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# taz.de -- Japanische Sängerin Umeko Ando: Bukolische Anmutung
> Die 2004 verstorbene japanische Sängerin Umeko Ando hat das Vermächtnis
> der ethnischen Minderheit Ainu in Musik gefasst – und wird nun neu
> entdeckt.
Bild: Umeko Ando (vorne) unterwegs
Ainu nennt sich eine Bevölkerungsgruppe, die auf der nördlichen japanischen
Insel Hokkaido beheimatet ist – und früher zudem auf der russischen
Inselkette der Kurilen lebte, wo sie inzwischen ausgestorben sind. Lange
wurden Ainu, die über keine Schriftsprache verfügen und Traditionen
ausschließlich auf mündlichem Weg weitergeben, unterdrückt.
Sie standen unter hohem Assimilierungsdruck, verfolgte Japan doch bis in
die jüngste Vergangenheit die Doktrin, ein ethnisch homogener Staat zu
sein. Erst 2008 verabschiedete das Parlament in Tokio eine Resolution, in
der die Ainu erstmals als kulturell eigenständiges indigenes Volk anerkannt
wurden – was die Diskriminierung allerdings nicht beendete. Nur wenige der
Menschen, die sich heute offiziell Ainu nennen, sprechen noch die Sprache.
Und die von vielen als unzureichend empfundenen Bemühungen zur Bewahrung
ihrer Kultur tragen nur langsam Früchte.
Diese Geschichte von Unterdrückung und sich daraus ergebenden Verwerfungen
hört man dem zweiten Album „Upopo Sanke“ (2000) der Ainu-Folksängerin Ume…
Ando jedoch keineswegs an. Es wurde dankenswerterweise gerade vom
Elektroniklabel Pingipung wiederveröffentlicht. In ihrer so verspielt wie
warm und luftig klingenden Musik zeigt sich die Künstlerin ganz und gar zu
Hause in ihrer Kultur. Andos bisweilen mantraartiger Gesang schwingt im
Einklang mit ihren musikalischen Traditionen.
Anerkennung für ihr Musikschaffen bekam sie außerhalb ihrer Community erst
ganz spät im Leben. Als ihr Debütalbum „Ihunke“ (2000) erschien, das
seinerzeit von der Kritik gefeiert und bereits 2018 wiederveröffentlicht
wurde, war sie bereits 68 Jahre alt.
## Wenn kein Traktor lärmte
Auf diesem ersten Album stand vor allem ihr zarter und zugleich
eigenwilliger Gesang im Fokus. Der Nachfolger „Upopo Sanke“ – der Titel
bedeutet „Lasst uns ein Lied singen“ – hat dagegen die Anmutung einer
ausgelassenen und zugleich tiefenentspannten Jamsession. Im Sommer 2000 auf
einer Farm aufgenommen – eingespielt in den Pausen, in denen gerade kein
Traktor lärmte –, wurde es drei Jahre später erstmals veröffentlicht und
hat eine flirrend sommerliche, bukolische Anmutung.
Der wunderbar einprägsame Auftakt „Chorakkun“ setzte mit
Call-Response-Mustern den Rahmen – und stellt eine Einladung zum Tanzen
dar. In den Linernotes erinnert sich Ando an die Entstehung der Aufnahmen
und die Vorgeschichte einiger Stücke: „Wenn viele Ainu zusammenkommen,
freut man sich besonders an den Rhythmen aus anderen Regionen.“ Im subtil
groovenden Stück „Iuta Upooppo“ schleicht sich dagegen eher unvermittelt
Kehlkopfgesang ein, bei dem man sich nach Zentralasien versetzt fühlt.
[1][„Upopo Sanke“] ist ein heimeliges Album voll mit Loops, Chants und
eigenwilligen Instrumentals. Auch die kubanische Batá-Trommel kommt zum
Einsatz – wozu Ando in den Linernotes verrät: „Das Wesen der Ainu-Musik
besteht darin, zu improvisieren und Dinge zu verändern“ – was sich auch als
Reaktion darauf verstehen lässt, mit der Traditionspflege immer unter dem
Radar segeln zu müssen.
## Mitsummen und Tanzen
Unterstützt wird Ando zudem von der Frauen-Gesangsgruppe Marewrew, von
Perkussionisten und eben besagtem Sänger, der neben dem Kehlkopfgesang auch
rhythmisch akzentuierende Shouts beisteuert. Es sind vielschichtige
Klangwelten, die dennoch wie aus einem Guss klingen. Sie animieren zum
versunkenen Mitsummen ebenso wie auch zum überbordenden Tanzen – ein
bemerkenswerter Spagat.
Zentral für den Sound des Albums ist vor allem der Input von [2][Oki Kano],
der die Tonkori, ein traditionelles Saiteninstrument der Ainu spielt. Ein
Jahr vor den Aufnahmen hatte er überhaupt erst dazu beigetragen, Umeko Ando
einem breiterem Publikum bekannt zu machen, indem er sie in sein zweites
Album „Hankapuy“ (1999) involvierte.
Kanos Biografie ist exemplarisch insofern, weil der heute 66-Jährige erst
als Erwachsener von seinen Ainu-Vorfahren erfuhr. Nachdem er einige Jahre
in der US-Filmindustrie gearbeitet hatte, schenkte ihm nach seiner Rückkehr
jemand eine Tonkori. Das Spielen auf dem traditionellen Instrument brachte
er sich selbst bei – und verband fortan einen traditionellen Ainu-Sound auf
eklektizistische Weise mit seinen sonstigen Vorlieben: Dub und Reggae etwa.
Seine Oki Dub Ainu Band hat entsprechend viel Popappeal und brachte ihn
auf Festivalbühnen in aller Welt.
Sein Beitrag für Umeko Andos zweites Album klingt jedoch weitaus
traditioneller als der Solooutput. 2004, ein Jahr nach Veröffentlichung von
„Upopo Sanke“, starb Ando an Krebs. Ihr zweites Album wurde zum Vermächtnis
– und ist zugleich ein Meilenstein für die unterdrückte Ainu-Kultur.
7 Oct 2023
## LINKS
[1] https://umekoando.bandcamp.com/album/upopo-sanke
[2] /Culture-Clash-im-Indischen-Ozean/!5511937
## AUTOREN
Stephanie Grimm
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