# taz.de -- Rückgabe von tätowierten Māori-Köpfen: Zwei Köpfe für ein Gew… | |
> Sie waren begehrte Objekte für private Sammler und Institutionen: | |
> tätowierte Köpfe der neuseeländischen Māori. Immer mehr Toi Moko gelangen | |
> zurück. | |
Bild: Kisten mit menschlichen Überresten von Maori werden während einer Rück… | |
Te Urutahi singt. Es sind weinerliche Töne, von Trauer untermalt, aber auch | |
von Hoffnung getragen. Im Schatten des Berges Taranaki im Süden der | |
neuseeländischen Nordinsel erinnert sich die Māori-Frau ihrer Ahnen. | |
Urutahi gehört zu einer wachsenden Zahl erster NeuseeländerInnen, die ihre | |
Kultur auf traditionelle Art und Weise ehren: mit einem Tā Moko, einer | |
Gesichtstätowierung. | |
Blauschwarze Spiralen und Striche des Tattoos ziehen sich von ihrem Kinn | |
zur Unterlippe. Die symmetrisch angeordneten Symbole zeigen Urutahis Rang | |
in der Familie, und ihre Herkunft in Aotearoa – so heißt Neuseeland in der | |
Sprache der Māori. Sie trage ihre Tätowierung „mit Stolz, Ehre und | |
Verantwortung“, sagt die Frau. | |
So grotesk und makaber es heute klingt: Noch vor nicht allzu langer Zeit | |
hätte Gefahr bestanden, dass der Kopf von Te Urutahi nach ihrem Tod in | |
Europa oder den USA in einer privaten Sammlung landet oder einem Museum. | |
Sammler waren bereit, hohe Summen zu bezahlen, um an einen mit einem Tattoo | |
verzierten Kopf zu kommen – einen sogenannten Toi Moko. | |
[1][Die Praxis des Tätowierens] war vor Beginn der europäischen | |
Kolonialisierung in Teilen des Pazifiks und in Neuseeland weit verbreitet. | |
Laut der Archäologin Donna Yates von der Maastricht-Universität war ein Tā | |
Moko „ein höchst persönliches und heiliges Zeichen des Ranges“. In der | |
Kultur der Māori und der Moriori, den Bewohnern der zu Neuseeland | |
gehörenden Chatham-Inseln, gilt das Haupt als heiligstes Körperteil. | |
## Gesichtstätowierung heißt Tā Moko | |
Die komplizierte Musterung eines Gesichtsmokos sei „vergleichbar mit | |
Fingerabdrücken: Individuen waren anhand ihres Mokos identifizierbar, auch | |
nach dem Tod“, schreibt Yates. Während der männliche Moko in der Regel | |
einen Großteil des Gesichts bedeckte, konzentrierte sich der weibliche Moko | |
normalerweise auf die Lippen und das Kinn. Die Prozedur, traditionell mit | |
aus Bambus geschnittenem Werkzeug, ist äußerst schmerzhaft. Je nach Größe | |
und Komplexität kann es Jahre dauern, bis ein Tā Moko fertig ist. | |
An Köpfen fehlte es laut historischen Quellen nicht: Māori waren | |
kriegerische Völker. Stämme standen regelmäßig in blutigem Konflikt | |
miteinander. In der Regel ging es bei den Kriegen um Landbesitz und um | |
natürliche Ressourcen wie Jagd- und Fischgründe. „Nach dem Ende einer | |
Schlacht gehörte es vielerorts zur Tradition, den Besiegten den Kopf | |
abzuschneiden“, sagt Te Herekiekie Herewini im Gespräch mit der taz. | |
Laut dem Chef der Gruppe für die Repatriierung von Kulturgütern am | |
neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa in Wellington wurden die Häupter | |
geräuchert und in der Sonne getrocknet und als Kriegstrophäen zur Schau | |
gestellt – „als Zeichen des Spottes“. | |
## Ehrung der Toten | |
Aber auch die Köpfe wichtiger Familienangehöriger seien auf diese Art | |
konserviert worden. Der mit Haut überzogene Schädel wies noch die | |
Tätowierung auf, die eine Identifizierung als Individuum ermöglichte. Damit | |
konnte ein Verstorbener Mitglied seiner Gemeinschaft bleiben. „Es war eine | |
Form der Ehrung des Toten“, so Herewini, „eine Form des Respekts“. | |
Die Köpfe hatten aber auch eine andere Funktion: Sie waren Handelsobjekte. | |
Nicht nur im Austausch zwischen verschiedenen Māori-Stämmen. „Genauso wie | |
Kulturgüter wie Schnitzereien aus Jade oder Holz oder fein geflochtene | |
Gewänder und Netze waren sie eine heiß begehrte Sammlerware für Europäer | |
und Nordamerikaner“, erklärt Herewini. „Schon im Jahr 1769 mit der Ankunft | |
von Kapitän James Cook, also dem ersten Europäer, der seinen Fuß auf | |
unseren Boden setzte, begann der Handel mit Toi Moko“, so Herewini. | |
Die mumifizierten Köpfe seien Beispiele für die damals als exotisch und | |
mysteriös empfundene Kultur der ersten Völker Neuseelands gewesen. Aber | |
auch Gebeine waren begehrt. Wissenschaftler in verschiedenen Ländern | |
nutzten Knochen verstorbener Māori zum Studium. Toi Moko dagegen seien „als | |
Kuriosität gesammelt und an Königshäuser verkauft worden“, sagt Herewini. | |
Dort seien sie in Schränke gestellt und staunenden Gästen zugänglich | |
gemacht worden, „als Konversationsanreger“. | |
Laut der Archäologin Donna Yates hatte der Verkauf von Toi Moko an die | |
Besucher vom anderen Ende der Welt auch wirtschaftliche Gründe. Māori | |
hätten so Munition und Waffen erwerben können, die sie zum Schutz ihres | |
Stammes benötigten. Es wird geschätzt, dass bis 1831 Hunderte von Köpfen | |
exportiert wurden. | |
## Große Nachfrage nach Gebeinen | |
Die europäische Nachfrage nach Toi Moko sei laut Yates so groß gewesen, | |
„dass es Berichte über Sklaven gibt, die nach ihrem Tod tätowiert wurden, | |
um Köpfe für den kommerziellen Verkauf herzustellen, was zu tätowierten | |
Köpfen führte, die mit ikonografischen Fehlern übersät waren“, so Yates. | |
Das Interesse ging so weit, dass selbst die Knochen führender Personen | |
ihren Gruften entnommen wurden. | |
„Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde noch damit | |
gehandelt“, räumt Herewini ein. Viele Überreste seien gestohlen worden. | |
„Die Familien dieser Verstorbenen waren nicht damit einverstanden, dass sie | |
ins Ausland gebracht werden. Es war ein sehr dunkles Kapitel in der | |
Geschichte unseres Landes.“ | |
Ein Kapitel, mit dem sich Neuseeland erst 2003 ernsthaft zu befassen | |
begann. Seither sei es die Rolle seines Teams, „diese Überreste | |
heimzubringen“, erklärt Herewini. Seine Fahnder fanden Hinweise darauf, | |
dass zwischen 1769 bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts über | |
1.300 sterbliche Überreste ins Ausland verschickt worden waren. „Bis heute | |
haben wir rund 900 davon repatriiert“, sagt Herewini, aus Ländern wie | |
Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA. | |
Die Gruppe habe einen „sehr methodischen Zugang“, um eine Rückführung | |
einzuleiten. „Wir schreiben erst mal einen Brief, in dem wir erklären, wer | |
wir sind.“ Daraus ergebe sich in der Regel ein Austausch mit der | |
Institution im Ausland, der nach teilweise jahrelangen Verhandlungen im | |
Idealfall mit einer Rückführung endet. „Als wir mit den ersten | |
Repatriierungen begannen, stießen wir auf Widerstand. Heute aber sind die | |
meisten Museen einer Rückführung gegenüber positiv eingestellt.“ | |
## Deutsche Institutionen geben Objekte zurück | |
Das habe stark mit dem Generationswechsel in den Institutionen zu tun, | |
glaubt Herewini. „Die alten MuseeumsdirektorInnen und -kuratorInnen hatten | |
ein anderes Verständnis gegenüber der Wichtigkeit und Bedeutung der | |
Rückführung von indigenen Sammlerobjekten.“ Jüngere Verantwortliche in den | |
Museen seien „sehr viel offener“. So haben in den letzten Jahren auch | |
mehrere deutsche Institute Objekte zurückgegeben, vom [2][Linden Museum in | |
Stuttgart] über die Staatliche Ethnografische Sammlung Sachsen bis hin zur | |
Berliner Charité. | |
Eine Repatriierung ist ein langwieriger, aufwändiger, schließlich aber auch | |
feierlicher Anlass. „Wir haben das Glück, dass uns die neuseeländische | |
Regierung großzügig unterstützt“, sagt Herewini. Ein Team von | |
Māori-ExpertInnen fliegt dazu ins Geberland und koordiniert gemeinsam mit | |
den KuratorInnen der Sammlung den Versand der Körperteile. Die Übergabe | |
erfolgt dann in feierlichem Rahmen – untermalt von einer Trauerzeremonie | |
der Māori und meist im Beisein des neuseeländischen Botschafters. | |
Die Berliner Charité hat 2019 die Gebeine von 109 Vorfahren der Māori und | |
Morioru aus ihren vormaligen anthropologischen Sammlungen an das Museum Te | |
Papa übergeben. Die Knochen seien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert | |
„in vermeintlich wissenschaftlicher Absicht vor dem Hintergrund rassisch | |
wertender Weltanschauung gesammelt worden“, erklärte damals Axel Radlach | |
Pries, Dekan der Charité. | |
Dies sei „ethisch nicht tragbar“ und missachte die Menschenwürde der | |
indigenen Ahnen. „Dafür möchte sich die Charité als wissenschaftliche | |
Institution bei den Nachfahren in aller Form entschuldigen“, so Pries. Bei | |
den menschlichen Überresten handelte es sich um Schädel und Skelettteile | |
von Personen verschiedenen Alters und Geschlechts. | |
## Übergabe mit Zeremonie | |
Einmal in Neuseeland angekommen, werden die Überreste in einem geheimen | |
Raum im Museum Te Papa eingelagert, bevor sie im Rahmen einer Zeremonie den | |
Nachkommen übergeben werden – in der Regel zur Bestattung im Ort, in dem | |
die Menschen lebten und gestorben waren. | |
„Das Museum bringt die Ahnen zu ihren Familien und Stämmen zurück, wo sie | |
wieder respektiert, geehrt und liebevoll gepflegt werden, wie es bei den | |
Māori üblich ist“, sagt Herewini. Dies sei die primäre Aufgabe des | |
Rückführungsprogramms. Eine Entscheidung über die Beerdigung oder eine | |
allfällige „Ausstellung und wissenschaftliche Untersuchung“ menschlicher | |
Überreste liege „einzig bei den Herkunftsgemeinschaften“. | |
10 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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