| # taz.de -- EU-Asylkompromiss von Italien blockiert: Die Grünen sind umsonst u… | |
| > Berlin hat der „Krisenverordnung“ der EU zugestimmt. Sie soll die Rechte | |
| > von Flüchtlingen einschränken. Nun aber blockiert Italien. | |
| Bild: Gerettete Geflüchtete auf dem Weg nach Lampedusa | |
| „Berlin macht Weg frei für EU-Asylreform“ – so oder ähnlich haben am | |
| Freitag deutsche Zeitungen getitelt. Gemeint ist die so genannte | |
| „Krisenverordnung“ der EU. Über diese hatten die EU-Innenminister am | |
| Donnerstag in Brüssel beraten. Sie sieht vor, dass in bestimmten Fällen die | |
| Rechte von Asylsuchenden leichter eingeschränkt werden können – bei | |
| „Massenankünften“, höherer Gewalt wie Krieg oder Naturkatastrophen oder | |
| dann, wenn Flüchtlinge instrumentalisiert werden, um der EU zu schaden. | |
| Deutschland hatte sich lange gegen die Pläne gesperrt – vor allem wegen | |
| menschenrechtlicher Bedenken der Grünen. [1][Dann aber gaben Bundeskanzler | |
| Olaf Schulz und Innenministerin Nancy Faeser ihr Plazet.] Faeser sprach von | |
| einem „hervorragenden Kompromiss“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta | |
| Hasselmann freute sich darüber, dass die „klare deutsche Haltung“ endlich | |
| „Bewegung in die Gespräche“ gebracht habe. Es war eine der vielen | |
| Kehrtwenden der Grünen in Sachen Asyl in letzter Zeit. Noch am Mittwoch | |
| hatte es geheißen, die Verordnung sei „nicht zustimmungsfähig“. | |
| ## Italiens Innenminister reiste demonstrativ ab | |
| [2][Das deutsche Einlenken] nutzte der spanischen Ratspräsidentschaft aber | |
| nichts. Denn am Donnerstagabend sagte der italienische Innenminister Matteo | |
| Piantedosi Nein und reiste demonstrativ aus Brüssel ab. Wie der Zufall es | |
| wollte, war zur selben Zeit sein Kabinettskollege Antonio Tajani bei | |
| Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin zu Gast. Auf einer | |
| Pressekonferenz mit Baerbock versuchte er die Wogen zu glätten. Italien | |
| blockiere die neue Verordnung keineswegs – Piantedosi habe sich nur „etwas | |
| Zeit für eine vertiefte Prüfung aus rechtlicher Sicht“ genommen. Eine | |
| erstaunliche Begründung, zumal es allen in Sachen Asylreform gar nicht | |
| schnell genug gehen kann. | |
| Kolportiert wurde, dass dem Verordnungstext kurzfristig ein Satz | |
| hinzugefügt worden war, an dem sich die italienischen Bedenken festgemacht | |
| hätten: „Humanitäre Hilfsaktionen nach europäischen Standards“ sollten | |
| nicht als „Instrumentalisierung“ gelten und entsprechend den Krisenfall | |
| nicht auslösen können. Der Satz zielt unter anderem auf Hilfseinsätze | |
| privater Seenotrettungs-NGOs auf dem Mittelmeer. Diese werden von Italien | |
| seit Langem heftig kritisiert. Allerdings: Der Satz, den Piantedosi | |
| angeblich erstmal in Ruhe studieren wollte, war schon im Text vom 13. Juli | |
| enthalten. | |
| ## Die deutschen Zahlungen waren bekannt | |
| [3][Dass Italien sich nun querstellt], dürfte damit zu tun haben, dass | |
| Italiens Ministerpräsidentin Meloni angesichts der hohen Flüchtlingszahlen | |
| Härte demonstrieren will. In den letzten Tagen war deshalb die Kritik aus | |
| Rom an geplanten staatlichen Hilfszahlungen aus Berlin für deutsche | |
| Seenotrettungs-NGOs größer geworden. | |
| Dabei waren die Zahlungen bekannt. Ende 2022 hatte der Bundestag | |
| beschlossen, dem der deutschen Evangelischen Kirche nahestehenden Verein | |
| United4Rescue ab 2023 pauschal vier Jahre lang je 2 Millionen Euro für | |
| Rettungseinsätze im Mittelmeer zur Verfügung zu stellen. Im Juli entschied | |
| das Auswärtige Amt allerdings, dass die Gelder einzeln von Rettungs-NGOs | |
| beantragt werden müssen. Die Zahlungen für die Jahre 2024 bis 2026 wurden | |
| in Frage gestellt. Außerdem sollten demnächst mehrere Hunderttausend Euro | |
| an den Verein SOS Humanity gehen. Er ist 2021 aus dem Verein SOS | |
| Méditerranée hervorgegangen, der am Donnerstag den Alternativen Nobelpreis | |
| erhalten hat. | |
| ## Kritik kommt auch aus der Ampel | |
| Auch Politiker:innen der Ampelparteien sehen die Krisenverordnung | |
| derweil kritisch. Der Verordnungsentwuf setze „vor allem auf verlängerte | |
| Registrierungsfristen, mehr Grenzverfahren und längere Unterbringung in | |
| geschlossenen grenznahen Einrichtungen“, sagte der | |
| SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir. Er sei „skeptisch“, dass das die | |
| richtige Antwort auf die Ankunft vieler Schutzsuchender sei. Gut sei, dass | |
| – anders als zuvor geplant – die Verordnung nur nach Prüfung durch eine | |
| Kommission und auf Beschluss des Rates aktiviert werden könne. | |
| Der Grüne MdB Julian Pahlke, selbst Ex-Seenotretter, sagte, die Verordnung | |
| werde „nur mehr Chaos schaffen“. Wenn die Mitgliedsstaaten in solchen | |
| Fällen Ankommende vier Wochen lang nicht zu registrieren brauchen, könnten | |
| diese einfach in andere EU-Staaten „weitergeleitet werden“. In einer | |
| Situation, in der viele Menschen Schutz suchen, eine Inhaftierung für alle | |
| vorzusehen, sei „das Gegenteil von Krisenresillienz“, meint Pahlke. | |
| 29 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-um-Krisenverordnung/!5963090 | |
| [2] /Streit-um-Krisenverordnung/!5963090 | |
| [3] /Solidaritaet-auf-Lampedusa/!5959750 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| ## TAGS | |
| Asyl | |
| Geflüchtete | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| EU-Kommission | |
| EU | |
| Seenotrettung | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Asyl | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Asylpolitik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Flucht nach Europa über Kanaren: Über 1.100 Menschen erreichen Küsten | |
| Der spanische Rettungsdienst Archipel vermeldet die Ankunft von mehreren | |
| Booten auf den Kanarischen Inseln. Die Zahl der Fliehenden ist deutlich | |
| gestiegen. | |
| Steinmeier zum Tag der Deutschen Einheit: Steinmeier für Asyl-Grenzverfahren | |
| Zur deutschen Einheit spricht sich der Bundespräsident für eine Begrenzung | |
| sogenannter illegaler Migration aus. Es brauche eine Art neuen | |
| Asylkompromiss. | |
| Elon Musk hetzt gegen Seenotrettung: Post vom Auswärtigen Amt | |
| Elon Musk teilt den Tweet eines rechtsextremen Accounts zur Seenotrettung | |
| im Mittelmeer. Das Auswärtige Amt kontert – und Musk antwortet erneut. | |
| Asylverschärfung in Brüssel: Die Grünen sind erstaunlich still | |
| Obwohl die Ampelkoalition einer weiteren Verschärfung des EU-Asylrechts | |
| zustimmen will, bleibt lautstarke Kritik der Grünen aus. Nur einer schert | |
| aus. | |
| Flucht über das Mittelmeer im Jahr 2023: Schon 2.500 Menschen ertrunken | |
| Das Gros der Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute kommt laut UNHCR über | |
| Tunesien. Die EU verlängert Sonderregelungen für Kriegsflüchtlinge aus der | |
| Ukraine. | |
| Asylpolitik der EU: Brüssel definiert Krise neu | |
| Die EU-Innenminister einigen sich darauf, die Rechte von Flüchtlingen | |
| einzuschränken. Aber Familien sollen nicht in Auffanglager. |