# taz.de -- Routine-Nachrufe auf Jimmy Carter: Der verkannte Revolutionär | |
> Der Tod des Ex-Präsidenten wird in den Medien eher formelhaft | |
> abgehandelt. Dabei hat er gerade jenseits der großen Schlagzeilen | |
> Bleibendes geleistet. | |
Bild: Er hat nicht nur Frieden zwischen Israel und Ägypten gestiftet: US-Präs… | |
Die Welt hat ein schlechtes Gedächtnis. Mit Jimmy Carter ist ein | |
US-Präsident gestorben, der Geschichte schrieb – und in den Medien sind | |
pflichtschuldige Nachrufe zu lesen, denen anzumerken ist, dass sie schon | |
ziemlich lange herumlagen oder schnell aus Wikipedia zusammengebastelt | |
wurden ([1][eine rühmliche Ausnahme ist der wirklich tolle Nachruf des | |
Kollegen Stefan Schaaf in der taz]). | |
Jimmy Carter, heißt es jetzt grob zusammengefasst, war kein großer | |
Präsident, weil die Amerikaner Ende der siebziger Jahre an den Tankstellen | |
Schlange standen und die Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran viel zu | |
lange dauerte. Eher routinehaft wird auf der Habenseite eingeräumt, dass | |
Jimmy Carter durch Beharrlichkeit zwischen den Kriegsparteien Ägypten und | |
Israel Frieden stiftete und Israel zur Rückgabe der Sinai-Halbinsel bewog. | |
Aber Geschichte schrieb der bescheidene Mann aus Georgia auch und gerade | |
durch scheinbar unspektakuläre Schritte mit großer Wirkkraft. Carter war | |
der erste US-Präsident, der den AfroamerikanerInnen wirklich zuhörte. Er | |
setzte das fort, was John F. Kennedy nur andeuten konnte. So machte er den | |
schwarzen Bürgerrechtler Andrew Young zum Botschafter bei den Vereinten | |
Nationen – keine zehn Jahre zuvor wurden AfroamerikanerInnen noch von der | |
Polizei durch die Südstaaten-Städte geprügelt. Er gründete gegen großen | |
Widerstand der Bundesstaaten ein nationales Bildungsministerium und setzte | |
bildungspolitische Maßstäbe. Er nahm die Umweltpolitik ernst. | |
Auf kulturellen Gebiet wagte er für einen US-Präsidenten geradezu | |
Revolutionäres – er lud die Vertreter der Gegenkultur regelmäßig ins Weiße | |
Haus ein: Bob Dylan, [2][Willie Nelson], die Allman Brothers Band. Das war | |
mutig in einer Zeit, als höchstens mal Frank Sinatra im Weißen Haus | |
auftauchte und Willie Nelson der Mehrheitsgesellschaft als verlotterter | |
Hippie galt. | |
Es war wohl das Schicksal von Carter, dass seine Präsidentschaft nur vier | |
Jahre dauerte und die Erinnerung an diese Zeit verblasst ist. Die Welt hat | |
ein schlechtes Gedächtnis. | |
1 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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