| # taz.de -- Gamingsucht bei Jugendlichen: Lasst die Kinder drinnen spielen! | |
| > Glaubt man WHO-Kriterien, war unsere Kolumnistin mit 13 gamingsüchtig. | |
| > Kein Wunder, wenn jungen Menschen immer mehr öffentliche Räume genommen | |
| > werden. | |
| Bild: Wie lang und oft man zockt, hängt auch davon ab, welche Alternativen es … | |
| Das Beste am Skiurlaub waren die Nächte. Ich hatte nämlich ein Zimmer für | |
| mich, und abends kam eine Freundin zu mir geschlichen, die auch „Harvest | |
| Moon DS“ gezockt hat. Bis vier Uhr morgens lagen wir im Bett, die Köpfe | |
| dicht über unseren Nintendo DS, und ratschten semi-aggressiv mit dem Stift | |
| über das Touchpad, um die Kühe zu streicheln. | |
| Ich war 13 und spielsüchtig. „Harvest Moon“ war mein neues Grundbedürfnis, | |
| Schlaf vergleichsweise egal. Wenn ich mir vorgenommen hatte, nicht zu | |
| zocken, konnte ich nie widerstehen. Wenn mein Vater mich abends fragte, wie | |
| viel ich heute gespielt hatte, log ich. Wenn er drohte, mir den Nintendo | |
| wegzunehmen, weinte ich. Während ich auf meinen Skiern den Berg | |
| runterpeste, konnte ich nur an meine Level-8-Erdbeeren denken. | |
| Damit erfüllte ich fünf der neun Kriterien, die laut der American | |
| Psychiatric Association einen „Internet Gaming Disorder“, also eine | |
| Videospielsucht, ausmachen. Für [1][eine Studie] wurden rund 83.000 | |
| Schüler:innen aus dreizehn Ländern zu Videospielen befragt. Insgesamt | |
| zockten ganze 68 Prozent, und jede fünfte Person mehr als vier Stunden am | |
| Stück. Als problematisch klassifizierten die Forschenden, wenn die | |
| Schüler:innen zumindest fünf der neun Sucht-Kriterien der WHO erfüllten. | |
| Auf 12 Prozent der Befragten traf das zu – wie bei meinem 13-jährigen | |
| Selbst. | |
| Der Politik empfehlen die Forscher:innen, den [2][Zugang zu | |
| Online-Aktivitäten für junge Menschen zu regulieren]. Kontrolle, diesen Weg | |
| sind meine Eltern damals auch gegangen. Sie hatten Angst, ich verpasse das | |
| „richtige“ Leben, wenn ich so viel zocke. Aber für mich war Gaming etwas | |
| „Richtiges“. Meine Farm, meine Sims, meine Pferde – zu allem hatte ich ei… | |
| emotionale Bindung. | |
| ## Analoge, lebenswerte Räume finanzieren! | |
| Klar, Videospiele waren auch eine Form von Weltflucht: in emotional | |
| stressigen Zeiten oder im Urlaub, wenn meine Freund:innen und Routine | |
| weit weg waren. So wie Versuchsratten aufhören, Heroin-Überdosen zu | |
| trinken, wenn man sie unter artgerechten Bedingungen hält, lösen sich | |
| Jugendliche leichter vom Bildschirm, wenn es um sie herum andere Dinge | |
| gibt, die sie begeistern. | |
| [3][Nicht erst seit der Coronapandemie müssen junge Menschen ihre Freiräume | |
| jedoch im eigenen Zuhause suchen]. Der öffentliche Raum wird privatisiert, | |
| Jugendclubs schließen und Straßen werden breiter. Wer nicht um die einzige | |
| Tischtennisplatte im Block kämpfen will, zockt halt zu Hause. Damit | |
| Jugendliche keine Spielsucht entwickeln, müsste die Regierung analoge, | |
| lebenswerte Räume für sie finanzieren. | |
| Eltern haben kaum Einfluss auf den öffentlichen Raum. Sie können dafür | |
| innerhalb des Haushalts Freiräume schaffen. In meiner Familie haben wir | |
| irgendwann mit klaren Regeln Kompromisse gefunden, zum Beispiel: zuerst | |
| Hausaufgaben, dann Gaming. Wichtig waren aber auch Ausnahmen. Ich wollte, | |
| dass meine Bedürfnisse bezogen auf die Spiele gesehen werden. Nur noch ein | |
| Versuch für das Level! Nur noch diese eine Kuh streicheln! Dann war ich | |
| zufrieden. | |
| 6 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://iris.who.int/handle/10665/378982 | |
| [2] /Social-Media-Verbot-fuer-Teenager/!6032775 | |
| [3] /Verdraengung-der-Jugend/!5944173 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexandra Hilpert | |
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