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# taz.de -- Ostdeutsche in Führungspositionen: Der Chef kommt weiter aus Westen
> In deutschen Führungsetagen bleiben Ostdeutsche unterrepräsentiert.
> Dagegen könne man aber etwas tun, meinen Fachleute.
Bild: Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland
Berlin taz | Menschen aus Ostdeutschland sind auch über dreißig Jahre nach
der Wiedervereinigung in Führungspositionen unterrepräsentiert. Zu diesem
Ergebnis kommt der Elitenmonitor, den Wissenschaftler:innen
verschiedener Universitäten [1][im Auftrag des Beauftragten der
Bundesregierung für Ostdeutschland erstellt haben.]
Etwa zwanzig Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung sind in Ostdeutschland
geboren. Führungspositionen in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und anderen
gesellschaftlichen Bereichen waren aber im Jahr 2022 nur zu 12,2 Prozent
mit ostdeutschen Menschen besetzt. 2018 lag der Anteil noch bei 10,9
Prozent.
„Trotz des leichten Anstiegs ist es noch zu früh, um von einem Trend zu
sprechen“, sagt Lars Vogel von der Universität Leipzig am Mittwoch bei der
Vorstellung der Zwischenergebnisse in Berlin. Der [2][Befund der mangelnden
Repräsentation von Ostdeutschen sei nicht neu]. Er betont, dass man es
nicht mit einer akademischen Debatte zu tun habe: „Der Zustand in den
Führungspositionen wird von der Bevölkerung wahrgenommen und negativ
bewertet.“
Die Ursachen für den Missstand seien vielfältig, berichtet seine Kollegin
Astrid Lorenz: „Es geht hier nicht unbedingt um bewusste Ausgrenzung von
Ostdeutschen.“ Die Probleme lägen eher in den Langzeitwirkungen des
DDR-Systems und des Systemwechsels: „Die DDR war ein durchpolitisiertes
System. Die Menschen, die 1989 auf die Straße gegangen sind, wollten sich
davon befreien und wünschten sich einen Wechsel in den Eliten.“
## Anteil Ostdeutscher hätte erhöht werden können
Nach der Wiedervereinigung seien im Osten viele westdeutsche Institutionen
übernommen worden, etwa das westdeutsche Rundfunksystem. Dadurch seien auch
viele Führungspositionen in Ostdeutschland von Westdeutschen übernommen
worden, so Lorenz.
Seit 2018 seien aber 57 Prozent der ausgewerteten Führungspositionen neu
besetzt worden, fügt Vogel hinzu. „Es gab die Chance, dass Ostdeutsche die
Positionen übernehmen.“ Dass sie aber dennoch vielerorts nicht zum Zug
kamen, zeige, dass sich das Ungleichgewicht nicht von alleine auswachse, so
Vogel weiter.
Besonders gravierend sei die Lage, wenn eine Position vorher von einer
Person aus Westdeutschland besetzt gewesen sei, berichtet Vogel. Lorenz
ergänzt: „Eliten haben die Neigung, sich selbst nachzurekrutieren, weil sie
glauben, am besten zu wissen, was wichtig und was sinnvoll ist, wo man
studiert haben muss, um die Stelle gut auszufüllen.“ Dadurch hätten
Ostdeutsche oft das Nachsehen.
## Fremdsprachenkenntnisse fehlen
Die Gründe für das Ungleichgewicht sind Lorenz zufolge vielfältig: „Für
viele Führungspositionen haben Promotionen eine erhebliche Bedeutung. In
Ostdeutschland kommen viele Menschen noch aus einem Arbeitermilieu, wo es
sich in der DDR nicht gehört hat, ganz offen eine Karriere anzustreben.“
Bei Menschen über fünfzig, die statistisch gesehen die meisten
Führungspositionen ausfüllen, hapere es außerdem oft an den
Fremdsprachenkenntnissen. Das sei besonders in der Wirtschaft von
Bedeutung. Zusätzlich seien Menschen in Ostdeutschland deutlich weniger in
bundespolitisch bedeutsamen Parteien und Gewerkschaften organisiert –
oftmals eine Grundvoraussetzung, um bestimmte Posten zu ergattern.
Um Verbesserungen zu erreichen, sieht Lorenz unter anderem den Bund in der
Pflicht. Bildungsförderwerke, die beispielsweise Stipendien zur
Begabtenförderung ausgeben, werden größtenteils durch Bundesmittel
finanziert. Man könne sie verpflichten, zu erheben, aus welchen Regionen
geförderte Studierende stammen, um erst einmal eine Datenbasis zu erhalten.
Man könne außerdem mehr Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland ansiedeln, so
Lorenz weiter: „Hier müssen wir aber auch sensibilisieren, dass die
Ansiedlung allein nicht ausreicht. Nur etwa die Hälfte aller
Führungspositionen im Osten wird von Ostdeutschen ausgefüllt.“
## Beauftragter sieht steigende Sensibilisierung
Wichtig sei auch, Studierenden zu vermitteln, wie relevant Stipendien sein
könnten, um Netzwerke für die spätere Karriere zu knüpfen.
„Gesellschaftliche Strukturen sind langlebig. In der DDR war es üblich,
angesprochen zu werden, wenn man für eine Führungsposition in Erwägung
gezogen wird. Sich selbst zu bewerben, war viel weniger üblich“, berichtet
Lorenz. Wer also den Anteil von Ostdeutschen in seinem Unternehmen oder
seiner Behörde erhöhen wolle, solle Beschäftigte, die für eine Beförderung
in Frage kommen, doch einfach mal ansprechen.
Ein Vorgehen, mit dem auch Carsten Schneider (SPD) gute Erfahrungen gemacht
hat. Der [3][Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland] berichtet,
dass die Bundesregierung seit einigen Jahren viel sensibler für die
Förderung von Menschen aus Ostdeutschland geworden sein, gerade auch in den
eigenen Häusern.
## Besonders ostdeutsche Flächenländer unterrepräsentiert
Die Zahlen geben ihm recht: Die Politik ist im Elitenmonitor der einzige
gesellschaftliche Bereich, in dem Ostdeutsche mit 20,9 Prozent in
Führungspositionen angemessen vertreten sind. Jedoch muss Schneider
einschränken, dass ein erheblicher Teil dieser Menschen oftmals aus Berlin
stammt. Bei den Flächenländern sei der Anteil immer noch niedriger, als es
ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechen würde.
„Als ich in der letzten Legislaturperiode noch Parlamentarischer
Geschäftsführer der SPD-Fraktion war, war ich selbst mit für die
Personalpolitik verantwortlich. Viele ostdeutsche Kolleginnen und Kollegen
haben sich nicht selbst für eine Beförderung ins Spiel gebracht, sondern
mussten angesprochen werden“, berichtet Schneider. Dabei ist die Frage der
Repräsentation seiner Meinung nach eine Schlüsselfrage für die
Gesellschaft, um die Spaltung zwischen Ost und West in den Köpfen zu
überwinden.
## Ostdeutsche fühlen sich als „Bürger zweiter Klasse“
Lars Vogel bestätigt diese Diagnose: „Wir sehen einen klaren Zusammenhang.
Wer die fehlende Repräsentation stärker wahrnimmt, hat in Ostdeutschland
auch eher das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein.“
Obwohl die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform in Ostdeutschland
größer sei als im Westen, sei das Vertrauen in Institutionen deutlich
geringer ausgeprägt, berichtet Schneider. „Das hat auch mit
Unterrepräsentierung zu tun. In Sachsen-Anhalt kommt nur ein Bruchteil
aller Richterinnen und Richter aus Sachsen-Anhalt selbst. Stellen Sie sich
mal vor, wie die Akzeptanz der Justiz in Oberbayern aussehen würde, wenn
alle Urteile, auch die, die einem nicht gefallen, auf Thüringisch verlesen
werden würden.“
Einen direkten Bezug zu den [4][hohen Zustimmungswerten der AfD besonders
in ostdeutschen Bundesländern] sieht Schneider aber nicht: „Ein direkter
Bezug auf die Wahlergebnisse greift zu kurz.“
21 Sep 2023
## LINKS
[1] /Fuehrungskraefte-in-Bundesbehoerden/!5907888
[2] /Ostdeutsche-in-Fuehrungspositionen/!5860049
[3] /Neuer-Ostbeauftragter-Carsten-Schneider/!5830879
[4] /Wahlumfrage-in-Sachsen/!5957474
## AUTOREN
Jana Ballweber
## TAGS
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Schwerpunkt AfD
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