| # taz.de -- Das Eigenheim als Horror: Stephen King in Bremervörde | |
| > Junge Familien bauen lassen und dann wird alles gut? Na ja: Eigenheime | |
| > stehen nach einigen Jahren oft leer und taugen höchstens als | |
| > Horror-Kulisse. | |
| Bild: Eigenheime eignen sich besonders gut als Horror-Kulisse | |
| Was Friedrich Merz alles so von sich gibt (diese Woche sinngemäß: D[1][ie | |
| Ausländer nehmen den Deutschen die Zahnarzttermine weg]), das wundert einen | |
| nicht mehr. Wer noch glaubt, dass das alles Ausrutscher sind, der glaubt | |
| auch, dass aus Björn Höcke noch ein Seenotretter wird. | |
| Was mich in dieser Woche aber gewundert hat – entschuldigen Sie den | |
| thematischen Bruch –, ist die ständige Überhöhung des deutschen | |
| Einfamilienhauses. Jetzt soll das Eigenheim, wie es auch niedlich heißt, | |
| die Wohnungskrise lösen: Im Kanzleramt gab es diese Woche [2][den | |
| „Wohnungsgipfel“], und jetzt will Bauministerin Klara Geywitz durch | |
| günstige Baukredite mehr Familien dazu bringen, ein Haus zu besitzen. Die | |
| „jungen Familien“, wie sie immer sagt, sollen mit der Wohnungssuche | |
| aufhören und einfach selbst bauen, und schwups, dann wird alles gut. | |
| Ich habe da meine Zweifel. Wenn ich durch die sehr stillen westdeutschen | |
| Einfamilienhaussiedlungen der 70er und 80er Jahre spazieren gehe – hat | |
| nicht jeder ein skurriles Hobby? –, dann habe ich immer das Gefühl, dass | |
| gleich Hanns-Martin Schleyer um die Ecke biegt und ein RAF-Kommando aus dem | |
| Buchsbaum springt. Diese inzwischen ziemlich verwitterten Siedlungen wirken | |
| recht verloren. Damals dachten die stolzen Bauherren und -damen der | |
| Nachkriegsgeneration, dass die Kinder im Haus bleiben oder später wieder | |
| einziehen. Nur leider wollten die erwachsenen Kinder nicht in Alfter bei | |
| Bonn oder in Bremervörde wohnen, sondern in Köln-Ehrenfeld oder | |
| Hamburg-Altona. Die Bodenständigen bleiben im Ort, bauen aber lieber | |
| selbst. | |
| Die emotionale Rechnung („ein Heim für unsere Familie“) geht meistens nicht | |
| auf: Wenn das Haus endlich bezugsfertig ist, ist das größte Kind der | |
| heterosexuellen Normfamilie bereits ungefähr zehn Jahre alt. Es folgt der | |
| Stress mit dem Garten, der auch endlich mal hergerichtet werden soll, und | |
| dann steigen leider auch noch die Zinsen. Eigentlich bleiben nur wenige | |
| Jahre, in denen ein Haus als Familie genutzt wird. | |
| ## Öltanks mit Platz für eine Leiche | |
| Wetten, dass in diesen Häusern sehr viele ehemalige Kinderzimmer leer | |
| stehen, wo jetzt höchstens das Bügeleisen der alt gewordenen Eltern | |
| aufgestellt ist? Es gibt abseits der Innenstädte genug Zimmer, also | |
| Wohnfläche, nur eben leider nicht genug Wohnungen mit einer Tür zum | |
| Abschließen. Eine ziemliche Fehlplanung, das alles. Einfamilienhäuser regen | |
| aber, immerhin, Horrorfantasien an: die vielen Fenster, durch die man von | |
| allen Seiten beobachtet werden kann; die soziale Kontrolle – man kennt | |
| sich; der riesige Öltank im Keller älterer Häuser, in dem auch eine Leiche | |
| schwimmen könnte, theoretisch natürlich nur; die Mülltonnen, die wie stumme | |
| Wächter an der Straße stehen, donnerstags ist Plastik dran, freitags der | |
| Restmüll. | |
| Den Zusammenhang zwischen Haus und Horror kennt wie kein Zweiter der | |
| Bestsellerautor Stephen King, dessen [3][neuer Roman in dieser Woche auf | |
| den Markt] gekommen ist. Ohne das Motiv Haus würden viele seiner Romane | |
| nicht funktionieren. Oder hätte die scheinbare Idealfamilie in „Friedhof | |
| der Kuscheltiere“ etwa in einer Mietwohnung in der Stadt wohnen können? Die | |
| Handlung seines neuen Romans habe ich noch nicht ganz verstanden, aber auf | |
| dem Cover prangt natürlich – ein Einfamilienhaus. | |
| King, inzwischen 76, macht einfach immer weiter. Immer weiter macht auch | |
| sein Landsmann, Ex-Präsident Jimmy Carter, der am Wochenende 99 Jahre alt | |
| wird. Diese Woche wurde er, der ganz früher eine Erdnussfarm besaß, auf | |
| einem „Erdnussfestival“ in Georgia gesichtet. Im Frühjahr hatten Medien, | |
| [4][auch die taz], irrigerweise gemeldet, dass Carter im Sterben liege. | |
| Ich finde, man sollte konsequent sein und Nachrufe von alten Prominenten zu | |
| Lebzeiten veröffentlichen. Pietätlos? Nein, eine Win-win-Situation: Der | |
| noch nicht Gestorbene kann über die Nachrufe schmunzeln und auf eventuelle | |
| Fehler hinweisen. Und die Fangemeinde kann sich damit trösten, dass das | |
| Idol noch lebt. Eines würde ich aber schon ganz gern bald lesen: den – | |
| politischen – Nachruf auf Friedrich Merz. | |
| 30 Sep 2023 | |
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| [1] /Asyl-Aussage-von-CDU-Chef/!5963129 | |
| [2] /Ampel-Plaene-gegen-Wohnungsnot/!5959681 | |
| [3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/hol… | |
| [4] /Ex-US-Praesident-Jimmy-Carter/!5916905 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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