte erhöhter Nachrichtenkonsum auf der einen und | |
| Medienabstinenz auf der anderen Seite in unserem Haushalt zu einer | |
| interessanten Asymmetrie. Während die sonst so diskussionsfreudigen Eltern | |
| schweigsam wurden, lief der sonst vor Bildschirmen dämmernde Nachwuchs zur | |
| Hochform auf. Es wurde gebacken und gespielt, sogar einen Theaterbesuch gab | |
| es. Okay, die Schattenseite war eine eingesaute Küche und das pädagogische | |
| Ringen darum, dass zur Backorgie auch das Saubermachen gehört. Aber | |
| geschenkt. | |
| ## Nur noch Mangas und Basketball | |
| Bemerkenswert war, dass das Kind, dessen Suchtverhalten unsere hilflosen | |
| Maßnahmen hervorgerufen hatte, schon nach einem Tag nicht mehr nach dem | |
| eckigen Entertainment verlangte. Allerdings tauchten Mitte der Woche immer | |
| mehr Kindersachen in unserem Flur auf. Erst Spiele und Sachbücher. Dann | |
| Abenteuergeschichten, Fantasybände und Klassiker, gefolgt von Comics und | |
| Zeitschriften. | |
| Im Regal blieben ein paar Mangas und ein Atlas. Mehr brauche ich nicht, | |
| erklärte der Sohn. In die leeren Fächer drapierte er wenige Objekte wie | |
| Preziosen: den Basketball, [3][eine Yoda-Figur], eine Musikbox. Und einen | |
| umwerfend hässlichen XXL-Plastiktrinkbecher mit Farbverlauf. Man musste | |
| keine Psychologin sein, um zu erkennen, dass das eine Absetzbewegung gegen | |
| die Bücher hortenden Eltern ist. Gesund, bestimmt, aber der Anblick des | |
| nackten weißen Bücherregals ging mir trotzdem ans Herz. | |
| Stapelweise wird seither der Berg seiner Kindheit abgetragen und von | |
| glücklichen Müttern aus dem Bekanntenkreis und Leseratten aus der | |
| Nachbarschaft übernommen. Inzwischen hat der fast Zwölfjährige ein hübsches | |
| Sümmchen verdient. Was er damit vorhabe, fragte ich neulich. Er spare auf | |
| einen PC, ließ er wissen, mit „krasser Grafikkarte“ und beleuchtetem | |
| Gaming-Keyboard. | |
| 15 Oct 2023 | |
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| [2] /Kriegstote-in-der-Ukraine/!5958764 | |
| [3] https://www.jedipedia.net/wiki/Yoda | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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