| # taz.de -- Ausstellung „Das Kapital“: Vom Mehrwert der Kunst | |
| > Gibt es Parallelen zwischen Marcksismus und Marxismus? Das Bremer | |
| > Gerhard-Marcks-Haus denkt den Bildhauer Marcks und den Kommunisten Marx | |
| > zusammen. | |
| Bild: Kunst und ihr Mehrwert: Marcks Hase von 1964 und was ein Kind 2022 daraus… | |
| Kann man schon mal verwechseln, den Krauskopf Kalle mit seinem | |
| Prophetenbart und den platt frisierten, glatt rasierten Gerhard. Beide | |
| heißen phonetisch gleich, nur unterschiedlich geschrieben wird ihr | |
| Nachname. | |
| Was nicht jeder weiß. Daher stecken immer wieder Schreiben fürs Trierer | |
| Karl-Marx-Haus im analogen oder digitalen Briefkasten des Bremer | |
| Gerhard-Marcks-Hauses – und umgekehrt. Was unter anderem Kustodin Mirjam | |
| Verhey-Focke dazu animierte, Werk und Wirkung von Marx und Marcks mal | |
| zusammenzudenken. Das Ergebnis ist die Ausstellung „Das Kapital. Alles | |
| Marcksist*innen!“. Gibt es Parallelen zwischen Marx- und Marcksismus? | |
| Künstler müssen zum Handwerk zurück, war 1919 eine [1][Bauhaus]-Parole, als | |
| der Bildhauer [2][Gerhard Marcks] in Weimar seine Lehrtätigkeit aufnahm. | |
| Dem Anspruch hätte sich Ökonom [3][Karl Marx] anschließen können, setzte er | |
| doch wider den Industriealisierungsfuror auf das wissenschaftliche Handwerk | |
| der Theoriebildung. Aber seine komplexe Analyse der dynamischen | |
| Marktgesetze von Arbeitsprozessen und Wertschöpfung mit der Ware Mensch ist | |
| in der akademischen Abstraktion so ziemlich das Gegenteil von Marcks | |
| Ästhetik. | |
| Denn der sucht zwischen Abbildrealismus und Abstraktion doch antikisch | |
| klare, ausgedünnte, elegant vereinfachte Formen für seine immer so | |
| individuell wie lebendig wirkenden Tier- und Menschen-Skulpturen. Mehr als | |
| 400 lagern im Archiv des Gerhard-Marcks-Hauses, hinzu kommen 2.000 | |
| Grafiken. Es ist das größte Kapital im Keller des Museums, das mit | |
| beispielhaften Werken im zentralen Saal der aktuellen Schau präsent ist. | |
| Was macht ihren Wert aus? Die sechsstelligen Eurosummen, mit denen einige | |
| am Kunstmarkt gehandelt werden könnten? Aber stehen sie nicht nur | |
| unproduktiv herum – als totes Kapital? Laut Marx entsteht Kapital nur, wenn | |
| etwas produziert und damit Gewinn erzielt wird. So versteht auch das | |
| Marcks-Team Kapital und bringt die Kunstwerke als Ressource immer wieder | |
| unter die Leute, um ideelle Werte wie ästhetisches Empfinden, Interesse an | |
| Kunst, Lust auf Bildhauerei oder schöpferische Energien zu animieren. | |
| So stand der „Prometheus und der Zeus-Adler“ (1981) ein Jahr lang im | |
| Eingangsbereich einer Bremer Schule, nicht nur Kunst- und Deutschkurs | |
| beschäftigten sich damit. Andere Originale stehen in Hospizen, Altenheimen | |
| oder Kulturzentren wie dem Atelierhaus Roter Hahn. Dort wurde Marcks | |
| sprungbereit zusammengekauerter „Hase“ (1964) platziert. Zweit- und | |
| Sechstklässler wurden geladen, ihn anzuschauen, anzufassen, sich mit den | |
| geometrischen Zuspitzungen zu beschäftigen und unter Anleitung selbst | |
| Mümmelmänner zu gestalten. | |
| Mehrwerte dieser Ausleihe sind nun zu sehen. 50 getöpferte Häschen, | |
| liebäugelnd wie Kuscheltiere, gruppieren sich in aller Farben-, Formen- und | |
| Ausdruckspracht um das bronzene Muttertier. | |
| Aus der Begegnung mit Marcks „Giraffe“ (1955) sind zudem etliche der edlen | |
| Langhalsstolzierer in drahtiger Pappmaché-Gestalt entstanden und zur | |
| Besucher:innenakquise im Portikus aufgestellt. Da sich die jungen | |
| Skulpteure auch die schwungvoll designten Alltagsgegenstände des Wilhelm | |
| Wagenfeld aus dem gegenüberliegenden Museum betrachtet hatten, garnieren | |
| sie die Giraffen mit Wagenfeld-Eierbechern, es gibt auch Löffelohren, | |
| Salzstreuer-Augen, Schneebesen-Hörner und einen Gartenharke-Schwanz. | |
| Wer beim Betrachten seine eigene bildnerische Ausdruckskraft nicht mehr | |
| bändigen kann, für den ist ein Ausstellungsraum reserviert, in dem mit | |
| Silbenwürfeln Fantasieworte zu kreieren sind, zu denen Denkmäler aus | |
| bereitliegender Knete modelliert werden können. Als Produkte eigener | |
| Arbeit. | |
| Auch das Kapital der hauseigenen Forschung bleibt nicht unerwähnt. Die | |
| letzten Exemplare bereits vergriffener Publikationen sind um ein Lesesofa | |
| herum drapiert. Andere Räume werden von einem weiteren Kapital der | |
| Marcksist:innen bestückt, der eigenen Bubble, also den Freunden des | |
| Hauses. | |
| Der gelernte Bremer Tischler Martin Keuler bespielt raumgreifend das Foyer | |
| mit einer hintergründigen Anspielung auf den makellos männlichen | |
| Athletenkörper des „David“ von Michelangelo: Nur einen Meter kleiner als | |
| das Original, aber nicht aus Marmor gehauen, sondern aus kantigen | |
| Holzresten gramgebeugt in die Höhe gebaut ist Keulers „David“ und mit dem | |
| Antlitz eines Menschen mit Downsyndrom gestaltet. | |
| Gebrochen wird so die wuchtige Präsenz der plastischen Volumina wie auch | |
| die erhöhte gesellschaftliche Sehnsucht nach der Perfektion des scheinbar | |
| Normalen, wobei sich kritische Fragen nach dem Kapital Schönheit | |
| aufdrängen. Der Werktitel lautet: „David, Käfer und die Schnur zum | |
| Universum“. Daher stellt Keuler neben den Riesen einen Zwerg im | |
| Käferkostüm, der eine Schnur hält, die unter der Decke durch Aufkleber mit | |
| der Aufschrift „Universum“ befestigt ist. Ein Kapital der Kunst ist also, | |
| ihre Themen aus allumfassenden Kontexten zu erden? | |
| Die niederländische Künstlerin Eveline van Duyl hat nach ihrer | |
| „Denkinseln“-Schau (2013) mit Philosophenköpfen auf Bügelbrettern im | |
| Marcks-Haus nun Augen von Promis aus schrundigen Baumstammscheiben | |
| herausgearbeitet, farbstark hyperrealistisch mit Lack ausformuliert und auf | |
| Spiegeltellern serviert. Die betrachtete Kunst betrachtet den Betrachter | |
| und verweist ihn so auf seine Rolle der Partizipation innerhalb jedweder | |
| Kunstbetrachtung. Was nicht sonderlich originell ist, als Bodeninstallation | |
| aber sehr hübsch aussieht. | |
| Die kauzige Collagen-Meisterin Gertrud Schleising hat gefragt, mit welcher | |
| Statue der Herr Marcks am meisten verdient hat. Und kam auf die in Bronze | |
| gegossenen Gelehrten-Ikone Albert Magnus, der seit 1956 vor der Kölner Uni | |
| in Denkerpose sitzt. Zu einem Gipsabdruck davon und weiteren | |
| Marcks-Darstellungen von Lesenden, aber auch Grazien sowie Venus und Amor, | |
| addiert Schleising in Plexiglasboxen herzallerliebst skurril kommentierende | |
| Theaterminiaturszenen und lexikalische Erklärtexte – als Verweis auf das | |
| von Museen auch erwirtschaftete Kapital Bildung. | |
| Während bei Marx erst mal die Enteigner durch die revolutionäre | |
| Arbeiterklasse enteignet werden müssen, damit das akkumulierte Kapital der | |
| Industrie an die Gesellschaft zurückgegeben werden kann, verschenkt das | |
| Marcks-Haus (gegen einen Miniobolus) sein Kapital freiwillig. Ob Marx das | |
| gemeint hat, als er notierte: „Das Kapital produziert seine Totengräber“? | |
| 12 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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