# taz.de -- Ökonom über Geschichte des Tätowierens: „Ein Künstler ließ s… | |
> Manfred Kohrs hat das Deutsche Institut für Tätowiergeschichte gegründet. | |
> Er organisierte einen Gesprächsabend, bei dem die Antike auf Dürer | |
> trifft. | |
Bild: Jetzt in Hannover zu sehen: Tätowierungen mit Dürer-Motiven | |
taz: Herr Kohrs, bei dem Gesprächsabend „Antike Meets Dürer“ geht es auch | |
um die Geschichte des Tätowierens. Aber die menschliche Haut ist ja ein | |
vergängliches Material. Woher weiß man also, ob und wie sich die Menschen | |
früher tätowiert haben? | |
Manfred Kohrs: Da gibt es doch einiges. Ein Beispiel ist Ötzi aus der | |
späten Jungsteinzeit oder Kupfersteinzeit also circa 3300 bis 3100 vor | |
unserer Zeit. Er hatte zahlreiche Tätowierungen, die untersucht wurden. In | |
den USA fand der Archäologe Aaron Deter-Wolf zudem eine mumifizierte Hand | |
mit Tätowierungen aus der Zeit um 1300 vor Christus. | |
taz: Sie selbst haben ja das Institut für Deutsche Tätowier-Geschichte | |
(IDTG) gegründet. Worüber wird dort denn geforscht? | |
Kohrs: Wir erforschen die jüngere Geschichte der Tätowierung. Diese beginnt | |
um 1890 mit den „tätowierten Damen“ im Zirkus und im Varieté. Es ließen | |
sich nicht nur Seeleute, sondern auch Vertreter des Hochadels tätowieren. | |
Ein Beispiel ist der dänische König Frederik IX. Die erste | |
wissenschaftliche Publikation über einen frühen Protagonisten der Szene ist | |
fertiggestellt und wird bald in Druck gegeben. Weitere werden folgen. | |
taz: Was ist denn an der Geschichte dran, dass auch die Kaiserin Sissi | |
tätowiert gewesen sein soll? | |
Kohrs: Der Anthropologe Igor Eberhard von der Universität Wien hat zu | |
diesem Thema geforscht und auch Hinweise gefunden. Ein endgültiger Beweis | |
fehlt jedoch noch, da es keine entsprechenden Fotos gibt. | |
taz: Und warum trifft an diesem Abend die Antike auf Dürer? | |
Kohrs: Im [1][Kestner-Museum in Hannover] werden antike Artefakte aus der | |
eigenen Sammlung ausgestellt, die mehrere Tausend Jahre alt sind. Die | |
Malereien und Schnitzereien auf diesen Exponaten werden als Tätowierungen | |
gedeutet. Vom Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg wurden Personen gesucht, die | |
sich Motive von Albrecht Dürer, wie etwa die betenden Hände, auf die Haut | |
tätowiert haben lassen. Hier werden Kunstgeschichte und Moderne | |
zusammengeführt. | |
taz: Sie engagieren sich ja selber auch schon lange dafür, dass das | |
Tätowieren aus der Schmuddelecke kommt und als Kulturgut anerkannt wird. | |
Kohrs: Ich habe 2000 den Verein Tätowierkunst gegründet, um durchzusetzen, | |
dass die Tätowierer als Künstler anerkannt werden können. Der Verein ist | |
noch heute tätig. Tätowierer arbeiten nur auf einem anderen Material – | |
statt auf einer Leinwand eben auf der Haut. | |
taz: Und was gibt es da für Kunstwerke? | |
Kohrs: Der hannoversche Totalkünstler Timm Ulrichs hat sich im Rahmen einer | |
Kunstaktion den Schriftzug „The End“ auf die Augenlider tätowieren lassen. | |
Wenn der Künstler die Augen schließt, ist der Vorhang gefallen. Fotos davon | |
werden heute in großen Museen ausgestellt. | |
taz: Das Tätowieren kann also auch eine Performance sein? | |
Kohrs: Ja, die österreichische Künstlerin und Feministin Valie Export hat | |
sich von meinem Tattoo-Mentor H.H. Streckenbach im Rahmen einer | |
Aktions-Kunst ein Strumpfband tätowieren lassen. | |
taz: Es ist Ihnen ja auch wichtig, [2][dass das Tätowieren] in den | |
Wissenschaften ernster genommen wird. | |
Kohrs: Ja, das IDTG wächst und unsere Mitglieder sind beispielsweise | |
Kunsthistoriker, Anthropologen und Sozialwissenschaftler. Wir kooperieren | |
inzwischen mit Universitäten und Museen, auch international. Wir haben | |
bereits mehrere Dissertationen positiv begleitet. Ein Beispiel ist das | |
Thema Urheberrecht. | |
taz: Da kann jemand verklagt werden, weil er ein Bild von den Beatles auf | |
seinem Arm hat? | |
Kohrs: Jemand, der sich eine Micky Maus tätowieren lässt, auf die Disney | |
noch [3][das Copyright hat]. In Zeiten, in denen ständig etwas im Internet | |
gepostet wird, ist die Gefahr groß, verklagt zu werden. Aber das kann auch | |
umgekehrt sein. Wenn jemand eine Tätowierung mit „[4][erheblicher | |
Schöpfungshöhe]“ erhalten hat, dann hat der Tätowierer das Urheberrecht | |
daran, auch die Bildrechte. Darüber gibt es jetzt in Deutschland die erste | |
Dissertation. | |
9 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://kestnergesellschaft.de/ | |
[2] /Taetowieren-im-Pilgerort-/!6097103 | |
[3] /Rechtsextremer-Onlineshop-Druck18/!6105321 | |
[4] /ChatGPT-als-Sci-Fi-Autor/!5913873 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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